TexturenRezensionen
Marketing, Kriegsführung und Rhetorik
von Michael Buchmann
Sun Tzu für Manager. Die 13 ewigen Gebote der Strategie
Campus 2004
Jay Conrad Levinson
Guerilla-Marketing des 21. Jahrhunderts. Clever werben mit jedem Budget
Campus 2008
In der Marketing-Bibel von Kotler findet sich folgender Satz: „Bei diesen Zahlen verwundert es nicht, dass das Konkurrenzverhalten in solchen Märkten manchmal als ‘Kriegsführung’ bezeichnet wird.“ Welche weiteren Gründe gibt es für die häufige Analogiebildung zwischen ökonomischem Verhalten einerseits und Kriegsführung andererseits und welche Funktion erfüllt sie?
Die achtziger Jahre waren die große Blütezeit dieses Vergleichs. Es boomten nicht nur diejenigen Sachbücher, die Sun Tzu und Clausewitz für Manager anwendbar machen wollten, es wurden auch von Seiten der Unternehmen nicht nur entsprechende Seminare goutiert, sondern tatsächlich auch „richtige“ Militärs als Berater engagiert, die – sagen wir: eine gewisse Disziplin – zur Unternehmenskultur beisteuern sollten. Worin sieht das Sachbuch also das tertium comparationis und wie weit geht diese Analogiebildung? Schwanfelder versucht eine Annäherung: „Das Wirtschaftsleben ist sicherlich kein Krieg, aber wir haben es im Wirtschaftsleben sehr wohl mit gravierenden Auseinandersetzungen zu tun, und das nicht eben selten. […] Daher sind alle Mitarbeiter in gewisser Weise auch Krieger, ist jeder Manager eine Art Feldherr, der strategische Überlegungen anstellt oder anstellen sollte, um das Beste aus seiner Situation zu machen.“ Allgemeiner ausgedrückt: auch das Wirtschaftsleben besteht in (manchmal existentiellen) Interessenkonflikten, die den Beteiligten ähnliche Fähigkeiten abverlangen wie die Kriegsführung.
Levinson umschreibt diese (vermeintlich) existentielle Bedeutung ökonomischer Auseinandersetzungen in seiner anschaulich-metaphorischen Schreibweise so: „Wenn Sie auf See Schiffbruch erleiden und zum rettenden Ufer schwimmen müssen, geben Sie ja auch nicht einfach auf, wenn Sie es nach einer Stunde – oder nach fünf – nicht erreicht haben.“ Geht es in ökonomischen Zusammenhängen wirklich ums nackte Überleben? In einigen Fällen durchaus, nur sind die davon betroffenen Personen weder für irgendein Marketing verantwortlich noch potentielle Leser des Buches von Levinson. Welche Funktion – dies ist die Frage aller Fragen an ein Sachbuch – erfüllt dann diese Dramatisierung?
Die Dramatisierung findet in erster Linie auf sprachlicher Ebene statt, beispielsweise hier: „Im traditionellen Marketing wird großflächig bombardiert, während im Guerilla Marketing ganz gezielt kleine oder gar winzige Ziele ins Visier genommen werden.“ Hiermit ist genau das ausgedrückt, was man herkömmlich als „flächendeckend“ und „zielgenau“ bezeichnen könnte. Der Unterschied? Die ungleich dramatischeren Assoziationen. Oder hier: „Wenn Sie einen Laden haben, in dem sich Kunden ohne konkrete Kaufabsicht des Öfteren einfach nur umsehen, stellen Sie sich Ihre Verkaufsfläche als Kriegsschauplatz vor, auf dem der Kampf um das Geld der Kundschaft ausgetragen wird.“ Oder Levinson bezeichnet seine Methoden als „Waffen“: „So werden Sie Ihre persönliche Waffenkammer letzten Endes mit den Waffen bestücken, die sich bewährt und als absolut vernichtend erwiesen haben.“ Der Unterschied zur Bezeichnung „Marketinginstrumente“? Er ruft Assoziationen hervor, die das Ganze als Kampf erscheinen lassen. Er erklärt nicht das Eine durch das Andere, er ruft Bilder beim Leser herauf.
