TexturenTechniken
Text- und Editionsformen wissenschaftlicher Publizistik in Hinblick auf deren Bedeutung für den Buchhandel
von Michael Buchmann
Buchhändler müssen wissenschaftliche Texte nicht von Anfang bis Ende durchlesen und alles auf Anhieb verstehen. Sie sollten sich allerdings einen Überblick verschaffen, damit man
Um diese Anforderungen zu erfüllen, muss man um drei Faktoren wissen, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. Funktionen wissenschaftlicher Texte. Warum werden welche Bücher von wem und wie gelesen? Merkmale wissenschaftlicher Texte. Was ist überhaupt ein wissenschaftlicher Text und woran erkennt man ihn? Gattungen wissenschaftlicher Texte Wo kann man sich wie zielgerichtet informieren, um über aktuelle Entwicklungen stets im Bilde zu sein?
Funktionen wissenschaftlicher Texte Wissenschaftlicher Texte erfüllen im Wissenschaftsbetrieb unterschiedliche Funktionen, die auf die bereits oben dargestellten Prinzipien wissenschaftlichen Vorgehens zurückzuführen sind. An dieser Stelle reicht – wegen des großen Einflusses auf die konkrete Gestalt der Texte – der Hinweis auf die Prinzipien ›Nachprüfbarkeit‹ und ›Transparenz‹. Transparenz bedeutet für die Wissenschaftler, dass sie ihre Forschungsergebnisse nicht nur veröffentlichen, sondern darüber hinaus auch so verfassen müssen, dass sie von anderen Wissenschaftlern möglichst leicht überprüft werden können. Und dies ist nicht nur diesem einen Prinzip geschuldet, dies erwarten andere Wissenschaftler ebenso wie die Verwaltung der eigenen Hochschule. Außerdem bemisst sich die Reputation (das Ansehen) eines Wissenschaftlers innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft nicht nur daran, was er veröffentlicht, sondern auch in welcher Zeitschrift oder welchem Forum und wie häufig er dies tut. Nachprüfbarkeit bedeutet für einen konkreten Text, dass alle verwendeten Quellen nach einem bestimmten Schema angegeben werden. Wird beispielsweise ein historischer Text als Quelle herangezogen, müssen Autor, Titel, Erscheinungsjahr, Seitenzahl usw. in Form einer Fuß- oder Endnote aufgeführt sein.
Neben der Wissenschaft gibt es den Wissenschaftsbetrieb in Form von Hochschulen, Instituten, Wissenschaftlern, Studierenden sowie die Verwaltung. Auch sie produzieren unaufhörlich Texte. Dies machen sie in der Regel zwar auch des dargestellten Inhaltes wegen, aber nicht nur. Denn alle diese Texte werden auch deshalb geschrieben, um innerhalb einer wissenschaftlichen Einrichtung eine Leistung nachweisen zu können, einen akademischen Grad zu erhalten, um die Forschung der Verwaltung und den Geldgebern gegenüber zu rechtfertigen usw.
Wichtige Funktionen wissenschaftlicher Texte
Insbesondere bei der Funktion der Forschung und Vermittlung muss man genau unterscheiden zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Titeln: während Texte im akademischen Rahmen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, werden Texte im Rahmen des Wissenschaftsjournalismus, die wissenschaftliche Erkenntnisse in populärer Form aufbereiten und dabei mitunter stark vereinfachen, von Wissenschaftlern nicht immer als wissenschaftlich betrachtet. Hier ist aus buchhändlerischer Sicht peinlich darauf zu achten, welche Bücher man welchen Kunden anbietet. Während interessierte Laien wissenschaftliche Texte häufig als zu sperrig und unnötig kompliziert empfinden, sind Wissenschaftler dagegen empört, wenn man ihnen Sachbücher empfiehlt, die sie als trivial empfinden.
