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Probleme des Wissenschaftslektorats: Auf der Suche nach dem populären Sachbuch
von Dr. Bernd Villhauer
Formate Für die jeweiligen Programmbereiche mit ihren Buchtypen und -formaten, von denen aus über das Sachbuch nachgedacht wird sowie für die unterschiedlichen Publikationsfelder gelten jeweils andere Regeln. Wir haben zwei zentrale Bereiche aufgelistet, um einiges daran vorzuführen.
Forschung Die Forschungsliteratur dient der Begleitung und Dokumentation der Fachdiskussion; über lange Jahre waren dabei die Qualifikationsschriften, also Dissertationen und Habilitationen, ein entscheidender Bestandteil. (Zudem sorgten diese Publikationen für beruhigend regelmäßige Einnahmen – was gerade für die kleinen Wissenschaftsverlage von großer Bedeutung war.) Auch Tagungsbände gehören hierher, ebenso die Festschriften, obwohl hier der wissenschaftliche Nutzen oft fraglich ist und die Ehrung einer Person im Vordergrund steht. Bücher zur Entwicklung der Forschung setzen Fachwissen voraus, bedienen sich der Expertensprache und haben üblicherweise einen sehr kleinen Verbreitungskreis. Hier ist das fachliche Wissen zu finden, das sich in Auseinandersetzung mit den aktuellen Forschungsdiskursen artikuliert und die kreative Weiterentwicklung im Rahmen des Fachbereichs sucht. Diese Bücher stehen oft in Konkurrenz zu Veröffentlichungen in Fachzeitschriften bzw. gegenwärtig zunehmend zu Diskussionsbeiträgen im Internet. In einigen Wissenschaften hat die Veröffentlichung als Fachartikel die Buchveröffentlichung ersetzt; für längere Buchpublikationen ist dort kein Platz mehr.
Lehrbuch Lehrbücher sollen die Ausbildung bzw. das Studium unterstützen und richten sich dementsprechend in hohem Maße nach der Entwicklung des Curriculums, also des Lehrplans an den verschiedenen Ausbildungseinrichten, etwa Universitäten und Fachhochschulen. In diesem Bereich haben die Autorinnen und Autoren ein bestimmtes Publikum im Auge und versuchen mit ihren didaktischen Strategien die entsprechenden Inhalte effektiv zu vermitteln. Behandelt wird aber eben nur das, was gelehrt wird, d.h. kanonisiert und in reproduzierbaren Einzelteilen darstellbar ist. Bei Lehrbüchern ist zu beachten, dass diese in gewissen Fächern schnell überarbeitet werden müssen und dass man daher schon bei der Entwicklung des Buches und der Vorbereitung der ersten Auflage ein solches Aktualisieren einplanen und dafür Arbeitsstrukturen schaffen muss.
Beide Segmente ermöglichen den Zugang zu Sachbuchtypen unter folgenden Fragen: „Was man wissen muss“ und „Worüber gerade gesprochen wird“. Für die „Was man wissen muss“-Bücher (wie „Das Römische Reich in 100 Antworten“) können die didaktischen Vorgaben des Lehrbuchs und die Konzentration auf einen Kanon hilfreich sein; im Falle der „Worüber gerade gesprochen wird“-Bücher (wie „Bevölkerungsimplosion. Sterben die Deutschen aus?“) kann man sich von den Forschungsdiskussionen anregen lassen. Ein aktuelles Beispiel hierfür wäre die Hirnforschung, bei der um die eigentlichen wissenschaftlichen Ergebnisse herum ein großer Marktplatz für Sachbücher der verschiedenen Komplexitätsstufen entstanden ist.
Was geht schief bei der Sachbuchplanung? Viele Wissenschaftsverlage wollen Sachbücher machen, aber nicht immer gelingt es, Bände vorzulegen, die das Fachpublikum und die allgemeine Leserschaft befriedigen. Man könnte argumentieren, dass die Einschätzung der Fachwelt ohne Belang ist wenn man konsequent auf den großen Publikumserfolg hin plant. Rezensionen in Fachzeitschriften haben auf den Absatz ohnehin kaum Einfluss. Das wäre aber kurzsichtig, da die Wissenschaftler als Multiplikatoren doch von einer gewissen Bedeutung sind, man sie für speziellere Fachveröffentlichungen in anderen Programmteilen nicht verlieren will und schließlich auch die Autoren der populären Darstellungen um Anerkennung in Fachkreisen bemüht sind. Für die Autorenfindung ist es also vorteilhaft, wenn die Sachbücher beim Fachbuchpublikum gut ankommen.
Das Sachbuch, das Ergebnisse der Wissenschaft popularisiert, muss zunächst einmal schlicht geschrieben werden. Das ist die Crux, da es – überspitzt gesagt – entweder Autoren gibt, die gut schreiben oder solche, die etwas von der Sache verstehen. Gerade in der deutschen Wissenschaftskultur ist die Schnittmenge zwischen diesen Gruppen eher klein. Obwohl hier einiges in Bewegung kommt und man sich zunehmend die angelsächsische Verschränkung von fachwissenschaftlichem und journalistischem oder essayistischem Stil zum Vorbild nimmt, kann man immer noch sagen, dass verständliches Schreiben und Sensibilität für die Bedürfnisse einer größeren Leserschaft in Deutschland eher die Ausnahme als die Regel sind. Der Wissenschaftler will (bewusst oder unbewusst) seine Fachkolleginnen und -kollegen erreichen, seine Reputation in diesem Umfeld erhöhen, auch um so Karrierechancen zu schaffen.
