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Wasserleichen der Poesie

von Michael Schikowski

Literarische Wassermusik - Hier werden die Gläser einer Lesung mit Geschick zu Gehör gebracht. Gelesen hatte Martin Mosebach.
Literarische Wassermusik - Hier werden die Gläser einer Lesung mit Geschick zu Gehör gebracht. Gelesen hatte Martin Mosebach.

Die Liste der zur lit.COLOGNE geladenen Autoren liest sich jedes Jahr aufs Neue wie die Gästeliste einer Fernsehshow am Samstagabend. Daran ist nichts auszusetzen, denn das Fernsehen selbst geht ja bekanntlich schon längst andere Wege. Da wird immer weniger eine Veranstaltung in ihrem Verlauf und Ergebnis abgebildet. Statt dessen wird immer mehr mit den Mitteln des Schnitts, der Musik und einiger dem Comic entlehnter Zusätze etwas völlig anderes inszeniert.

 

Als Stephan Porombka im Buchreport formulierte, dass man im Veranstaltungsbereich nicht ausschließlich "Wasserglaslesungen" machen könne, wurde von ihm die Veranstaltungskultur der Buchhandlungen, Literaturhäuser und Bibliotheken so hinterhältig anschaulich auf den Begriff gebracht, dass sich sofort Widerstand regte. Das Wasser, das er im Literaturbetrieb ausgeschenkt sieht, ist still und trübe: "Man muss sich klar sein," erläutert Porombka, "dass hinter der klassischen Autorenlesung doch ein recht alter Literaturbegriff steht, der vorgibt, dass man sich in die einzelnen Werke versenken muss, die Stimme des Autors hören muss, um dicht am Eigentlichen und Wesentlichen des Textes zu sein."

Damit, dass das Wasser aber 'schweres Wasser' sein könnte, welches Porombka dem Schriftsteller neben die obligatorische Leselampe stellt, hält er sich listig ein Hintertürchen zu den Autoren offen, insofern er Maßnahmen vorschlägt, mittels derer man seiner Ansicht nach dem "Energiekern der Literatur" wieder näher komme. Vom Wassergläschen zum Wasserstoffbömbchen also.

 

Bei Wasser und Buch

Darauf antwortet dann Rainer Moritz im Buchreport klipp und klar: "Ich halte von Stephan Porombkas forschen Forderungen nichts." Verdächtig immerhin, dass Rainer Moritz sofort verstanden hatte, was Stephan Porombka mit Wasserglaslesungen meinte. Porombkas Vorschläge kommen meiner Ansicht nach noch so daher wie der lebendige Literaturunterricht es in meinem alten Deutschbuch "Lesen und verstehen" vorsah.

Rainer Moritz versteht also sofort und bläht dann Porombkas Andeutungen zu einem auf Bild- und Tontechnik basierendem "Brimborium" zwischen "Musikbeschallung" und "Powerpoint-Präsentation" auf. Trotzig will er nun sogar das Saufen ("Weinverkostung") nicht mehr zulassen, womit er der Lesung im alten Stil gewiss den Todesstoß versetzt. Irgendwie kommt man auch bei Moritz nicht darum herum, an einen unfrischen Literaturunterricht zu denken: "Allenfalls ein fundiertes Gespräch mit dem Autor" – bei Wasser und Buch.

 

Die Literaturhäusler

Gegen Porombka gewendet resümiert Rainer Moritz dann: "So leicht lassen wir uns unseren alten Literaturbegriff nicht nehmen." Darauf der Literaturveranstalter und Schriftsteller Jan Böttcher: "So leicht lässt sich der alte Literaturbegriff nicht halten." So leicht, so schlecht.

Aber Rainer Moritz springt der Literaturvermittler und Handelsvertreter Benedikt Geulen bei, der meint, dass die Literaturveranstalter den Kampf mit der professionellen Eventkultur verlieren müssen: "Fernsehen, Kino, Konzerthallen und Theatersäle bieten allemal genug Unterhaltung auf technisch und künstlerisch höchstem Niveau." Als Handelsvertreter ist er auch Vermittler der Vermittlungformate der Literatur und schaut sich auf Veranstaltungen um.