Merkmale wissenschaftlicher Texte Wenn man nun weiß, warum und in welchem Rahmen wissenschaftliche Texte entstehen und gelesen werden, kann man daraus auch die Merkmale dieser Texte ableiten und viel besser verstehen. Allerdings gibt es kein einzelnes Kriterium, anhand dessen man zweifelsfrei entscheiden könnte, ob ein Text wissenschaftlich ist oder nicht. Es gibt Texte, die alle weiter unten genannten Merkmale erfüllen aber aufgrund eklatanter argumentativer Schwächen nicht als wissenschaftlich betrachtet werden können. Daher sind die folgenden Merkmale nicht als hinreichend bzw. ausreichend zu betrachten, um einen Text als absolut wissenschaftlich einordnen zu können, sondern vielmehr augenfällige formale Merkmale. Einfacher ausgedrückt: Es gibt fast keinen wissenschaftlichen Text ohne Fußnoten, aber die Fußnoten machen einen Text noch lange nicht wissenschaftlich.
Wichtige Merkmale wissenschaftlicher Texte
Texte zieht man nicht nur als Hilfsmittel für die wissenschaftliche Arbeit heran, sie können auch selbst Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen sein. Daher unterscheidet man zwischen der so genannten Primärliteratur und der Sekundärliteratur. Zur Primärliteratur zählen diejenigen Texte, die Gegenstand einer Analyse sind, zur Sekundärliteratur diejenigen, die als Hilfsmittel bei der Analyse hinzugezogen werden. Primärliteratur ist dabei nicht gleich Primärliteratur. Vor allem ältere Texte sind nicht als Einheit überliefert, sondern beispielsweise in verschiedenen zum Teil voneinander abweichenden Handschriften, mit diversen Korrekturen oder in Form verschiedener Drucke, die vom Autor für eine Gesamtausgabe noch einmal überarbeitet wurden usw.
Für Buchhändler ist die Kenntnis essentiell, welche Ausgaben welchen Anforderungen genügen und welche man welcher Zielgruppe empfehlen kann. Die so genannten Leseausgaben sind die einfachsten Ausgaben. Sie sind vergleichsweise günstig, können aber auf Grund von mangelhafter Textqualität weil mangelnder Transparenz der Textentstehung nicht für die wissenschaftliche Arbeit verwendet werden. So werden zum Beispiel Streichungen oder Anmerkungen des Autors im Manuskript, Änderungen bei überarbeiteten Neuauflagen usw. nicht als solche angezeigt. Nicht nur fehlt jegliche Form von Textkritik, der Text wird bei Leseausgaben sogar häufig verändert, indem die Orthographie der jeweils aktuell geltenden Schreibweise angepasst wird. Leseausgaben können daher nur interessierten Laien empfohlen werden. Fast alle belletristischen Textausgaben sind Leseausgaben. Wissenschaftstaugliche Texte sind dagegen Studienausgaben, denn sie bieten einen fundierten Text, dessen Entstehung nachverfolgt werden kann, außerdem häufig noch eine Bibliografie, Anmerkungen der Herausgeber und Interpretationshilfen.
Während Lese- und Studienausgaben häufig nur einzelne Texte eines Autors enthalten, umfassen historisch-kritische Ausgaben das Gesamtwerk. Sie liefern die genauesten Textgrundlagen. ›Historisch‹ sind sie deshalb, weil sie alle Textvarianten berücksichtigen, von verschiedenen Manuskriptfassungen bis hin zu verschiedenen Druckfassung und dies in einem ›Apparat‹ als Anhang ausführlich darstellen. Außerdem wird meistens auch die Wirkungsgeschichte der jeweiligen Texte geschildert. ›Kritisch‹ sind sie deshalb, weil die überlieferten Textvarianten gründlich daraufhin untersucht werden, ob es sich bei Textvarianten zum Beispiel um Schreibfehler oder vom Autor autorisierte Änderungen handelt. Jede Entscheidung der Herausgeber wird im Anhang genau dokumentiert und nachgewiesen, da sich diese Editionsform um größtmögliche Objektivität bemüht. Historisch-kritische Ausgaben spielen allerdings auf Grund ihres sehr hohen Preises (durch die hohen Investitionskosten bei gleichzeitig geringen Auflagenzahlen sowie der extrem kleinen Zielgruppe) im Buchhandel nur eine marginale Rolle.
