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"Das treflichste Gedicht füllt die leeren Därme nicht."

von Michael Buchmann

Mathias Etenhueber
Mathias Etenhueber

Mathias Etenhueber (1722-1782) ist der bekannteste deutschsprachige gescheiterte Schriftsteller. Dieses scheinbare Paradoxon lässt sich leicht auflösen: bekannt ist er nämlich nicht als Autor, sondern als Figur in Spitzwegs Der arme Poet. Seine grandiose Erfolglosigkeit verdichtete sich durch den späteren Erfolg des Gemäldes zu einer regelrechten Ikonologie ökonomischen Scheiterns. Die allerdings wiederum interpretatorisch überhöht wurde zu einem - wie man beispielsweise in einem Spitzwegbuch des Prestelverlags lesen darf - Aufbegehren gegen die "Zwänge des Allzumenschichen". Spitzwegs spickte sein Gemälde mit vielen Hinweisen auf die Armut Etenhuebers. Neben allgemeinen Hinweisen, wie der Dachstube am Münchner Frauenplatz Nummer 12, der Matratze auf dem Boden, gibt es auch Merkmale, die die Literatur betreffen. So sieht man im und vor dem trotz des Winters kalten Ofen Manuskriptbündel liegen. Eins der Bündel ist mit Operum meorum fasciculum III beschriftet, was nahelegt, dass die Bündel der Eigenen Werke I und II bereits verheizt wurden.

 

Hier liegt also der extrem seltene Fall vor, dass Literatur sich außerhalb des ökonomischen Feldes bewegt, und zwar wegen absoluter Erfolglosigkeit. Es ist aber nicht so, dass diese Erfolglosigkeit von Etenhueber aus Überzeugung gesucht oder zumindest in Kauf genommen worden wäre; sie war vielmehr Resultat gescheiterter Versuche, im Literaturbetrieb Fuß zu fassen. Nach verschiedenen Gelegenheitsdichtungen verlegte er sich auf die skurrile Taktik, in Zeitungen einen Bericht zu jeder stattfindenden Hinrichtung inklusive einer beigefügten erbaulichen Moral zu veröffentlichen und somit das Spektakuläre mit dem Moralischen zu verbinden. Eine Taktik, die ebenso wenig aufging, wie das von ihm verlegte Münchnerische Wochenblatt: es schilderte das Tagesgeschehen in Versen.

 

Von diesen gescheiterten Versuchen kann man auf eine marktferne und selbstbezogene Vorgehensweise schließen: dem nahe liegenden Bedürfnis der Leser nach Information wurde nicht mit zielgerichteter Informationsbeschaffung entsprochen, sondern mit dem verquickt, was der Person des Autors nahe lag, aber sich bei seinen Projekten nicht zwingend aufdrängte und anscheinend auch nicht gewünscht wurde: Vermittlung von Moral und zu allem noch in Versform. Ebenso marktfern ging er bei seinem Werben um Mäzene vor, einer bei erfolglosen Dichtern beliebten Möglichkeit, Geld zu beschaffen. Mäzene tauschen ökonomisches Kapital gewöhnlich gegen symbolisches. Nur in sehr seltenen Fällen resultiert das Mäzenatentum aus absolut zweckfreier Kunstförderung oder gar Mitleid. Aber genau darauf setzte Etenhueber, dem seine eigene Not und Bedürftigkeit näher lag als die Überlegung, was er dafür als Gegenleistung bieten könnte: „So will ich denn getrost, Herr! vor Dein Antliz treten,/Und Dir zu wissen thun das Elend der Poeten./Wie viel sie Jammer drückt bey aller Singe=Lust, […]“. Zweierlei nahm er bei diesem Heischen um Mitleid für sich in Anspruch: an seiner Armut keine Schuld zu tragen und die Notwendigkeit seines Dichtens: „[…] so wirft ein grober Thor/Ihm seine Dürftigkeit mit losen Worten vor. […] So packt den Plunder ein, das treflichste Gedicht/Füllt ohne Mutter=Blech die leeren Därme nicht: […]“.

