TexturenCampus

Der junge Ludwig Wittgenstein
Der junge Ludwig Wittgenstein

Der Skeptizismus-Begriffs in Saul Kripkes Wittgenstein-Lesart – Eine Statusanalyse, zweiter Teil

 

von Yannick Walter

 

Wittgenstein und Skepsis[1]

 

Kripke interpretiert das von ihm geschilderte Vorgehen Wittgensteins, nachdem dieser alle Möglichkeiten ausschließe, dass es in einer Person etwas gebe, was die korrekte Verwendung eines Begriffs in einer neuen Situation hervorbringen könnte, als skeptisch, da so letztlich die Möglichkeit des Meinens einer einzelnen Person geleugnet wird. Er ist sich des Ausmaßes dieses radikalen Schlusses durchaus bewusst und zögert nicht einzugestehen, dass er die skeptische Position für „lächerlich und absurd“ hält, sie zugleich dennoch „nicht logisch unmöglich“ sei (Kripke 1987: 20), was die Gegner seiner Hypothese letztlich in eine argumentative Bringschuld versetzt, sie durch das Auffinden einer entsprechenden Tatsache zu widerlegen. Baker & Hacker (1984: 6) haben in diesem Zusammenhang die fundamentalste Kritik an Kripkes skeptischer Problemdeutung geübt. Sie sehen hierin eine, über die geläufige Form des philosophischen Skeptizismus hinausgehende Position, die mit der Leugnung der Möglichkeit von Bedeutung der Möglichkeit von Sprache überhaupt die Grundlage entziehe und mithin selbstwidersprüchlich und nihilistisch sei. Der Skeptiker nehme sich selbst die Möglichkeit seine Aussage so zu meinen, weil die Bedingung der Möglichkeit von Sprache entzogen würde. Sie stützen ihre Kritik an der skeptischen Haltung darüber hinaus mit einer Kritik an der vermeintlich destruktiv-skeptischen Methode David Humes, die von Kripke in gegenteiliger Absicht zur Illustration von Wittgensteins Ausweg aus dem skeptischen Paradox angeführt wird. Anhand der Kritik Bakers & Hackers soll nachfolgend auf die mögliche Fehldeutung des Skeptizismus-Begriffs hingewiesen werden. Dessen Status und seine Begründung sollen deshalb nachfolgend im Mittelpunkt stehen, wofür auch Kripkes Vorschlag einer skeptischen Lösung Beachtung finden soll.

 

Skeptische Lösung des Paradoxes

 

