TexturenWissenschaftskunde
Die Warengruppe Philosophie
von Michael Buchmann
Die Philosophie kann auf keinen genau definierbaren Gegenstandsbereich zurück geführt werden. Sie lässt sich statt dessen am besten durch einen kurzen historischen Rückgriff veranschaulichen: das griechische Wort ›philosophia‹ bedeutet ›Liebe zur Weisheit‹. Damit haben sich die antiken griechischen Philosophen mit ihrer Namensgebung schon früh und bewusst gegen die ›Weisheitsbringer‹, die Sophisten, abgegrenzt. Sie wollten gezielt zum Ausdruck bringen, dass sie sich nicht im Besitz der Weisheit wähnen, dass sie sich aber stetig um deren Erlangen bemühen. Das ›Weisheit bringen‹ verstanden die Philosophen als unlautere Anmaßung. Was man bis heute oft als Nachteil der Philosophie empfindet, das vermeintliche Fehlen handfester Erkenntnisse und Lebensregeln, hat man also bereits vor über zweitausend Jahren zur wesentlichen Tugend der Philosophie erklärt.
Doch die Leser populärer Philosophietitel erhoffen sich genau jene handfesten Erkenntnisse und die Anwendung dieser Erkenntnisse auf lebensweltliche Fragen. Daraus erklärt sich die große buchhändlerische Bedeutung von Teildisziplinen wie Angewandte Ethik und Lebenskunst. Denn interessierte Laien erwarten von philosophischen Texten etwas völlig anderes. Zwar möchten auch sie sich einen Überblick über den bildungsbürgerlichen Kanon philosophischer Texte verschaffen und fragen daher häufig nach gut lesbaren Philosophiegeschichten. Sie erwarten aber auch Antworten auf die so genannten ›großen Fragen des Lebens‹. Sie greifen daher nicht nur zu Büchern, die den Kanon leicht verständlich zusammenfassen, wie zum Beispiel Richard D. Prechts Wer bin ich und wenn ja, wie viele?, sondern auch zu Büchern, die sich einem populären Thema widmen, wie beispielsweise Wilhelm Schmids Buch Glück.
Die akademische Philosophie hat nie die grundlegenden Fragen vergessen, von denen sie einst ausging. Kant beispielsweise formuliert sie so: »Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?«. Aber tatsächlich haben diese scheinbar simplen Fragen die Philosophie zu viel abstrakteren Problemstellungen geführt, vor allem zur Reflexion über die Bedingung und Möglichkeit von Erkenntnis und Wissensbildung. So führten die prominenten vier kantischen Fragen zur Erkenntnistheorie, zur Ethik, zur Religionsphilosophie und zur Anthropologie. Weitere wichtige Teildisziplinen der Philosophie sind Logik, Wissenschaftstheorie, Ästhetik sowie Sprach- und Kulturphilosophie.
Lagerordnung […] Für alle Zielgruppen gilt: Am Anfang der Abteilung sollten Lexika, Nachschlagewerke, Wörterbücher und Gesamtdarstellungen stehen. Überwiegt das akademische Publikum, weil etwa eine Universität mit einem Institut für Philosophie in unmittelbarer Nähe liegt, bietet sich im Weiteren ein thematischer Aufbau an, analog zur oben dargestellten Systematik. Hierbei sortiert man chronologisch nach Epochen sowie im Anschluss daran die zeitgenössische Philosophie nach Themengebieten, damit sich das fachkundige Publikum sofort zurechtfindet. Der Mehrwert für die Kunden besteht bei dieser Ordnung darin, dass sie alle Titel zu dem für sie interessanten Thema an einem Platz finden und so auch für sie relevantes Neues entdecken können und dadurch Zusatzverkäufe generiert werden.
Allerdings setzt ein thematischer Aufbau fundierte Philosophiekenntnisse sowohl bei den Kunden als auch bei den Buchhändlern zwingend voraus. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Akademiker völlig andere Textausgaben bevorzugen. Zitierfähige Textausgaben sind in der Warengruppe Philosophie beispielsweise diejenigen des Meiner Verlags. Auch Kommentare und andere Sekundärliteratur sind für das Fachpublikum von Bedeutung. Bei Semesterliteratur ist außerdem auf den Vorlesungsbeginn zu achten; die jeweiligen Seminarlektüren sind im Vorfeld zu erfragen. Außerdem ist es klug, die Publikationen der am örtlichen Institut Lehrenden sowie die Standardwerke der von ihnen vertretenen wissenschaftlichen Richtungen vorrätig zu halten.
In den meisten Fällen wird die Warengruppe allerdings Teil einer Buchhandlung mit allgemeinem Sortiment sein. Hier ist es zweckdienlich, alle weiteren Titel alphabetisch zu ordnen. Dabei stehen dann beispielsweise Texte von Kant, Kantbiografien und Kantkommentare beieinander. Interessierte Laien bevorzugen deutlich günstigere Leseausgaben der Texte bekannter historischer Philosophen wie die des Reclam Verlags. Zur leichten Aneignung bekannter historischer philosophischer Texte sollten Anthologien vorrätig gehalten werden, ebenso Sachbücher, die allgemeinverständlich in die Philosophiegeschichte einführen oder Antworten auf populäre Fragen bzw. Themen versprechen. Außerdem bieten Biografien von Philosophen immer einen leichten und anschaulichen Einstieg in die jeweiligen philosophischen Systeme.
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Philosophie und Kulturwissenschaft Die institutionelle Grundlage der Philosophie schwindet, denn es gibt immer weniger Studienanfänger, die sich für ein Philosophiestudium entscheiden. Dadurch gibt es immer weniger Institute an den Universitäten und immer weniger Lehrende. Glücklicherweise gehen diese Ressourcen nicht einfach verloren, sondern werden zum Teil von der Kulturwissenschaft aufgefangen. Anfang des letzten Jahrhunderts entstanden, hat die Kulturwissenschaft einen ähnlich weiten bis unbegrenzten Gegenstandsbereich wie die Philosophie. Denn der Begriff ›Kultur‹ umfasst nicht nur Kunst und Bildung sondern bezieht sich auch in einem weit gefassten Sinn bis auf den ›Kulturbeutel‹. Ihrem Wesen nach ist die Kulturwissenschaft interdisziplinär: sie bedient sich der Erkenntnisse und Methoden vieler geisteswissenschaftlicher Disziplinen.
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Diese Verschiebung wissenschaftlicher Disziplinen bietet vor allem denjenigen Buchhandlungen eine Lösung zur Lagerordnung, die nur wenige geisteswissenschaftliche Titel am Lager führen. Statt kleinteiliger Abteilungen können sie nun als übergeordnete Warengruppe für alle Geisteswissenschaften die nicht nur sachlich korrekte, sondern auch sprechende und ansprechende Bezeichnung ›Kulturwissenschaft‹ wählen.
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Unkorrigierter und gekürzter Auszug aus dem Buch Klaus-W. Bramann, Michael Buchmann, Michael Schikowski (Hg.): Warengruppen im Buchhandel. Grundlagen - Allgemeines Sortiment -
Fachbuch, Frankfurt am Main, Bramann Verlag, 2011.
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