Trotzdem ein Beispiel: ein beliebiger Text von Franz Kafka zum Beispiel im Anaconda-Verlag ist eine Leseausgabe. Sie ist günstig, enthält irgendeine der verschiedenen Textvarianten, ohne dies genauer anzugeben und die Rechtschreibung wurde angepasst. Demgegenüber steht die historisch-kritische Franz Kafka Ausgabe, die im Stroemfeld Verlag erschienen ist. Sie bietet nicht nur sämtliche Texte von Kafka, sondern druckt auch alle Seiten der Manuskripte als Faksimiles ab, die gegenüberliegende Seite enthält eine genaue Umschrift. Textvarianten wie Durchstreichungen im Manuskript werden als solche genau kenntlich gemacht und in die Umschrift übernommen. Sogar das Format entspricht den Quartheften Kafkas.
Der wissenschaftliche Stil, der von Außenstehenden häufig als ›trocken‹ oder ›unnötig kompliziert‹ empfunden wird, fällt bei wissenschaftlichen Texten besonders auf. Während interessierte Laien von Texten vor allem eine anschauliche, lebendige und weitgehend voraussetzungslose Darstellung des Inhalts erwarten, verfolgt die Wissenschaft ganz andere Interessen. Aus ihrer Sicht resultiert der Stil wissenschaftlicher Texte daraus, dass sie möglichst exakt sein müssen und der Autor hinter dem dargestellten Inhalt verschwindet. Aus diesem Anspruch auf Objektivität folgt: Sätze sind selten in der ersten Person formuliert, stattdessen werden unpersönliche Ausdrücke wie ›man‹ verwendet. Das Haupttempus ist Präsens, vor allem dann, wenn Sachverhalte geschildert werden. Bei der Schilderung vergangener Ereignisse darf nicht – wie häufig im Wissenschaftsjournalismus – das Präsens verwendet werden, sondern zwingend die Vergangenheitsform. Also statt »Hannibal überquert die Alpen« »Hannibal überquerte die Alpen«. Denn die zweite Aussage ist im Gegensatz zur ersten korrekt, weil das Ereignis in der Vergangenheit liegt, und schafft eine gewisse Distanz zum dargestellten Ereignis, die in der Wissenschaft im Gegensatz zum Wissenschaftsjournalismus durchaus erwünscht ist.
Fachsprachen erheben den Anspruch, exakter zu sein als die Alltagssprache, weil hier wichtige Begriffe in ihrer Bedeutung definiert und festgelegt sind. Da die Kenntnis dieser Fachbegriffe, die häufig Fremdwörter sind, beim wissenschaftlichen Leser vorausgesetzt werden kann, sind wissenschaftliche Texte für Laien nur schwer verständlich. Die einzige Ausnahme bilden hier Lehr- und Einführungsbücher, die den Studienanfängern die Begriffe und Zusammenhänge überhaupt erst näher bringen möchten.
Gattungen wissenschaftlicher Texte Abhängig vom Inhalt, aber hauptsächlich von der Funktion im Wissenschaftsbetrieb, kann man zwischen verschiedenen Gattungen wissenschaftlicher Texte unterscheiden. Zunächst einmal gibt es eine Gruppe von wissenschaftsinternen Texten, die sich ausschließlich auf eine wissenschaftsbetriebsinterne Funktion reduzieren lassen, wie Hausarbeiten, die von Studierenden einzig und allein deshalb geschrieben werden, um eine von der Prüfungsordnung geforderte Leistung zu erbringen. Diese nicht selbstständigen Textformen, die nur sehr selten und wenn dann lediglich im Internet zum Download veröffentlicht werden, sind für den Buchhandel von nur geringem Interesse – weil sie auch für die Zielgruppe der Wissenschaftler unbedeutend sind. Denn erstens sind sie durch ihren verwaltungstechnischen Anlass von nur lokalem Interesse, zweitens sind von Studierenden geschriebene Texte nicht zitierfähig, da sie im akademischen Sinn nicht als wissenschaftlich gelten. Drittens sind sie häufig auch ihres Inhalts wegen für die Wissenschaftler wenig interessant, weil Textgattungen wie Exposés, Exzerpte usw. keine eigenen neuen Ergebnisse beinhalten, sondern lediglich Erklärungen von Forschungsabsichten bzw. Kompilationen (Zusammenstellungen) der Forschungsergebnisse anderer sind.