Kripke belässt es nicht bei der skeptischen Problemdarstellung, sondern bietet mit Wittgenstein eine sog. skeptische Lösung an, die er in Analogie zu David Humes Lösung des Kausalitäts- bzw. Induktionsproblems löst: Hume leugnet die Möglichkeit einer kausalen Verknüpfung von früheren auf künftige Ereignisse und behauptet, dass es unter keinem Umstand möglich sei in der Betrachtung zweier aufeinanderfolgender Einzelereignisse eine kausale Verknüpfung zu sehen. Er macht jedoch geltend, dass es hingegen möglich sei, sie unter kollektive Ereignistypen zu rubrizieren, zwischen denen Regularitätsbeziehungen beobachtet werden könnten (vgl. Kripke 1987: 89). Entsprechend behaupte auch Wittgenstein, bei der Betrachtung vereinzelter Individuen ließe sich nichts für das Meinen konstitutives finden. Stattdessen gelte es, die Menschen in der sozialen Praxis wahrzunehmen, da erst vor diesem Hintergrund Meinungen gebildet werden könnten. Entscheidend sei, anstatt nach Bedingungen des Regelfolgens zu suchen, zu untersuchen, unter welchen Umständen Bedeutung zugeschrieben wird und welche Rolle diese Zuschreibungen in unserem Leben spielen (Kripke 1987: 110f.). Einzelnen Personen sei es durchaus möglich, Regeln zu folgen. Wenn sie dies täten, so geschehe dies notwendig „blind“, quasi ohne Rechtfertigung so zu handeln, jedoch nicht unrechtmäßig, was eine Lösung einer weiteren offenbar paradoxen Feststellung Wittgensteins anbietet: „Ein Wort ohne Rechtfertigung gebrauchen heißt nicht, es zu Unrecht gebrauchen.“ (PU § 289) Es sei Wittgenstein entsprechend nicht daran gelegen zu zeigen, dass eine Person nicht korrekt sprechen könne, da sie also durchaus im Recht ist, gemäß ihren Neigungen zu handeln; zentral sei eher, dass man allein in der isolierten Betrachtung ihrer Intentionen oder Verhaltensweisen keine Tatsachen feststellen könne, die sie als in Übereinstimmung mit ihrer Intention handelnd ausweist: „Sofern wir eine Einzelperson isoliert betrachten, können wir nichts weiter sagen, als daß sie durch unsere übliche Praktik berechtigt ist, die Regel so anzuwenden, wie es ihr in den Sinn kommt.“ (Kripke 1987: 112) Anders gestalte sich die Lage bei der Betrachtung einer Person in der Interaktion mit einer Gemeinschaft: dort herrsche ein Konsens über Regelanwendungen, auch – um das Beispiel wieder aufzugreifen – bei der Addition: Stimmten die Lösungen einer Person bei Additionsaufgaben mit denen der Gemeinschaft häufig genug überein, wird ihr das Beherrschen der Additionsregel bescheinigt und sie wird als normaler Sprecher in der Gemeinschaft anerkannt (Kripke 1987: 116f.). Dies habe den Nutzen, dass der Erwartungshorizont von möglichen Reaktionen festgelegt würde, so dass Personen ein Verhalten erwarten können, dass mit ihrem eigenen übereinstimmt. Im Wesentlichen seien dies die Bedingungen, mitsamt der Angabe des Nutzens, die das Regelbefolgen rechtfertigen und mithin Rechtfertigungsbedingungen seien, in Abgrenzung zu den im Tractatus relevanten Wahrheitsbedingungen.[2] Insofern ist das – in der vorliegenden Schilderung außen vor gelassene – sogenannte Privatsprachenargument, welches Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen anschließend an die Passagen zum Regelfolgeproblem vorbringt, als direktes Korrolar dieses Problems zu lesen (vgl. Wright 1984: 759): Hier betrachtet Wittgenstein die Verwendung von Wörtern, deren Sinn allein einem Sprecher bekannt ist, als sinnlos.

 

Gründe der Skepsis bei Kripke

 

Es ist der besonderen argumentativen Konfiguration der Philosophischen Untersuchungen geschuldet, in der Wittgenstein seine Kritik an seiner vormals vertretenen Auffassung nur sehr indirekt äußert und dabei zugleich den Begriff der Bedeutung selbst inhaltlich an seinen Gebrauch koppelt, und zugleich deren Auslegung durch Kripke, dass eben dieser Inhalt nicht länger im Fokus der Betrachtung steht, sondern der Umgang – und damit die Frage nach Wittgensteins Bedeutungstheorie ebenfalls sekundär wird. Das skeptische Paradox präsentiert sich entsprechend als Problem des Meinens, im Sinne des Beherrschens einer Regel (Stegmüller 1986: 66). Tatsächlich übt Wittgenstein in dieser Lesart auch Kritik an der Möglichkeit des Erfassens von Bedeutung, insofern dieser seinen direkten Nutzen verliert. Jedoch bleibt Wittgenstein in Kripkes Deutung nicht bei der Relativierung des Bedeutungsbegriffs durch die Kritik seiner Erfassbarkeit beharren, sondern bietet mit der Einführung der Rechtfertigungsbedingungen eine konstruktive Lösung an, was den Vorwurf eines radikalen Nihilismus schlichtweg obsolet macht. Gleichzeitig wirft es jedoch die Frage auf, wie es dazu kommt, dass einige Kritiker offenbar der Ansicht sind, Kripke ziele mit der Einführung seines Skeptikers auf einen Bedeutungsskeptizismus, der die Möglichkeit von Sprache bezweifle und sie sich daher auf die Konsistenz der Aussagen dieses Skeptikers und der Sinnhaftigkeit seines Zweifelns konzentrieren (vgl. u.a. Soames 1997: 212f.). es ist diese Frage, die nachfolgend in den Fokus der Betrachtung rücken soll, unter Berücksichtigung der Frage, ob und inwiefern Kripke möglicherweise selbst Anteil daran trägt.

