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Comics und "Graphic Novels" im Literaturbetrieb
von Bernd Villhauer
Der gute alte Comic ist nun endlich literatursalonfähig geworden. Wer etwas auf sich hält im buchbesprechenden Gewerbe, der beklagt, dass „hierzulande“ die Comic-Kultur noch unterentwickelt sei und man viel zu lange die faszinierenden Comic-Neuerscheinungen aus Frankreich, Japan und den USA unterschätzt habe. Aber nun sei ja (und dann kann man in der Literatursendung sogar etwas großes Buntes hochhalten) dieses neue Werk von xyz erschienen, das man eigentlich schon gar nicht mehr richtig als Comic bezeichnen könne, sondern besser als … „Graphic Novel“!
Graphic Novel. Mit diesem Marketing-Label ist es gelungen, in den Buchhandlungen neben den „seriösen“ Neuerscheinungen in Belletristik und Sachbuch Regal- bzw. Tischplatz zu erobern. Auch haben die Verlage eine Möglichkeit gefunden, mit ihren Comic-Veröffentlichungen das Kinder- und Schundliteratur-Ghetto zu verlassen. Es war ein weiter Weg…
Schmutz und Schund und Schund und Schmutz
In Deutschland verbrennt man hin und wieder gerne einmal Bücher. Diese unerfreuliche Tradition hat leider nicht mit dem Nazi-Reich geendet, sondern wurde im Rahmen von sogenannten „Schmutz und Schund“-Kampagnen auch gerne noch mit Comics in den 50er Jahren fortgesetzt. Neben dem Jazz waren die Comics schon in Hitlers Reich ein äußerst ungern gesehener kultureller Gast gewesen. Und die Verfemung der Bildergeschichten sank tief ein ins deutsche Gemüt – so tief, dass tatsächlich noch nach dem Krieg öffentlich Comics verbrannt wurden bzw. öffentliche Leihbibliotheken anboten, den „Schund“ gegen richtige Literatur einzutauschen. Die Comics wurden – berechtigt oder nicht – zum Symbol für die Verflachung und Amerikanisierung Deutschlands.
Gerade die gebildeten Schichten, in denen eigentlich die intellektuelle Neugier hätte gepflegt werden können, sperrten sich gegen die Anerkennung und befürchteten eine die Entstehung einer Generation von Analphabeten durch die Bilderschriften. Auch die 1954 gegründete „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ spielte hier nicht immer eine glückliche Rolle. Eine Initialwirkung hatte der ‚Spiegel‘-Artikel „Comics – Opium in der Kinderstube“ gehabt, der am 21.03.1951 erschienen war. Er stellt einen Zusammenhang zwischen Comic-Lektüre und Jugendkriminalität her und berichtete über die US-amerikanischen Kampagnen, die eine Comic-Zensur zum Ziel hatten und schließlich im „Comic Code“ endeten. In Deutschland erregten besonders Gewalt-Darstellungen Anstoß und man erregte sich in gut bildungsbürgerlicher Tradition über die verkürzte Sprechblasen-Sprache. Die erregten Appelle („Jeder Kiosk an jeder Straßenecke schreit uns diese Kulturschande ins Gesicht“) zeigten Wirkung – am harmlosesten noch in Umtauschaktionen, bei denen man seine Comics z.B. in Leihbibliotheken gegen „gute Literatur“ eintauschen konnte. Aber es wurden eben auch öffentlich Comics verbrannt – so beispielsweise 1958 in Aachen.
Angekommen im Buchhandel
Seit dem ist viel Zeit vergangen und man kann mit Recht sagen, dass die Comics spätestens seit dem berühmten Holocaust-Comic „Maus“ von Art Spiegelman als Teil der Literatur akzeptiert werden. Wenn also heute die fehlende Akzeptanz des Comics beklagt wird, dann trifft das nur noch für wenige Nischen des Kultur- und Literatur-Betriebs wirklich zu. Mit Andreas Platthaus sorgt schon seit vielen Jahren ein bekennender Donaldist im Feuilleton der FAZ für eine vielfältige und positive Berichterstattung über das Medium, es gibt die Gesellschaft für Comic-Forschung (ComFor) und vielfältige Aktivitäten, die zeigen, dass Comics Anerkennung gefunden haben.