 

Marktfernes Verhalten ist in der Regel hinreichend für Misserfolg. Etenhueber fügte diesem Fehler noch weitere hinzu: er entschuldigte sich für die Qualität seiner Texte unter Hinweis auf die Zensur und die daraus folgende Lustlosigkeit zu schreiben: „Ich darf nicht, wo ich kann, ich kann nicht, wo ich darf,/Hier ist der Stof zu schlecht, dort das Verbot zu scharf./Darum hab ich schon oft die Poesie verschworen,/Als eine Bettel=Kunst, und bloße Kost der Ohren.“ Klage über die Zensur, Eingeständnis der mangelhaften Qualität der eigenen Texte und Motivationslosigkeit: das waren zusammen mit der Herausstellung der eigenen Bedürftigkeit wenig günstige Voraussetzungen, um sich beim Kurfürsten als Hofpoet zu empfehlen: „Des Winters kalte Faust klopft wieder an die Thür,/Laß seine Dürftigkeit mit Holz, und Kleid versorgen,/Und mach ihn einmal frey von allen Nahrungs=Sorgen,/Er geht aus Armuth schlecht, er schreibt vor Kummer matt,/Indem sich nirgends zeigt ein Freund, ein Mecenat, […] Doch dißmal wirst Du nur, um Holz, und Kleid gebeten,/Wirst Du mit dieser Gnad sein krankes Herz erfreun,/So wird er Dir darum auf ewig dankbar seyn,/Und Deinen Namen einst durch ein geläutert Schreiben,/Wie Du es längst verdient, in Gold, und Marmor treiben.“ Trotzdem wurde Etenhueber zum kurfürstlichen Hofpoeten ernannt; ironischerweise aber ohne Bezahlung. Der Kurfürst entlohnte also symbolisches Kapital gleichfalls mit symbolischem, und nicht wie erhofft mit ökonomischem. Es unterstreicht die bedauernswerte ökonomische Lage Etenhuebers, dass er auf dieses Angebot eingehen musste. Er konnte allerdings dieses symbolische Kapital des Hofpoeten nicht seinerseits an anderer Stelle in ökonomisches verwandeln.

 

Die Überlegungen des Kurfürsten scheinen dagegen klar und zwingend: sind die Dichtungen Etenhuebers wirkungslos, ist kein Geld verloren. Entfalten sie wider Erwarten eine positive Wirkung, ist symbolisches Kapital gewonnen ohne ökonomisches dafür aufgewendet zu haben. Dieser Zweifel gegenüber der Wirksamkeit der Schriften Etenhuebers war Folge davon, dass Etenhueber sehr selten, und wenn dann sehr vage darüber schrieb, was er denn als Gegenleistung erbringen könnte: „Sie [Poesie] schmückt die Weisheit aus, und giebt der Tugend Zoll,/Zu welcher sie das Volk in Bildern führen soll;/Ihr Kiel entdeckt mit Recht der Laster Grund, und Schande,/Und offenbart den Ruhm der Redlichen im Lande.“ Neben der moralischen Erziehung der Bevölkerung und der Vermehrung des Ruhms führt er seltsamerweise gerade die Unabhängigkeit an, die ihm ein Mäzenatentum verschaffen könne: „Das Amt der Poesie besteht nicht im Schmarozen,/Will ungebunden seyn, es will die Laster trozen, […]“. Dass eine ökonomische Abhängigkeit, wie sie das Mäzenatentum darstellt, gerade nicht zur Unabhängigkeit sondern im Gegenteil zu inhaltlicher Abhängigkeit führt, zeigte sich in Etenhuebers eigenem Lebenslauf. Verarmt und frustriert schrieb er 1778 Das sich beschwerende Baiern. War die Wirksamkeit des Etenhueberschen Lobs für den Kurfürsten noch fraglich, muss er seine Kritik dagegen durchaus für gefährlich gehalten haben, denn er ließ ihn deshalb zeitweise verhaften.