 

Kripke führt indes auch seine Lösungsstrategie als skeptisch ein und knüpft dabei an eine Unterscheidung Humes an, der eine solche skeptische Lösung von einer möglichen direkten Lösung trennt. Direkt sei eine Lösung dann, wenn mittels einer gewonnenen Erkenntnis der Zweifel als unbegründet zurückgewiesen werden kann; skeptisch hingegen sei eine Lösung dann, wenn der Zweifel als solcher bestehen bleibt, seine Relevanz jedoch bestritten wird (vgl. Kripke 1987: 87). Das Objekt des Zweifels wird dann als ohne Rechtfertigung geltend herausgestellt, wofür gegebenenfalls eine alternative Betrachtungsweise aufgezeigt werden muss. Tatsächlich ist unter dieser Definition die Herangehensweise Wittgensteins als skeptisch zu bezeichnen, insofern er gegen den entsprechenden Einwand keine direkte Lösung einbringt, sondern vielmehr aufzuzeigen versucht, dass eine solche unmöglich ist. Gleichzeitig wird mit der Fokusverschiebung auf die Betrachtung sozialer Praxen in Kripkes Wittgenstein-Deutung ein Alternativvorschlag verbreitet, wenngleich dieser auch nicht in konkreter theoretischer Form entfaltet wird, was wesentlich mit seinem Inhalt zusammenhängt. So sieht Stegmüller (1986: 13) die Grundlage für Kripkes Vorgehen in Wittgensteins fortgeschrittenem Denken in den Philosophischen Untersuchungen im Vergleich zur Tractatus-Philosophie: Eine zentrale Änderung ist demnach die veränderte semantische Grundintention, die sich oberflächlich in der Ersetzung der Isomorphietheorie der Satzbedeutung durch Sprachspiele und deren Analyse äußert. Fundamentaler ist jedoch die Aufgabe der Wahrheitsbedingungen zugunsten von Rechtfertigungsbedingungen für Züge innerhalb eines Sprachspiels und der Angabe der Rolle des praktischen Nutzens. Entsprechend findet notwendig ein Fokuswechsel statt, weg von als isoliert wahrgenommenen Individuen zu Gruppen von Menschen, die zueinander in kommunikativen Beziehungen stehen. Mithilfe des Konzepts der Rechtfertigungsbedingungen wird auch deutlich, wie Aussagen über den Bedeutungsbegriff als Aussagen innerhalb der Sprache getätigt werden können (vgl. Kripke 1987: 99). Eine direkte Bezugnahme auf eine Außenwelt verliert damit zugleich jede Notwendigkeit; dieser Punkt sei es entsprechend, worauf Kripke mit der Bezeichnung Skeptizismus abgezielt habe (vgl. Dilman 2004: 162). Aus diesem Verständnis heraus lässt sich auch verstehen, warum Wittgenstein Privatsprachen ausschließt, zugleich einem Robinson Crusoe, obgleich ebenfalls allein, jedoch nicht schon immer isoliert, nicht abspricht, Sprache verwenden zu können.

 

Die Kritik, Kripke fehlinterpretiere Wittgenstein als Bedeutungsnihilisten scheint diesen konstruktiven Aspekt nicht in angemessener Weise zu berücksichtigen und verfehlt zudem den Kern von Kripkes Aussage. Ebenso wird Kripkes Zugeständnis, die von ihm gewählte Darstellungsweise sei eine methodische Überspritzung, welche über die tatsächlichen Aussagen Wittgensteins hinausginge (vgl. u.a. Kripke 1987: 92), vollständig ignoriert: Kripke macht sich die persönliche Abneigung Wittgensteins gegen, zumindest übertriebenen, klassischen philosophischen Skeptizismus vollständig bewusst. Eine Erklärung für hierfür lässt sich in einer differenzierteren Betrachtung des Begriffs finden, was anschließend geschehen soll. Wie Jason Bridges (2008) aufzeigt, ist es in Teilen Kripkes eigenes Verschulden, dass er in der Darlegung seines skeptischen Paradox‘ versäumt auf den eigentlichen Hintergrund seiner Zweifel hinzuweisen und somit einen breiten Raum für Missverständnisse in seiner Rezeption geöffnet hat. Eine erste Annäherung an dieses Problem soll über Kripkes Hume-Rezeption erfolgen, der ihn offensichtlich veranlasst, das Vorgehen Wittgensteins freimütig als skeptisch zu beschreiben.