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Wichtig für den Buchhandel sind dagegen die selbstständigen Formen wissenschaftlicher Texte, die bei den entsprechenden Verlagen veröffentlicht werden und im Buchhandel auch erhältlich sind. Da die folgenden Begriffe in den bibliografischen Angaben, meistens schon im Titel oder Untertitel aufgeführt werden, kann man als Buchhändler die Textform bereits durch die Literaturrecherche herausfinden und dadurch einschätzen, welcher Titel für welche Kundeninteressen geeignet ist. Hier eine Übersicht der gängigsten Gattungen:
Wissenschaftliche Publikationsformen
Die Gattungen wissenschaftlicher Texte unterscheiden sich neben ihrer unterschiedlichen Ausrichtung untereinander vor allem darin, aus welchen Gründen sie von wem gelesen werden. Studierende beschäftigen sich insofern mit einer wissenschaftlichen Disziplin, als sie erstens einen Überblick über sie bekommen möchten und zweitens den prüfungsrelevanten Stoff vertiefen möchten; ihnen wird man Reader, Skripte und Repetitorien usw. empfehlen. Ein Dozent wird kein Repetitorium und auch keinen Reader für seine eigene Arbeit verwenden können. Er liest keine wissenschaftlichen Texte, um sich in sein Themengebiet erst einzuarbeiten, sondern um sich auf dem aktuellen Stand der Forschung zu halten und wird daher zu Dissertationen, Habilitationen oder Festschriften greifen.
Man muss also wissen, welche Gattung für welche Kundeninteressen relevant ist und welche Gattungen man welcher Kategorie von Kunden empfehlen kann. Hat man zum Beispiel im Rahmen einer Trefferliste nach der Bibliographie die Wahl zwischen einem entsprechenden Fachlexikon und einer Fachenzyklopädie, kann man bereits anhand der Bezeichnung erkennen, welches dieser beiden Nachschlagewerke umfassender und gründlicher ist. Für die angemessene Beratung ist es daneben unerlässlich, eine Vorstellung davon zu haben, dass wissenschaftliche Texte aus völlig anderen Gründen und daher auch überhaupt völlig anders gelesen werden als zum Beispiel belletristische Texte. Nur in äußerst seltenen Fällen werden sie zum Vergnügen gelesen; stattdessen bedient man sich ihrer, um sich zunächst Informationen zu verschaffen.
Außerdem liest man diese Texte nicht nur gründlich und genau, um sich eingehend zu informieren, sondern man muss beim Lesen gleichzeitig deren wissenschaftliches Vorgehen und die Argumentation prüfen. Das verlangt ein kritisches Lesen. Erweist sich ein Text sowohl der Form als auch dem Inhalt nach als wissenschaftlich stichhaltig und als relevant für die eigene Problemstellung, kann er für die eigene Arbeit hinzugezogen werden – natürlich nicht ohne zuvor in der Bibliografie korrekt angeführt worden zu sein. Man liest also wissenschaftliche Texte, um sich zu informieren, um sie kritisch zu hinterfragen und sie dann als Hilfsmittel zu benutzen. Daraus erklärt sich wiederum das oben bereits geschilderte Phänomen, dass wissenschaftliche Texte wesentlich mehr Wert auf Genauigkeit und Korrektheit als auf Anschaulichkeit legen.
Periodika Periodika nehmen eine gewisse Sonderstellung unter den Gattungen ein, insbesondere die wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Zunächst zu ihrem inhaltlichen Aufbau: sie bestehen hauptsächlich aus einer Reihe von wissenschaftlichen Fachartikeln. Diese Fachartikel dienen dazu, einer Wissenschaftlergemeinde neue Erkenntnisse wie Forschungsergebnisse und Forschungsberichte bekannt zu machen und zu erläutern. Wissenschaftliche Zeitschriften sind daher das wichtigste Mittel, wenn es darum geht, den aktuellen Stand der Forschung zu überblicken und zeitnah zu verfolgen. Einen weiteren inhaltlichen Bestandteil bilden die Rezensionen einschlägiger wissenschaftlicher Neuerscheinungen. Sie sorgen dafür, dass den Lesern wichtige Neuerscheinungen nicht entgehen. Ferner können Wissenschaftler durch die Buchbesprechungen besser einschätzen, ob sich eine genaue Lektüre des besprochenen Titels für sie lohnt. Durch eine Übersicht über die Fachartikel der aktuellen vergleichbaren wissenschaftlichen Fachzeitschriften im Anhang verpassen die Leser auch keine Fachartikel anderer Zeitschriften, die für sie von Bedeutung sind.
