TexturenGeschichte
George Forestier und die Planbarkeit des Erfolgs
von Michael Buchmann
Die erste spektakuläre Fälschung im Literaturbetrieb der Bundesrepublik erschien im Jahr 1952 unter dem Titel Ich schreibe mein Herz in den Staub der Straße. An ihr wurde zum ersten mal offensichtlich, dass der Erfolg eines Buchs allein von der Biographie des Autors abhängen kann. Dabei war die Biographie des angeblichen Autors George Forestier fingiert. Das Nachwort des schmalen Lyrikbands Ich schreibe mein Herz in den Staub der Straße begründete die Legende von einem Franzosen, der im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Nazis gekämpft habe und dann von den Franzosen nach Indochina abkommandiert worden sei. 1951 habe man jede Spur von seinem Trupp verloren, nur ein Heft mit Gedichten habe er vor dem Marsch einem Kameraden übergeben. Der tatsächliche Autor Karl Emerich Krämer wusste als Herstellungsleiter des Diederichs Verlags, wie man handwerklich Authentizität von Texten fingiert: er sparte im Text einzelne Wörter als unleserlich aus. Er vermerkte: „Die Interpunktion erfolgte nach der Handschrift des Dichters.“ und er ließ das angebliche Faksimile einer Seite der Handschrift abdrucken. Dieses Faksimile war allerdings die Auftragsarbeit eines Darmstädter Grafikers.
Auch der Inhalt der Gedichte wurde mit seinem existentialistischen Duktus, seiner kruden Exotik und seinem Militarismus auf die fiktive Biographie und damit die Erwartungen der damaligen Leserschaft genau abgestimmt: „Rot sind die Nächte über den Inseln,/Oh Purea, Oh Purea! Wenn die Lotosknospe springt,/knallt im Dorf die Handgranate,/Wenn der junge Bambus blüht,/werden die Kanonen reden ...“ Die Ironie solcher Zeilen sowie der fingierten Biographie ist kaum zu überbieten, wenn man bedenkt, dass der promovierte Germanist Krämer während des Dritten Reichs mit Gedichtbänden wie Volk Deine Feuer die ungeteilte Anerkennung des Naziregimes genoss. Zur Idee des Namens Forestier sowie dessen Vita verhalf Krämer seine Bekanntschaft zu dem SS-Mann Förster, der nach dem Krieg von den Franzosen für deren Fremdenlegion zwangsrekrutiert wurde.
Die vermeintlichen Experten unter den Kollegen und der Literaturkritik fielen auf den Schwindel herein. Der Erfolg wurde allerdings von Krämer auch klug vorbereitet; so schickte er zum einen seinen Freund Dr. Karl Friedrich Leucht vor, um das Manuskript beim Verlag unter Hinweis auf eine Empfehlung Gottfried Benns einzureichen; Leucht war Krämers Stellvertreter als Oberbannführer der HJ. Zum anderen schrieb der Herausgeber Leucht im bereits erwähnten Nachwort: „Seine [Forestiers] letzten Verse finden sich zwischen Gedichtblättern Gottfried Benns in einer kleinen schmutzigen Kladde [...]“. Gottfried Benn lief auch prompt in diese Falle und schrieb eine hymnische Rezension, in der er auch auf eben dieses Nachwort Bezug nahm: „[...] mich persönlich berührt die Bemerkung in der kurzen, vom Verlag angefügten Biographie: 'Seine letzten Verse [usw.]“. Auch andere prominente Kritiker und Kollegen wie Andres und Krolow stimmten in diesen Jubelchor ein, und zwar stets unter Bezugnahme auf die Vita des Autors.
Bezeichnend sind auch die Umstände der Enthüllung der tatsächlichen Autorschaft: der Verleger Peter Diederichs wusste schon seit 1953 um die fingierte Autorschaft und den tatsächlichen Autor. Aber erst als sich Krämer mit der dritten Veröffentlichung unter dem Pseudonym Forestier vom Verlag löste und im Georg Büchner Verlag veröffentlichte, ging Diederichs an die Branchenöffentlichkeit. Da der Erfolg seine Ursache ausschließlich in einer fiktiven Biographie hatte, verschwand er mit deren Enthüllung von einem Tag auf den anderen. Allenfalls mittelmäßige Gedichte eines Germanisten und ehemaligen Herstellungsleiters bei Diederichs namens Karl Emerich Krämer mochte niemand mehr lesen.
Selbstredend interpretierte der Autor den Skandal auf seine ganz persönliche Weise und zu seinen Gunsten. Und obwohl Krämer trotz seines ebenso politischen wie verlegerischen Opportunismus einen vergleichbaren Erfolg nicht mehr wiederholen konnte, schrieb er seinen früheren Erfolg allein sich selbst zu: „Ich gehöre einer Generation an, die genau weiß, was Managertum wert ist. Deshalb Forestier statt Förster. Ein neuer Verlegertyp ist im Kommen, der sich bei jedem Buch fragt: Kann ich das verkaufen, um mein Geld wieder hereinzukriegen, oder nicht.“
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