 

Kripke und Hume

 

Es ist offensichtlich, dass Kripke mit seiner skeptischen Formulierung keine destruktive Absicht im Sinne einer Negierung des Meinens gehabt hat. Der Verneinung der Möglichkeit einer Einzelperson gerechtfertigt meinen zu können liegt vielmehr eine veränderte metatheoretische Einstellung zur Sprache zu Grunde, die Kripke bei Wittgenstein zu finden vermutet. Unabhängig von der inhaltlichen Korrektheit seiner Darstellung, dient ihm das begriffsmäßig skeptische Vorgehen als konstruktive Methode zur Rekonstruierung eines Sachverhalts. Tatsächlich liegt schon in der in den Philosophischen Untersuchungen enthaltenen Distanzierung früherer Ideen eine Art Skepsis, wenn auch in impliziter Form: Wittgensteins indirekte Verneinung von Fakten, die er in seinem früheren Werk vertreten hat, erfüllt bereits die definitorische Bedingung; Kripke rückt diese implizite Skepsis dramatisierend in den Mittelpunkt seiner Darstellung, insofern er sie expliziert und durch ein destruktives Gegenbeispiel auf den Mangel der opponierten Ansicht aufmerksam macht (vgl. Stegmüller 1986: 6f.). Die Besonderheit in dieser Explikation ist Kripkes Hinweis, eine neue Form des Skeptizismus aus Wittgensteins Regelfolgeparadox herauszulesen, welche letztlich die Bedingung der Möglichkeit von Sprache selbst zu leugnen scheint, jedoch nur sofern man die in der anschließenden Lösung angeführte Fokusverschiebung nicht in Betracht zieht. Die von Kripke bei Wittgenstein gesehene Skepsis bleibt somit kein Endstadium, sondern ist ein prozessual zu verstehendes Durchgangsstadium welches den Weg zu einer radikal anderen Lösung eröffnet (vgl. Stegmüller 1986: 8).

 

Wenig überraschend hat diese Darstellung, bei der sich Kripke wie gezeigt per Analogie auf das Vorbild David Humes beruft, Kritik auf sich gezogen, die in einem skeptischen Vorgehen ein per se negatives sieht. So hat Crispin Wright (1984: 766) eingewendet, dass eine skeptische Formulierung im Sinne von Kripkes Wittgenstein-Lesart bei der Anwendung auf moralische Urteile fatale, da relativistische Folgen hätte: „[T]o claim that a course of action is morally permissible is just to say that it is not the case that it ought to be refrained from.“ Er konzentriert sich dabei offensichtlich zu stark auf das fehlende objektive Faktum, welches zur sinngebenden Begründung dienen sollte und übersieht das strukturell in der skeptischen Lösung enthaltene konstruktive Moment, auf das Kripke in seiner bereits erwähnten Analogie zu Hume hinzuweisen versucht (vgl. Stegmüller 1986: 75f.). Hier äußert sich eine seinerseits bedeutsame Auffassung Humes als radikalem Skeptiker, die offensichtlich zur einseitigen Auslegung von Kripkes Lesart als destruktiv beigetragen hat. Deutlicher wird dies indes bei Baker & Hacker (1984: 6-8), die Kripke anhand eines Hinweises auf Humes philosophische Grundhaltung zu kritisieren versuchen. Insbesondere sei es eine irrationale Art, die ihn als Referenz disqualifizierten: Sein Konzept der skeptischen Lösung gebe entsprechend keine „jusitification for our ordinary beliefs, i.e. rational grounds showing them to be well-founded. […] Hume was indeed not trying to subvert our beliefs, but to show that they are determined, non-rationally, causally, by Nature against Reason.“ Bei Kripke indes wird die hume‘sche Form des methodischen Skeptizismus nicht in rein negativ-destruktiver Weise interpretiert; viel eher ist ihm daran gelegen, Hume als Denker zu etablieren, der trotz des angewandten methodischen Zweifelns in vielen Fällen, diese Ansicht nicht als radikal-negierende Grundhaltung vertreten habe und durchaus selbstkritisch sein Vorgehen gegen den ‚common sense‘ zu hinterfragen verstanden habe (vgl. Kripke 1987: 83f.). Von Relevanz ist eine kritische Betrachtung des hume’schen Verständnis des Skeptizismus deshalb, da Kripke sich an diesem Vorbild offensichtlich orientiert, Unklarheiten in der Lesart Humes können sich so mittelbar auch auf die Kripkes übertragen.