Aber nicht nur über die inhaltliche Entwicklung einer wissenschaftlichen Disziplin informieren die wissenschaftlichen Fachzeitschriften, sondern auch über den Wissenschaftsbetrieb. Daher findet man in diesen Zeitschriften in der Regel eine Auflistung von Terminen einschlägiger Kongresse, Fachtagungen etc. Außerdem verhilft die Auflistung von Personalien wie Jubiläen, Lehrstuhlbesetzungen usw. dazu, den Überblick über das Personal der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin zu behalten. Die Abonnenten dieser Zeitschriften sind vor allem Universitäts- oder Institutsbibliotheken. Bei Fachzeitschriften lässt sich ähnlich wie bei Fortsetzungen eine Preisspirale beobachten: erstens lassen immer weiter sinkende Abonnentenzahlen die Preise steigen, und zweitens haben einige Zeitschriften insofern eine beherrschende Marktstellung, als sie von allen einschlägigen Wissenschaftlern ihres Renommees wegen gelesen und von den Bibliotheken gekauft werden müssen. Beispielhaft für solche marktbeherrschende Zeitschriften sind Nature, Science und The American Economic Review. Weitere renommierte Zeitschriften werden in den Kapiteln zu den jeweiligen Themenbereichen genannt werden. Von den wissenschaftlichen Buchverlagen werden die Fachzeitschriften außerdem als taktisches Instrument dazu genutzt, um ohne Streuverlust direkt die entsprechende Zielgruppe zu erreichen und so einen zusätzlichen Vertriebskanal für die eigenen Buchpublikationen zu schaffen.
Wissenschaftliche Titel im Sortiment Wissenschaftliche Texte weisen bestimmte buchhändlerische Besonderheiten auf. Die augenfälligste erklärt sich bereits aus ihrer angesprochenen Funktions- und Rezeptionsweise: die schlichte Covergestaltung. Dabei sollte die Schlichtheit nicht nur als Mangel betrachtet werden, sondern durchaus als Kalkül. Die Einfachheit soll die Bedeutsamkeit des Inhalts unterstreichen und die Erwartung eines vornehmen Understatements durch das anzusprechende akademische Publikum bedienen. Außerdem sind die leider niedrigeren Rabatte, die in der Regel zwischen 20 und 30 Prozent liegen, zu betonen. Dafür erhält der Buchhändler die so genannte wissenschaftliche Partie: Bei sechs abgenommenen Exemplaren liefern viele Verlage ein unberechnetes Freistück zusätzlich, wenn dies bei der Bestellung vereinbart wurde, also eine 7/6 Partie. Eine weitere Besonderheit wissenschaftlicher Titel besteht darin, dass sie – mit Ausnahme von Fach- und Universitätsbuchhandlungen – selten vorrätig gehalten werden. Der Buchhandel mit wissenschaftlichen Büchern beschränkt sich daher in der Mehrzahl der Fälle auf das Besorgungsgeschäft und die Zielkäufe. Denn ein Kunde weiß genau, welches Buch er möchte und bestellt es dann in seiner Buchhandlung.
Warum sind wissenschaftliche Texte dennoch ein attraktiver Handelsgegenstand? Da sind zuerst die relativ hohen Ladenpreise und der hohe Anteil des Rechnungsgeschäfts. Die hohen Ladenpreise resultieren aus der kleinen Zielgruppe und der damit einhergehenden niedrigen Deckungsauflage. Für die Buchhändler bedeuten hohe Ladenpreise aber auch hohen Umsatz. Und was man auch nicht vernachlässigen darf ist die Tatsache, dass trotz der schlechten Rabattierung durch die hohen Preise letztendlich ein – verglichen mit belletristischen Titeln – relativ hoher Rohgewinn erwirtschaftet wird. Mit den hohen Ladenpreisen hängt teilweise auch die Attraktivität wissenschaftlicher Titel für das Rechnungsgeschäft zusammen. Auch wenn die Etats wissenschaftlicher Bibliotheken vielerorts immer mehr zusammengestrichen werden, sind sie immer noch bedeutsam. Zählt man solche Bibliotheken zu seinen Kunden, bescheren einem nicht nur die hohen Ladenpreise einen ansehnlichen Umsatz, sondern der relativ hohe Anteil von Zeitschriften und Fortsetzungen macht diesen Umsatz auch kalkulierbar.