Schwanfelder treibt die Analogiebildung im Rahmen seiner Übertragung der Aphorismen von Sun Tzu auf das Wirtschaftsleben bis zum Äußersten, indem er selbst die Wendung „Bewegungen zwischen den Bäumen eines Waldes zeigen, dass der Feind vorrückt“ auf die ökonomische Konkurrenzsituation meint umdeuten zu müssen, obwohl dies eine handfeste konkrete Regel darstellt. Heraus kommt folgendes: „Unruhe bei den Kunden kann auf Aktivitäten der Konkurrenten schließen lassen.“ Dass dies absurd ist, zeigt die geringe Erklärungskraft der Aphorismen von Sun Tzu für die abgeleitete ökonomische Feststellung, und andererseits braucht man nicht Sun Tzu, um zu letztgenannter Erkenntnis zu kommen. Auf dieser Ebene also wird die Analogiebildung unfreiwillig komisch.
Umgekehrt ist das Trennende zwischen Ökonomie und Kriegsführung eklatant und schnell aufgezählt: die gesamte operative und taktische Ebene ist nicht vergleichbar, ebensowenig wie die Methoden. Kriegerische Auseinandersetzungen sind Nullsummenspiele, ökonomische Interessenkonflikte lassen auch win-win-Situationen zu. Wollte man die Analogie korrekt anwenden, müsste man von den Darstellungen der Klassiker der Kriegskunst erst auf ein System der strategischen Beschreibung von Interessenkonflikten abstrahieren, und dieses System wiederum teilweise auf die Ökonomie anwenden.
Aber darum geht es nicht. Sachbücher sind keine Fachbücher. Sie versuchen nicht, zu abstrahieren, um dann eine Analogie durch ihre Vergleichspunkte und ihre Grenzen zu bestimmen. Sachbücher sind auf ihre Funktionalität ausgerichtet und stützen sich auf Topoi und gefühlsmäßige Reaktionen der Rezipienten. Man kann also durchaus behaupten, ein Buch wie Levinsons „Guerilla Marketing“ ist nicht dadurch erfolgreich, dass es eine Analogie korrekt anwendet, sondern durch den eigenen Einsatz textueller Taktiken am Gegenstand einer solchen Analogie, die wiederum nicht in erster Linie ihrer Stimmigkeit und Erklärungskraft halber ausgewählt wurde, sondern ihrer Funktion nach: welche Assoziationen stellen sich ein, an welches in der Diskussion stehende Thema wird angeschlossen, welche Gefühle, Wünsche werden bedient usw.
Hier einige beispielhafte Taktiken: Die erste und mit häufigen Wiederholungen verfolgte Taktik ist die Abgrenzung zum „herkömmlichen Marketing“, das nur auf große Unternehmen anwendbar sei. Man kann diese Abgrenzung von Sachbüchern gegen die jeweilige Fachliteratur insofern gut verstehen, als diese Abgrenzung die Bedeutung des jeweiligen Sachbuchs erhöht. Oder um es in der Sprache des Marketings auszudrücken: man sucht seinen USP bzw. sein Alleinstellungsmerkmal auch dadurch hervorzuheben bzw. zu konstruieren, dass man die Bedeutung der direkten Konkurrenten schmälert. Man könnte behaupten, dass Levinson versucht, diese Vorgehensweise auf die Spitze zu treiben, indem er versucht, sein nicht vorhandenes USP allein durch sprachliche Mittel zu konstruieren, um sich danach gegen die gesamte Marketingliteratur abzugrenzen. Man merkt, der Mann war Werbetexter.
Eine zweite Taktik besteht darin, verlockende Versprechungen zu machen, die allerdings mit einer Immunisierung gekoppelt sind. Hier ein Beispiel: „Wenn Sie sich diese [16 Schlagworte] einprägen und die dazugehörigen Konzepte in Ihre Betriebsabläufe integrieren, wird das Ergebnis Ihre kühnsten Erwartungen übertreffen. Wenn Sie allerdings nur 15 auswendig lernen, beschweren Sie sich bitte nicht über den ausbleibenden Erfolg.“ Die nachgeschobene Immunisierung erlaubt bei Nichterfolg eine Interpretation, die die Verantwortung für das Scheitern dem Anwender zuschiebt.