 

Status des Skeptizismus bei Hume

 

Es ist offensichtlich, dass das Ansehen Humes und eine offensichtlich divergierende Auffassung seiner Haltung einen nicht unwesentlichen Anteil an Kripkes Rezeption haben. Hume selbst hat ausdrücklich bestritten, „aufrichtig und konsequent“ eine Erkenntnisskeptische Ansicht zu vertreten (Hume 1989: 245), was jedoch seinem Vorgehen in weiten Teilen widersprochen hat, weshalb die Rezeption in als eher radikalen Denker aufgefasst hat. Ursache dürfte hierbei sein, dass Hume in seinem Frühwerk, dem „Traktat über die menschliche Natur“ eine radikal-erkenntnisskeptische Haltung vertreten hat, die in seinem später erschienen Werk „Untersuchung über den menschlichen Verstand“ revidiert wurde. Vielmehr wurde hier die Möglichkeit von Erkenntnis nicht mehr grundsätzlich angezweifelt, jedoch Zurückhaltung beim Urteilen angemahnt; Hume hat hier auch darauf hingewiesen, dass dieses korrigierte Werk als maßgeblich zu betrachten sei, was jedoch in der Rezeption wenig Beachtung fand, da diese sich maßgeblich auf sein Frühwerk beziehe (vgl. Gadenne 2011: 89f.). Hume habe sich so von einer radikal anti-induktivistischen Position distanziert und lediglich auf die Illegitimität induktiver Prognosen hingewiesen, jedoch allein mit der Intention darauf hinzuweisen, dass sie schlicht nicht zirkelfrei zu begründen seien. In seiner Betrachtung des Verstandes kommt er zu dem Schluss, dass der rationale Verstand zwar keine kausalen Verknüpfungen erkennen könne, der menschliche Geist jedoch so beschaffen sei, dass er die Erwartung eines Zusammenhangs zwischen zwei Ereignissen auch ohne Einsicht bilde. Den Nutzen dieses Prinzips der Gewohnheit schätzt er dabei als sehr hoch ein, insofern es dem Verstande als zuverlässige Hilfe zur Seite stünde und eine „große Führerin im Menschenleben“ darstelle (Hume 1993: 57), da es eine Art „prästabilisierte Harmonie“ zwischen dem Verstand und den Dingen der Natur gebe (Hume 1993: 68). Dieses Vorgehen scheint in der Tat die Grundlagen menschlicher Erkenntnis zu hinterfragen, ohne jedoch zugleich deren Möglichkeit zu hinterfragen. Entsprechend sieht Gadenne (2011: 87,89) bei Hume bereits den versöhnlichen konstruktiv-skeptischen Schluss, dass, sollte auch der Verstand gewisse Probleme, wie Kausalität oder Induktion nicht lösen können, so würde dies die Handlungsfähigkeit nicht einschränken, da im Zweifelsfall eben immer die Natur die Führung übernehme. Trotz der Zurückweisung gewisser Verstandesleistungen ist Hume in seinem Spätwerk also weit von einer irrationalen, destruktiven oder gar nihilistischen Haltung entfernt. Es ist genau dieses Verständnis eines gemäßigten, in keinster Weise rein destruktiven Skeptizismus, den Kripke in Wittgensteins Ansatz zu lesen scheint und auch er scheint einer negativen Skepsis-Auffassung zum Opfer zu fallen, die in seiner engen Anlehnung an Hume begründet liegen mag.[3] Unabhängig von der Interpretation Humes, als radikalen Skeptiker mit destruktiver Tendenz oder als konstruktiv gemäßigten Skeptiker, scheint das Problem der unterschiedlichen Bewertung Humes und Kripkes in einer bisher wenig beachteten Differenz zwischen verschiedenen skeptischen Ansätzen bzw. ihren unterschiedlichen Qualitäten zu geben, die sich in ihrer Unterschiedlichkeit unter anderem in Humes Werken äußern, und die, so sie nicht weiter expliziert werden, den Leser offensichtlich zu Missverständnissen anregen. Abschließend soll deshalb noch einmal auf eine mögliche Unterscheidung eingegangen werden.