Wissenschaftliche Fachbücher sind also für das Rechnungsgeschäft in jedem Fall interessant. Ob man sie auch in das Sortiment aufnimmt und vorrätig hält, hängt davon ab, ob ein signifikanter Anteil an Akademikern zur Zielgruppe der Buchhandlung gehört. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn sich eine oder mehrere Hochschulen in Ladennähe befinden. Zur Zielgruppe der Akademiker ist grundsätzlich zu sagen, dass diese Gruppe in dreierlei Hinsicht sehr wichtig ist:
Befindet sich also eine Hochschule im Einzugsgebiet der Buchhandlung, sollte man als Buchhändler bestimmte Dinge beachten. Vor allem sollte man die Literaturangaben in den kommentierten Vorlesungsverzeichnissen, die inzwischen häufig nur noch online veröffentlicht werden, durcharbeiten und die jeweiligen Texte vorrätig halten. Jede akademische Veranstaltung wird von diesen Literaturhinweisen begleitet. Entweder sind diese Literaturangaben als Hilfestellung für eine weiterführende freiwillige Lektüre gedacht, dann wird die Nachfrage eher gering sein. Oder aber die angegebene Literatur ist die verpflichtende Arbeitsgrundlage eines Seminars, was für den Buchhandel wegen der höheren Anzahl der Bestellungen attraktiver ist, aber auch deshalb, weil sich durch die Teilnehmerzahl einer Veranstaltung der zu erwartende Absatz eines Titels einschätzen lässt. Diese Informationen über Literaturangaben und Teilnehmerzahlen und dann natürlich auch die entsprechenden Bücher müssen jedoch frühzeitig beschafft werden. Optimal ist natürlich immer, mit den Sekretariaten der Institute, aber besser noch mit den entsprechenden Dozenten, frühzeitig vor Vorlesungsbeginn Kontakt aufzunehmen, und sie auf den Service der Buchhandlung aufmerksam zu machen. Gerade dieser Lehrbuchmarkt spielt eine große Rolle. Weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit bieten sich in Form von Büchertischen in den Hochschulen an, die anlässlich von Antritts- oder Abschiedsvorlesungen, Gastvorträgen usw. organisiert werden können. Man kann also nicht nur versuchen, die Zielgruppe in das Ladengeschäft zu locken, sondern man kann mit seinem Angebot auch direkt zur Zielgruppe gehen und dort auf sich und sein Angebot aufmerksam machen.
Für alle Buchhändler ist es unumgänglich, die wichtigsten Verlage, Verlagsprofile und Verlagsprogramme zu kennen und deren Entwicklung regelmäßig zu verfolgen – unabhängig davon ob sie wissenschaftliche Fachbücher in ihr Sortiment aufnehmen oder nicht.
[...]
Nicht nur bei belletristischen, auch bei Fachbüchern sollte der Buchhändler wissen, welche Verlagsprogramme zu welcher Zielgruppe und zu seiner Sortimentsgestaltung passen. Außerdem kann man bei sehr ungenauen Suchbegriffen die Suche intelligent eingrenzen. Letztendlich sind verschiedene Verlage und Verlagsreihen durchaus entscheidende Indikatoren für wissenschaftliche Qualität. Hat man sich als Buchhändler dafür entschieden, Fachbücher mit in das allgemeine Sortiment aufzunehmen, sind eine zielgerichtete Auswahl sowie die Beschränkung auf einige A-Verlage sinnvoll.
Tendenzen auf dem Markt für wissenschaftliche Bücher Wissenschaft ist nichts Statisches, sondern verändert sich ständig. Im Sortimentsbuchhandel kommt es daher darauf an, auf diese Tendenzen möglichst zeitnah zu reagieren. Dabei genügt es nicht, sich auf das Durchlesen von Verlagsvorschauen zu beschränken, weil man hier die Tendenzen nur indirekt verfolgen kann, nämlich vermittelt durch die jeweiligen Lektorate. Besser ist es daher, sich direkt an den wissenschaftlichen Quellen der jeweiligen Disziplinen zu informieren. Welche das jeweils genau sind, darauf wird in den einzelnen Kapiteln hingewiesen. Hier soll vorab nur ein fachübergreifender Prozess sowie die branchenspezifischen aktuellen Trends beschrieben werden.