 

Nomaden des Worts

Schließlich greift Hanna Hartberger in der Marginalglosse der Buchwissenschaftler das Thema nochmals auf, sie spricht von der "Öffnung der Autoren gegenüber neuen Leseorten" der "Interaktion zwischen Autor und Leser" und der neuen "Selbstinszenierung der Autoren". Man muss allerdings sehen, dass der Literaturbetrieb schon etwas länger ein Unterhaltungsgewerbe ist, das so eigenartigen Typen wie Egon Friedell oder Karl Kraus eine Bühne gab.

Wenn man noch weiter zurück geht, ist es also eher umgekehrt. Das Nomadentum der Troubadoure steht am Anfang der Literatur und findet seine Fortsetzung bis zu den gewerblich Vortragenden der 1920er Jahre. Dann kam das Radio. Aber ist das Thema dadurch, dass man seinen Neuigkeitswert relativiert, schon erschöpft? Keineswegs.

 

Die Ausweitung der Lesezone

Denn woher will man eigentlich so genau wissen, dass stets der Rohstoff produziert wird, den man auf Lesungen als Roman präsentieren kann? Dieser Nachschub wird ja nicht dadurch garantiert, dass möglichst viele Literaturevents durchgeführt werden. Dergleichen erscheint doch viel mehr als Ersatzhandlung.

Die Ausweitung der Lesezone auf neue Lokalitäten, trägt ja nicht zur Literaturverbreitung bei, sondern zur Auflösung der spezifischen Konturen dessen, was man als Lesung versteht. Dass man aber dann möglichst wenige davon durchführt oder nur solche, die auf elektronische Faxen verzichten, gibt keine Sicherheit.

Sicherheit für wen? Die Veranstalter, die Kulturvermittler etwa? Nein! Die Diskussion liest sich so, als müssten nun, da die Kultur vermittelnden Institutionen nun einmal bestehen, entsprechende Produkte geliefert werden, die von diesen präsentiert werden können. Dann ist man auch nicht weit davon entfernt, Autoren möglichst unverständliche Texte abzuverlangen, dass man etwas zu vermitteln habe.

Den entscheidenen Hinweis erhält man hier von Jan Böttcher, der zu Recht moniert, dass bei Stephan Porombka und Rainer Moritz Mitteilungen lediglich über die Rezeptionsseite zu finden sind, während sie die Produktionsseite unberücksichtigt lassen. In dieser Hinsicht sind allgemeine Mitteilungen über hippe junge Leute einfach nicht ausreichend. Denn diese Leute werden Romane schreiben, die vollkommen anders sein werden durch den elektronischen Datenträger. Dabei entsteht ein Material, das den Veranstalter ganz von alleine zu einer anderen medialen Präsentation mit Bild und Ton führt.

 

Gedruckte Events

In der Folge werden die Romane auf eine Art und Weise verändert sein, dass man sie, weil auf einer Wasserglasveranstaltung nicht zu zelebrieren, nicht als Romane akzeptieren wird. Die Wasserzeichen der Poesie (Enzensberger) haben auch immer als Kopierschutz gedient. Wer in ihnen für seine Texte Schutz sucht, wird nicht weit kommen, zumindest nicht, wenn er davon leben möchte. Was liegt also näher, als den umgekehrten Weg zu gehen, die Literatur von den Möglichkeiten ihrer Inszenierung her anzugehen. Wenn das dann einer drucken mag, umso besser. So werden Romane denkbar, die allein als Literaturveranstaltungen existieren, zu denen nichts weiter als T-Shirts bedruckt werden.

Zum ganzen Interview mit Stephan Porombka hier.

Zur Einlassung von Rainer Moritz hier.

Zur Marginalglosse von Hanna Hartberger hier.

 


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