 

Arten des Zweifelns

 

Ein solches Konzept zur Differenzierung hat James Conant (2012) vorgeschlagen. Dieser nimmt Abstand von der Verortung des Skeptizismus als feste Position, sondern schlägt vor, ihn als „dialektischen Raum“ zu betrachten, auf den auf vielfältige Weise, unabhängig von weiteren philosophischen Ansichten zurückgegriffen werden kann (Conant 2012: 23). Eine solche definitorische Verschiebung ermöglicht die Anwendung seiner Analyse auf Kripkes Wittgenstein-Deutung ohne damit gleich in ein implizit wertendes Muster zu verfallen.  Hintergrund ist seine basale Unterscheidung in zwei Spielarten skeptischer Haltungen: Der sog. „Cartesische Skeptizismus“ wird hier vom „Kantischen Skeptizismus“ analytisch getrennt, wobei die Bezugnahme auf die namensgebenden Philosophen nur beispielhaften Charakter besitzt. Während ersterer an einem konkreten Wissen zweifelt, die Möglichkeit seines Besitzes jedoch voraussetzt, hinterfragt der kantische Zweifel „den Grund der Möglichkeit von Wissen“ (Conant 2012: 24). Aufgrund dieses Zusammenhanges sei eine Vermischung beider Haltungen in allen Fragen und Gebieten der Philosophie prinzipiell möglich und stelle eine reguläre Gegebenheit bei vielen Autoren dar.

 

Augenscheinlicher Unterschied sei jedoch der Umstand, dass sich nur der Cartesische Skeptizismus, als genuin mit epistemologischen Fragen beschäftigt, als wirkliches, konzeptuelles Zweifeln verstehen lässt, insofern infrage gestellt wird, ob man Wissen einer bestimmten Art haben kann; die kantische Perspektive dieser Problematik sei indes nur die Instanziierung einer allgemeineren Sorge um die Relation zwischen Aussagen und Wirklichkeit (vgl. Conant 2012: 29f.), wobei auch diese Perspektive, fragt man nach der Bedingung der Möglichkeit von Wissen, gegebenenfalls einen epistemologischen Inhalt haben kann. Eigentlich ziele die kantische Fragestellung jedoch in konstruktiver Hinsicht auf die Bedingung der Möglichkeit von Bewusstsein überhaupt ab. Entsprechend sei der Kantische Skeptizismus gar kein solcher, insofern er konzeptuell nicht notwendig mit einem Zweifel verbunden ist. Dies ermöglicht Conant (2012: 53) in seiner weiteren Ausführung, den hume’schen Skeptizismus als Unterform des Kantischen Problems zu rubrizieren, insofern Hume nicht bezweifele, einer Täuschung hinsichtlich des Wissens zu unterliegen, sondern viel weitergehend die Möglichkeit objektiver Inhalte menschlicher Urteile hinterfrage. Dies setzt die Folgerungen über den Status des Skeptizismus bei Hume aus dem vorangegangenen Kapitel konsequent fort, insofern Conants Unterscheidung in der Lage ist, Skeptizismus auch hinsichtlich konstruktiver und eher methodisch-prozessualer Eigenschaften zu betrachten und somit bis zu einem gewissen Grad Kripkes Hume-Interpretation zu rehabilitieren.  