Nicht nur direkt in den jeweiligen Institutionen, schon durch öffentliche Diskussionen lassen sich einige Entwicklungen in der Wissenschaft verfolgen. Der derzeit tiefgreifendste dürfte der Bologna-Prozess sein. Im Jahr 1999 gaben 29 europäische Staaten die so genannte Bologna-Erklärung ab. Das Hauptziel war, den Hochschulbetrieb in Europa anzugleichen, insbesondere auch die jeweiligen Leistungsbewertungen der Studierenden vergleichbar zu machen, um so den innereuropäischen Hochschulwechsel zu erleichtern. Um dieses Ziel zu erreichen, hat man ein Punktesystem, das European Credit Transfer System, sowie gleichlautende und nominell gleichwertige Abschlüsse, nämlich den Bachelor und den Master eingeführt. Am Bologna-Prozess lässt sich nun ganz deutlich nachweisen, wie sich Reformen innerhalb des Wissenschaftsbetriebs direkt auf den Buchhandel auswirken: dadurch, dass Studierende plötzlich viel mehr Seminare besuchen müssen und daher pro Thema weniger Zeit zum Einarbeiten haben und ihren ersten akademischen Abschluss bereits nach sechs Semestern (drei Jahren) erwerben, werden die didaktischen Fachbücher wie Einführungsbände immer dünner und passen sich den gesunkenen fachlichen Voraussetzungen für die Bachelor-Studiengänge an. Für viele Studiengänge entstanden und entstehen sogar spezielle ›Bachelor-Bücher‹ oder ›Bachelor-Reihen‹.
Auch auf Seiten der Verlage ist einiges im Umbruch. So werden die akademischen Zweckschriften wie Dissertationen, Habilitationen, Sammelbände und Festschriften immer häufiger von darauf spezialisierten Kleinst- und/oder Universitätsverlagen, meist im Print-on-Demand-Verfahren, verlegt. Print-on-Demand, also der Digitaldruck auf Nachfrage, ermöglicht das Drucken in niedrigsten Auflagen. Einige Wissenschaftsverlage haben sich bereits hierauf spezialisiert, beispielsweise der VDM- oder GRIN-Verlag. Deren Taktik besteht darin, sich die Verwertungsrechte an möglichst vielen wissenschaftlichen Titeln zu sichern und diese dann durch eine bloße Meldung zu ›veröffentlichen‹, dadurch eine riesige Backlist ohne Kosten für eine Lagerhaltung lieferbar zu halten und mit etwas Glück einen wissenschaftlichen Bestseller zu landen. Aber auch bereits etablierte und renommierte Wissenschaftsverlage halten ihre Backlist immer öfter durch Print-on-Demand lieferbar.
Um die Druckkosten komplett einzusparen, werden wissenschaftliche Texte zunehmend ausschließlich als E-Book veröffentlicht. Der Begriff E-Book besagt dabei zunächst nichts weiter, als dass ein Buch in elektronischer Form vorliegt, in der bereits seit einigen Jahrzehnten Bücher ja auch hergestellt werden. Daher sei gleich hinzugefügt, dass der Trend der Digitalisierung im Bereich der wissenschaftlichen Fachliteratur bereits weiter fortgeschritten ist als es die öffentliche Diskussion um E-Books suggeriert. Das digitale Format ist also nichts Neues. Was in der öffentlichen Wahrnehmung dagegen stark präsent ist, sind die technisch machbaren und vielfältigen Weiterverwendungen von E-Books, vor allem deren Lektüre mit Hilfe digitaler Lesegeräte (Reader). Digitale Lesegeräte bieten für die wissenschaftliche Arbeit allerdings keinen Mehrwert. Im Gegenteil: Die Funktionalität eines Notebooks ist weitaus größer und für die tägliche Arbeit angemessener. Dagegen bestechen ganz andere Vorteile der E-Books: via Volltextsuche sekundenschnell in Texten nach Begriffen zu suchen, oder die Möglichkeit, den Text via copy and paste als Zitat in den eigenen einfügen zu können. Und natürlich auch die Möglichkeit, Texte bequem aus dem Internet herunter laden zu können, wobei die Frage bleibt, ob dies kostenlos geschieht oder ob dies mit Download-Gebühren verbunden ist, an denen der Sortimentsbuchhandel beteiligt sein sollte.
