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Was das Leben formt

von Michael Schikowski

Wie präzise sind die Werkzeuge der Literatur?
Wie präzise sind die Werkzeuge der Literatur?

In der FAZ vom 30.01.2008 schrieb Richard Kämmerlings: "Blickt man auf die jüngsten Bucherfolge deutscher Autoren oder überhaupt auf das Themenspektrum unserer Erzähler, dann fällt eine merkwürdige Verknappung auf. Es dominiert die Retrospektive: einerseits historische Figuren wie bei Kehlmann oder Trojanow, andererseits Familiengeschichten (John von Düffel!) - am besten, wie bei den Buchpreisträgern Arno Geiger und Julia Franck, eine Kombination aus beidem. Der historische Familien- oder Generationenroman, gern als episches Jahrhundertpanorama, beherrscht die Szene. Man beginnt als Leser unter einseitiger Ernährung zu leiden. Denn es mangelt an dem, was unser Leben jenseits des Privaten formt und bestimmt: die Wirtschaft, die Technik, die Medizin, das Militär, ja selbst die Medien."

Er fragt dann: "Welcher Absolvent des Leipziger Literaturinstituts hat denn unter seinen Bekannten einen Broker, Manager oder Internisten? Allenfalls bei einer Preisverleihung stößt man als Romancier auf Vorstandsvorsitzende (weil der ortsansässige Kaffeefiltermarktführer zufällig Sponsor ist). Wieso also den Tellerand überwinden? Für viele ist Historie die Antwort; auf Recherche kommen die wenigsten."

Darauf antwortete Heiko Michael Hartmann in der FAZ vom 13.02.2008: "Ist es ein Zufall, dass die Literatur historisch nicht aus dem Journalismus hervorging? Das Lied ist der Ahne des Romans, nicht die Reportage. Die in der Sprache ertönende menschliche Seele schenkt dem Roman jenes Leben, das er selbst nicht ist. Ihr Rhythmus, ihr Klang sind der wahre, immer wiederkehrende, nie ganz verstehbare Zauber. Seine Beherrschung lässt sich schwerer erlernen als die Tricks, mit denen die Spannung einer Handlung erzeugt wird. Natürlich bedarf der Schriftsteller der Erfahrung des Lebens. Aber wirklich erfahren kann er nur das eigene Leben. Wer den Schriftstellern helfen will, braucht sie nicht nach Afghanistan zu schicken. Leiden lässt sich auch in Deutschland. Besser entlastet man sie von überzähligen, sich selbst widersprechenden Erwartungen. Zum Beispiel von der, dass ein verkaufbares Buch in einer hektisch und geizig gewordenen Zeit ein All-in-one-Produkt sein müsse: anspruchsvolle Literatur, informationsträchtiges Sachbuch und Thriller zugleich."

 

Den Artikel von Richard Kämmerlings können Sie nachlesen unter
http://www.faz.net/s/...http://www.faz.net/s/Rub1DA1FB848C1E44858CB87A0FE6AD1B68/Doc~EF2F5664A02074A9DBACA9B5BFB6B837A~ATpl~Ecommon~Scontent.html

 

In diesen Tagen erscheint nun Das kurze Glück der Gegenwart. Deutschsprachige Literatur seit ´89 von Richard Kämmerlings im Verlag Klett-Cotta.

 


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