 

Deutlich macht Conant die Differenz zwischen Cartesischem und Kantischem Skeptizismus entsprechend auch anhand der Debatte um das Regelfolgeproblem bzw. den damit verbundenen vermeintlichen Bedeutungsskeptizismus in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen:

 

„Was in dieser Debatte häufig diskutiert wird, ist nicht nur, wie jemand wissen kann, was etwas (oder jemand meint), sondern vielmehr, wie es überhaupt möglich ist, dass es irgendetwas meint. Der Term ‚Skeptizismus‘ bezeichnet in dieser Debatte häufig das Paradoxon, dass daraus folgt, dass wir nicht mehr fähig sind, aus dem fraglichen Phänomen Sinn zu machen als etwas, das überhaupt möglich ist. Was hier zu entgleisen droht, ist nicht unser epistemischer Zugang zur Bedeutung, sondern das Sein von Bedeutung.“ (Conant 2012: 30)

 

Conant weist damit nicht nur auf den weiteren Sinn des Umgangs mit dem Begriff des Skeptizismus hin, sondern greift zugleich einer möglichen Erklärung der Verwirrung um Kripkes Wittgenstein-Auslegung voraus. Tatsächlich hat sich bisher gezeigt, dass offensichtlich ein Missverständnis im Verständnis des Skeptizismus wesentlichen Einfluss auf Kripkes Rezeption genommen hat, welches er möglicherweise selbst verschuldet haben könnte. Mit Conants Lesart lässt sich sein Vorgehen als Schwanken zwischen Cartesischem Zweifel einerseits, insofern gefragt wird, wie man wissen kann, ob jemand addiert oder etwas anderes tut, bzw. ob man überhaupt wissen kann, dass jemand wirklich addiert und nicht eine andere Operation ausübt, und einer Kantischen Sorge andererseits, insofern erfragt wird, ob es einen Fakt geben kann, der bestimmt, dass jemand addiert, bzw. falls es ihn nicht gibt, wie jemand überhaupt etwas meinen könne, erklären. So ist hierin die Ursache dafür zu sehen, dass „einige von Kripkes Kommentatoren sichtlich verwirrt“ seien (Conant 2012: 32), insbesondere diejenigen, die Skeptizismus mit Cartesischem Skeptizismus gleichsetzen, da dieser in der Tat die genuin skeptischere und mithin radikalere Form verkörpert, während der Kantische Skeptizismus in Kripkes Fall die Bedingung der Möglichkeit nicht bezweifelt, sondern sie zunächst nur erfragt, ohne negierende Implikation, um sie anschließend auf indirektem Weg zu verorten; problematisch wird dies daher, da sich dies argumentativ mit cartesischen, eine zweifelnde Haltung implizierende Formulierungen vermischt. So ließe sich erklären, warum vielfach die angebotene skeptische Lösung nicht als solche akzeptiert wurde; ebenso ließe sich der Verdacht begründen, der von Kripke ins Spiel gebrachte Skeptiker verneine die Bedingung der Möglichkeit von Sprache. Tatsächlich betont Kripke auch mehrfach, dass seine skeptische Explikation des Paradox‘ nicht in epistemologischer Hinsicht zu verstehen ist, es also nicht um das Wissen von etwas geht (vgl. u.a. Kripke 1987: 33); auch Conant (2012: 33) weist darauf hin, dass, trotz zum Teil zweideutiger Formulierung, Kripke die cartesischen Formulierungen nur als vorläufiges Mittel zum Zweck nutze, um zu seinem Verständnis des Paradox hinzuführen, welches jedoch eigentlich fundamentaler sei, als es eine rein cartesisch-skeptische Lesart zu verstehen erlauben würde. Tatsächlich scheint es sich also um eine begriffliche Verwirrung zu handeln, welche die Grundlage zahlreicher Kritiken bildet: Kripke scheint demnach mit einem eher positiv verstandenen Skeptizismus-Begriff zu operieren, den er von Hume entlehnt, der jedoch nicht notwendig mit einem einfachen oder radikalen Zweifeln einhergehen muss, sondern ein konstruktives Infrage stellen im kantischen Sinne darstellt.

 

In dieser Lesart verliert Kripkes Wittgenstein-Interpretation ihre ihr vorgeworfene Schärfe und steht nicht länger im Kontrast zu weiteren Ansätzen, welche die Philosophischen Untersuchungen auf nicht-skeptische Art lesen. Vielmehr bietet sie einfach einen weiteren Interpretationsansatz, insofern der von Kripke bei Wittgenstein vermutete Skeptizismus sich hier eher als durchaus konstruktive Methode verstehen lässt, denn als destruktiver Zweifel. Entsprechend spräche auch nichts gegen eine Vereinbarkeit dieser Deutung mit Wittgensteins weitestgehend anti-skeptischer Position.[4]

 

 

 

Literatur

 

Baker, Gordon P. & Peter M. S. Hacker (1984): Scepticism, Rules and Language. Oxford: Basil Blackwell.