Ein anderes Beispiel: „Ich kann Ihnen das Buch Guerilla Verkauf wärmstens empfehlen, das ich zusammen mit Bill Gallagher und Orvel Ray Wilson geschrieben habe – nicht, weil es auch aus meiner Feder stammt, sondern weil mir Ihr Erfolg am Herzen liegt!“ Levinson will sein Buch verkaufen, will dem Leser sagen, er tue sich etwas Gutes, wenn er sein Buch kaufe. Er sagt also nicht: „Tun Sie mir etwas Gutes, indem Sie mein Buch kaufen!“, sondern: „Tun Sie sich etwas Gutes, indem Sie mein Buch kaufen!“. Dies ist eristische Rhetorik in Reinform, denn hier wird mit minimalem sprachlichen Aufwand und einer täuschend geringen sprachlichen Abweichung der Effekt erzielt, dass die Intention des Autors der des Lesers untergeschoben wird.
Überhaupt versucht Levinson der Metapher des Guerilleros nicht in erster Linie eine inhaltliche Bedeutung zu geben, denn er schreibt kein Fachbuch, und was er an Inhaltlichem zu sagen hat, steht entgegen seiner bereits beschriebenen Abgrenzung, sehr wohl in vielen Marketingfachbüchern. Nein, er versucht den Guerillero als denjenigen zu stilisieren, der Erfolg hat, weil er klüger, flexibler, zielgerichteter usw. verfährt. Wer möchte also nicht zu den Guerilleros gehören? Und wer gehört zu ihnen? Derjenige, der Erfolg hat. Und wer hat Erfolg? Lesen Sie das Buch und befolgen Sie die Ratschläge. Es hat nicht funktioniert? Sie haben etwas falsch gemacht usw.
Die Zielgruppe dieser Sachbücher ist derartigen textuellen Taktiken meist völlig ausgeliefert, da sie mit Text- und Argumentationsanalysen weniger vertraut sind, als mit ökonomischen Zusammenhängen. Während die Leser also höchst unkritisch diesen Text über Guerilla Marketing darauf hin untersuchen, wie die Ratschläge von ihnen umgesetzt werden könnten, werden sie selbst Opfer einer solchen Guerilla-Aktion: wenig argumentativer und sprachlicher Aufwand, möglichst großer Überraschungseffekt.
Dies ist allerdings keine „moralische“ Kritik. Diese Vorgehensweise ist eine durchaus gelungene Anwendung derjenigen Methoden, die im Buch selbst vorgestellt werden. Die Qualität eines Sachbuchs bemisst sich nach seinem Erfolg und sein Erfolg wird sich seiner möglichst gut erfüllten Funktionalität verdanken.
Allerdings hat die Liaison zwischen Ökonomie und Kriegsführung eine noch weit ernstere Dimension, die über die zwei vorgestellten Sachbücher weit hinausgeht. Es ist durchaus keine Polemik, wenn an dieser Stelle auf eine weitere Traditionslinie verwiesen werden kann, die den Zusammenhang zwischen Krieg und Ökonomie beschreibt. Diese Tradition beginnt mit dem Kapitel „Wirtschaft und totaler Krieg“ bei Ludendorff und wurde später während des Kalten Kriegs nochmals vom Spieltheoretiker Morgenstern im Kapitel „Wirtschaftskraft und wirtschaftliche Belastung“ in seinem Buch „Strategie – heute“ ausführlich behandelt. Man findet darin sozusagen die Umkehrung der Managementratgeber, die sich ihre Anleihen bei der Kriegskunst suchen: während sie die Methoden der Kriegsführung für sich nutzbar zu machen versuchen, versuchen die Kriegstheoretiker ihrerseits, sich die Ökonomie nutzbar zu machen. Die Wirtschaft spielt dann nicht mehr Krieg, sie führt ihn.
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