Open Access bezeichnet eine Position, die aus dem Umfeld der Wissenschaft und teilweise auch der Politik vorgetragen wird, und die den freien und kostenlosen Zugang zu wissenschaftlichen Informationen fordert. In technischer Hinsicht sind die Hürden dafür durch die Digitalisierung extrem gesunken. Die Extremposition bildet die in den Medien häufig anzutreffende Forderung nach einer ›Kulturflatrate‹, also bedingungslos unbegrenzten Zugriff auch auf urheberrechtlich geschützte Inhalte. Die Argumentation der Befürworter stützt sich bei wissenschaftlichen Texten vor allem auf das Argument, dass wissenschaftliche Erkenntnisse ohnehin bereits von der Allgemeinheit finanziert worden seien, insofern sie im Rahmen der wissenschaftlichen Tätigkeit an einer Hochschule gewonnen wurden. Der ökonomische Nutzen durch die Verwertungsrechte sei folglich eine Zweitverwertung von Rechten, die eigentlich der Allgemeinheit zustünden. Von den Gegnern wird argumentiert, dass erstens allein das Urheberrecht und die aus ihm folgenden Verwertungsrechte einen Anreiz böten, um auch in Zukunft die breite Masse auch an wissenschaftlichen Neuerscheinungen zu garantieren und zweitens eine Funktion der Verlage auch darin bestehe, Texte zu akquirieren, lektorieren und zu bewerben, was weit über ein Zugänglichmachen für die Öffentlichkeit hinausgehe und der Qualität der Texte zu Gute komme.
Englisch als internationale Wissenschaftssprache stellt für einen immer größeren Teil der in Deutschland geschriebenen wissenschaftlichen Texte die Ausgangssprache dar. Bei Zeitschriften ist dies noch weit mehr verbreitet als bei Monographien. Aus Sicht der Verlage hat dies auch einen (vertriebs)taktischen Aspekt. Ist ein Buch auf Englisch verfasst, kann man es in der ganzen Welt verkaufen. Als Fachbuchhändler sollte man also des Englischen zumindest insoweit mächtig sein, als man von Kunden ausgesprochene Namen und Titel zur bibliographischen Suche korrekt eingeben kann. Im Zweifelsfall hilft auch die bei einigen Datenbanken mögliche ›phonetische Suche‹. Hier kann man den Titel so eingeben, wie er klingt. Im Idealfall kann die Datenbank diese Lautumschreibung der korrekten Schreibweise zuordnen und die gewünschten Treffer anzeigen.
Auch auf Seiten des Sortimentsbuchhandels lässt sich eine eindeutige Tendenz beobachten. Der geringe Anteil an Fachbüchern, der bislang überhaupt noch als Prestigesortiment vorrätig gehalten wurde, verschwindet zunehmend aus den Regalen. Vor allem in den Konzernbuchhandlungen greift eine zunehmende Boulevardisierung um sich, deren erklärtes Ziel es ist, strategische Überlegungen auf rein ökonomische Betrachtungen und die ökonomischen wiederum lediglich auf bilanzierbare Faktoren zu reduzieren. Daher nimmt es nicht wunder, dass das Prestigesortiment konsequent abgeschafft wird. Überlegungen, die mindestens genauso viel Einfluss auf die Bilanz haben, auch wenn sie nicht messbar sind, kommen dabei zu kurz. Zu ihnen gehört zum Beispiel der Stellenwert der Akademiker als Zielgruppe, die nicht nur Vielleser und -käufer, sondern vor allem Multiplikatoren sind. Und im vielbeschworenen Zeitalter der Digitalisierung sind es gerade scheinbar altmodische Dinge wie buchhändlerische Fachkenntnisse oder eine profilschärfende Sortimentsgestaltung, die erst den Mehrwert einer Sortimentsbuchhandlung ausmachen.
[siehe zum selben Thema auch den Artikel Die Arbeitsabläufe eines editionsphilologischen Buchprojektes]
Auszug aus dem Buch Klaus-W. Bramann/Michael Schikowski/Michael Buchmann (Hg.): Warengruppen im Buchhandel. Grundlagen - Allgemeines Sortiment - Fachbuch, Frankfurt am Main, Bramann Verlag, 2011.
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