 

Bridges, Jason (o.J.): Rule-Following Skepticism, properly so called. Noch unveröffentlicht; erscheint in: Andrea Kern & James Conant (Hrsg.): Skepticism, Meaning and Justification. London; New York: Routledge.

 

Conant, James (2012): Spielarten des Skeptizismus. In: Markus Gabriel (Hrsg.): Skeptizismus und Metaphysik. Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Sonderband 28. Berlin: Akademie-Verlag. S. 21-72.

 

Dilman, Ilham (2004): Wittgenstein and the Question of Linguistic Idealism. In: Denis McManus (Hrsg.): Wittgenstein and Scepticism. London; New York: Routledge.

 

Esfeld, Michael (2003): Regelfolgen 20 Jahre nach Kripkes Wittgenstein. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, 57. S. 128-138.

 

Gadenne, Volker (2011): Wissen wir etwas über die Zukunft? David Hume und das Induktionsproblem. In: Aufklärung und Kritik, I. S. 85-98.

 

Hume, David (1989) [1739-40]: Ein Traktat über die menschliche Natur. Buch I: Über den Verstand. Hamburg: Meiner.

 

Hume, David (1993) [1748]: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Hamburg:Meiner.

 

 

 

Kripke, Saul (1987) [1982]: Wittgenstein über Regeln und Privatsprache. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

 

Soames, Scott (1997): Skepticism about Meaning: Indeterminancy, Normativity, and the Rule-Following Paradox. In: Ali A. Kazmi (Hrsg.): Canadian Journal of Philosophy, Supplementary 23. S. 211-249.

 

Soames, Scott (1998): Facts, Truth Conditions, and the Skeptical Solution to the Rule-Following Paradox. In: Philosophical Perspectives, 12. S. 313 – 348.

 

Stegmüller, Wolfgang (1986): Kripkes Deutung der Spätphilosophie Wittgensteins. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag.

 

Stegmüller, Wolfgang (1989): Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Bd. 1. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag.

 

Wittgenstein, Ludwig (1984a) [1921]: Tagebücher 1914-16. In: Werkausgabe, Bd. 1. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

 

Wittgenstein, Ludwig (1984b) [1921]: Tractatus logico-philosophicus. In: Werkausgabe, Bd. 1. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

 

Wittgenstein, Ludwig (2003) [1953]: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

 

Wright, Crispin (1984): Kripke’s Account of the Argument Against Private Language. In: The Journal of Philosophy, Vol. 81, No. 12. S. 759 – 778.

 



[1] Vereinfachend soll bei der Rede von Skepsis nachfolgend zunächst auf ein allgemeines Verständnis des Begriffs im Sinne epistemologischen Zweifelns referiert werden. Eine genauere Betrachtung folgt anschließend.

[2] Hier konnte nur eine den Umständen angemessene Kurzdarstellung des Ansatzes von Kripke gegeben werden, da sein konkreter Inhalt, ebenso wie seine kontroverse Rezeption nicht Gegenstand dieser Arbeit sind. Eine rekonstruierende Übersicht ebenso wie eine exemplarische Kritik findet sich bei Soames (1998).

[3] Es ist eine auffällige, wenngleich möglicherweise auch zufällige Koinzidenz, dass sowohl Hume als auch Wittgenstein ihr Frühwerk „Traktat“ benennen, ihr gemäßigteres Spätwerk, in dem Aussagen des Vorgängers widerrufen werden, zugleich „Untersuchung“.

[4] Vgl. u.a.: „Skeptizismus ist nicht unwiderleglich sondern offenbar unsinnig, wenn er bezweifeln will, wo nicht gefragt werden kann.“ (Wittgenstein 1989: 135)

 

 

 

 

Yannick Walter studiert Philosophie in Leipzig und St.Andrews.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0