Diese Anerkennung hatte sich aber bisher noch nicht wirklich im Buchhandel abgebildet, der sich mit Comics außerhalb der Kinder- und Jugendbuchabteilung bzw. der „Humor“-Ecke oft schwer tat. Es ist interessant, zu beobachten, dass dies nicht nur mit der eher negativen Einstellung des Buchhänderinnen und Buchhändler zusammen hängt. Sondern es gab lange Zeit auch eine spezielle Distributions-Struktur bei Comic-Publikationen, die durchaus ihren Zweck erfüllte ohne dass der klassische Buchhandel überhaupt gebraucht wurde. Comics, wenn sie nicht ohnehin als „Comic-Strips“ in entsprechenden Zeitungen auftauchten, wurden über Kioske, im Abo und seit den 70er-Jahren zunehmend über spezialisierte Comic-Geschäfte vertrieben. Und das funktionierte. Dennoch wurden z.B. vom Carlsen mit „Tim und Struppi“ des berühmten Comic-Künstler Hergé (eigentlich Georges Remi) immer wieder Versuche unternommen, Comics auch im Buchhandel zu etablieren.
Der Durchbruch wurde nun aber endgültig mit dem neuen Marketinglabel „Graphic Novel“ geschafft. Inhaltlich ist nicht zu begründen, warum man einen Teil der Comic-Tradition unter „Comic“, einen anderen unter „Graphic Novel“ fassen sollte. Komplexe Erzählstrategien, künstlerischen Anspruch, „Erwachsenen-Themen“ und sprachliche Sensibilität hatte es im Comic schon lange vor dem Auftauchen der „Graphic Novels“ gegeben.
Interessanterweise findet dieser Durchbruch statt in einer Zeit, in der der Buchhandel ebenso Probleme hat wie das comicproduzierende Gewerbe. Solche Krisen hat es regelmäßig gegeben, beispielsweise 1998, als Carlsen zum Entsetzen vieler seinem in der Szene außerordentlich anerkannten Comic-Lektor Andreas C. Knigge kündigte. An diese Krise schloss sich eine vergleichsweise gute Zeit an, die zum Teil mir dem Manga-Boom zusammenhing, die aber nun wohl wieder durch einen neuen Niedergang abgelöst wird.
Und diese Krise ist global. Das letzte Comic-Festival in Angoulême hat das deutlich gemacht am Beispiel des großen französischen Verlags L’Association, dessen Mitarbeiter auf dem Festival gegen Entlassungen und Mittelkürzungen protestierten. Die USA, deren aktueller ökonomischer Niedergang nur eine längerfristige Tendenz verstärkt, haben schon lange mit dem Schrumpfen des klassischen Comic-Marktes zu kämpfen. Dort ist die Comicbranche seit Jahren in der Krise. Die Umsätze gehen stark zurück: 2007 wurden von den 300 monatlichen Titeln knapp 85 Millionen Hefte in den USA verkauft, 2010 zehn Millionen weniger, im letzten Jahr nur noch 69 Millionen. Tendenz für dieses Jahr: weiter fallend. Auch die Zahl der Verkaufsstätten ist rapide geschrumpft. In den Neunzigern, auf dem Höhepunkt, gab es zwischen 7000 und 9000 Händler, inklusive Kioske und Supermärkte. Jetzt sind es nur wenig mehr als 2000, die Comics anbieten, meistens spezialisierte Shops
Den deutschen Verlagen geht es nicht besser, was sich in panischen Überproduktionen bei vielen Verlagen niederschlägt, aber auch im offensiven Gebrauch neuer Marketinginstrumente wie eben dem Label „Graphic Novel“. Die letzte Buchmesse hat gezeigt, dass man diese Bezeichnung dauerhaft durchzusetzen versucht – unter anderem mit einem Flyer „Was sind Graphic Novels?“, den verschiedene Verlage mit Comic-Programm gemeinsam hergestellt haben. Den Verlagshäusern kann man dazu, ebenso wie dem Buchhandel nur Glück wünschen.
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