Dem Fachlektor fällt daher vor allem die Aufgabe zu, für schwierige Fachtexte Kürzungen oder Korrekturen vorzuschlagen, die den Text verständlicher machen – möglichst ohne die Präzision des Fachwissenschaftlers in ein unverbindliches allgemeines Gerede mit Plattitüdencharakter zu verwandeln. Denn natürlich kann nicht jede Thematik in einem beliebigen Umfeld oder für ein beliebiges Publikum aufbereitet werden. „Kants Ontologie in 5 Minuten“ oder „Chemie der Molekularbiologie für alle“ – das sind eben normalerweise keine Bücher über Kant bzw. die Molekularbiologie, sondern nur Bemerkungen über eine jeweils sehr reduzierte Version des Themenfeldes.
Anders stellt sich das bei der wachsenden Anzahl von Journalisten mit Fachkenntnissen dar, die ein Thema griffiger darstellen können als die Forscher und nicht so sehr den Reputationsverlust fürchten müssen, wenn sie sich in Bezug auf die Flüssigkeit der Darstellung zu sehr aus dem Fenster gelehnt haben. Hier sollte man dann natürlich prüfen, ob der Autor zusätzlich zu seinen journalistischen auch wissenschaftliche Ambitionen hat. Manche fühlen sich im Journalismus intellektuell unterfordert und wollen deshalb über Bücher den Einstieg in den Forscherdiskurs schaffen; genauso gibt es aber natürlich auch Wissenschaftler, die aus den engeren Universitätskreisen hinausstreben…
Kommt der Autor zum Thema oder das Thema zum Autor? In der Verlagsplanung werden meist Themen gesucht und besetzt; man muss also zunächst das attraktive Themenfeld abstecken. Der Lektor muss deshalb in seinem Haus für die Relevanz eines Themas werben und plausibel machen, dass tatsächlich ein größeres Publikum für ein bestimmtes historisches, philosophisches oder physikalisches Problem interessiert werden kann. Natürlich haben Themenfelder Konjunkturen und die Laune der Mode macht es dann gelegentlich auch möglich, dass ein Buch zum Sachbuchbesteller wird, das ein sehr spezielles Thema auf nicht ganz leicht zugängliche Art behandelt. Man denke an die politisch-philosophischen Werke, die in den 60ern und 70ern populär waren und die man heute als unlesbar empfindet oder man frage sich, wie man als Lektor einen sehr erfolgreichen Titel wie „Gödel Escher Bach“ von Hofstadter in einer Verlagskonferenz vorstellen möchte. Unwägbarkeiten und Überraschungen finden sich auch bei der Ratgeberliteratur. Zu allen Lebensbereichen gibt es detaillierte Lebensanweisungen; vieles, das früher intuitiv erfasst wurde, von den Eltern tradiert oder in einem Lebensumfeld selbstverständlich erfahren wurde, muss nun in einem Ratgeber ausbuchstabiert werden. Und um dem Ratgeberbuch möglichst große Glaubwürdigkeit zu verleihen, wird eine wissenschaftliche Autorität herangezogen – womit wieder der Wissenschaftslektor im Spiel wäre.
Um einschätzen zu können, welche Themen dauerhaft geeignet sind, im Sachbuch behandelt zu werden oder welche gerade in der nächsten Zukunft eine solche Behandlung lohnen, müssen nicht nur „der Markt“ und „die Fachdiskussionen“ beobachtet werden, sondern es empfiehlt sich, ein möglichst großes Netzwerk von Autoren und Lektoratskollegen immer wieder daraufhin zu befragen.
Die große Gruppe freier Lektoren sollte man dabei nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung sehen – da diese über den Firmentellerrand hinaussehen können und Vorschläge abseits der Trampelpfade machen.
Nicht abgekürzt wird die Suche nach dem Sachbuch dadurch, dass die wirklich großen Verkaufserfolge meist von Büchern erzielt werden, die nicht im Umfeld des Wissenschaftslektorats entstehen: Biographien Prominenter, Ratgeber, politische Manifeste, Polemiken… Dass Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ zum erfolgreichsten Sachbuch der Nachkriegszeit werden würde, war wohl kaum absehbar. Auf der zur Zeit der Abfassung dieses Beitrags aktuellen Spiegel-Bestsellerliste 14/2011 finden sich jeweils an erster Stelle: Stephane Hessel, „Empört Euch“ (Taschenbuch) und Margot Käßmann, „Sehnsucht nach Leben“ (Hardcover) – Veröffentlichungen also, die man als Wissenschaftslektor nicht Jahre zuvor als Projekt anlegen kann… Möglicherweise ergibt sich daraus aber eine der wichtigsten Lehren, die der Unplanbarkeit eben. Letzten Endes hängt es von vielen zufälligen Umständen ab, ob ein populäres Sachbuch so populär wird wie gewünscht. Ist das eine Beruhigung?
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