 

Unbekannt ist bislang, dass Etenhueber Passagen aus seinem Gedicht Wer in der Poesie nicht will ein Pfuscher bleiben fast wörtlich von dem ebenfalls grandios erfolglosen Johann Christian Günther abgeschrieben hat. Günther war ein Jahr nach der Geburt Etenhuebers gestorben. Etenhueber bediente sich aus einem Gedicht Günthers aus dem Appendix zur immerhin sechsten Auflage der Werke, das dort laut der Vorrede zum Anhang zusammen mit einigen anderen gedichten lediglich der Vollständigkeit halber abgedruckt wurde. Günther, der auch als Arzt gescheitert war, landete im Jahr 1717 sogar im Schuldgefängnis. Er starb mit 27 Jahren, ohne überhaupt ein Zuhause sein eigen nennen zu können. Die Erfolglosigkeit durch Missachtung des Marktes, die bei Etenhueber lediglich Scheitern war, wurde von Günther zum Prinzip erhoben, indem er erklärte, nicht um Lohn, sondern lediglich für sich selbst zu schreiben: „Nicht, daß ich mir dadurch das Brodt erfiedeln wollte,/Nein! sondern daß sie mich zur Weisheit führen sollte: […]“.

 

Günther verfolgte eine Doppelstrategie, denn zusätzlich zur Marktferne als Prinzip beschuldigte er alle Akteure des Literaturbetriebs. Die potentiellen Leser und Mäzene wegen ihrer Ignoranz: „Doch wenn es unser Fleiß auch noch so schön gemeynt,/Und nachmals vor der Welt mit Sorg und Furcht erscheint,/So wird er oft so kahl und obenhin gelesen, […]“ und ihres Geschmacks bzw. ihrer Erwartungen und Ansprüche an die Autoren: „Denn alle, wie man hört, verachten rechte Gaben,/Und wollen schlechterdings nur Lustigmacher haben. […] O lächerliche Zeit!“. Zusätzlich warf er seinen Kollegen Missbrauch vor, also die inflationäre Lobhudelei der Mäzene: „Der Misbrauch wütet scharf und macht uns so veracht, […]“. Schließlich beschimpfte er regelrecht die Geldgeber: „Und nirgends ein August der Musen Elend mindert./Bisweilen findet sich ein dicker Mäcenat./Allein wodurch? warum? ein niederträchtig Blat/Bestürmt sein Felsenherz mit ungerechtem Schmeicheln,/Als sucht es Gott und ihm den Himmel abzuheucheln./Diß Volk vergiebt um Brot Unsterblichkeit und Ruhm,/Setzt Af= und Hasenfleisch in Famens Heiligthum, […]“. Es liegt nahe, dass diese Strategie mehr der Verbitterung über die eigene Erfolglosigkeit geschuldet war, als einer zielgerichteten Beeinflussung des Marktes oder der Mäzene. Folgerichtig verhalf ihm dieses Vorgehen auch nicht zum erhofften Erfolg.

 

Seine Position einer Ablehnung des Marktes hielt Günther allerdings nicht konsequent durch. Denn während er einerseits schrieb: „Der Herr verschaffe sich ein Privilegium,/Und laß als Erzpoet sein Bild in Kupfer stechen;/Die Trödler werden ihm den reichsten Lohn versprechen; […]“ bediente er sich andererseits desselben Vorgehens, indem er versuchte, ökonomisches in symbolisches Kapital umzuwandeln: Weil er auf den Titel eines Hofdichters spekulierte, erwarb er sich nämlich käuflich den Titel Poeta Laureatus – mit dem bekannten Misserfolg.

 

Literatur

  • Etenhueber, Mathias: [Stellt euer Dichten ein, ihr traurigen Poeten!]
  • Etenhueber, Mathias: [Wer in der Poesie nicht will ein Pfuscher bleiben]
  • Federmair, Leopold: Die Leidenschaft der Seele Johann Christian Günthers. Ein Versuch über den Mißerfolg, Stuttgart 1989.
  • Gebhardt, Heinz: Wer war Spitzwegs "Armer Poet"?, in: Heinz Gebhardt: Als die Oper mit Bier gelöscht wurde. Münchner Bilder und Geschichten von 1158 bis heute, München 2009, S. 64-65.
  • Günther, Johann Christian: J. C. Günthers Gedichte, 6., verbesserte und geänderte Aufl., Breslau/Leipzig 1764.

 


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