TexturenGeschichte
Furetières Parodie des Widmungs(un)wesens
von Michael Buchmann
Widmungen erfüllten vor allem im 16. und 17. Jahrhundert nicht nur eine symbolische, sondern auch eine handfeste ökonomische Funktion. Autoren eigneten ihre Bücher möglichst einflussreichen und hochgestellten Personen zu. Erstens wurde der Verleger so zumindest in einigen Fällen besser gegen Nachdruck geschützt, zweitens der Autor vor etwaiger Verfolgung. Vor allem aber erhielten die Autoren meistens ein Honorar von demjenigen, dem sie das Werk zueigneten. In der genannten Zeit war das nicht selten die einzige Finanzierungsmöglichkeit für eine Veröffentlichung. Allerdings geriet dieses Finanzierungsmodell im Jahr 1641 endgültig ins Zwielicht. In diesem Jahr erschien Cinna von Corneille mit einer Widmung an Montauron. Das Problem war, dass das Lob dieser Widmungsepistel viel zu dick aufgetragen und so als Schmeichelei erkennbar wurde und außerdem das Gerücht aufkam, Corneille habe ein Honorar von 1000 Pistolen für seine Schmeichelei erhalten.
Im Jahr 1666, 25 Jahre später, erschien Antoine Furetières Bürgerroman, der ein ganzes Kapitel mit einer Parodie auf das Widmungs(un)wesen enthält. Mythophilacte, die Figur eines kommerziellen und an den Literaturbetrieb angepassten Schriftstellers, hat ein Exposé eines Buches über das Widmungswesen verfasst. Ein Kapitel wird so beschrieben: „Urteil über satirische und Spott-Widmungen, wie jene an einen kleinen Hund, eine Äffin, an Niemand […]“. Bereits im Jahr 1533 hatte Aretino seinem Buch Kurtisanengespräche eine Widmung mit dem Titel Pietro Aretino seinem Äffchen vorangestellt, worin er den Affen Joko mit den „hohen Herren“ vergleicht, denen für gewöhnlich Bücher gewidmet werden: „Aber da du gerade so gebildet bist wie sie […] erwarte ich nur einen Biß, den du mir gewiß versetzen wirst. Mit gleicher Münze zahlen ja auch die Großkozen den Verfassern der Lobschriften, die ihnen gewidmet werden, weil sie von den Wissenschaften so viel wie du verstehen.“ Aretino behauptet aber nicht nur, die Mäzene verstünden nichts von dem Inhalt, sondern er geht noch weiter und behauptet, sie wollten mit dem Inhalt und dem mit der Widmung verbundenen Lob ihre Schwächen kaschieren: „Die großen Herren verbergen ihre Fehler hinter den Büchern, die für sie geschrieben werden, […].“
Weitere Kapitel des fiktiven Werkes lauten: „Von der klugen Wahl, die man unter den Mäzenen treffen muß, und daß die ungebildetsten die besten sind, verifiziert an Gründen und Schlußfolgerungen.“ oder: „Fünfzig Listen und Ausflüchte falscher Mäzene, um sich vor den Hinterhalten eines zueignenden und bettelnden Autors zu schützen.“ Die Komik von Furetières Parodie besteht darin, dass er die Verquickung von Text und Ökonomie in jedem Detail auf die Spitze treibt: Ob das Honorar für eine Widmung von der Größe des gedruckten Buches abhängig gemacht werden solle, wie die Honorierung für Neudrucke und Zweitauflagen zu regeln sei, ob die Reisekosten des Autors zum Mäzen gesondert zu vergüten sind usw. Zuletzt stellt er sogar eine regelrechte Preistabelle auf. Gemäß dem Ausspruch „Setzen Sie auch ruhig dazu, […] daß es keine Ware gibt, die mit mehr Betrügerei verkauft wird; […]“ einer Figur in Furetières Bürgerroman werden alle weiteren Tricks des damaligen Literaturbetriebs aufgezählt: Man solle alle Freunde und Bekannte zur lobenden Mundpropaganda einspannen. Auch das Eigenlob unter fremdem Namen sei erfolgversprechend. Überhaupt sei es vorteilhaft, grundsätzlich unter fremdem Namen zu veröffentlichen: falle der Text durch, könne man so leicht die Autorschaft abstreiten. Gefalle er dagegen, könne man sich leicht im Nachhinein als Autor präsentieren. Ein weiterer Trick: umfangreiche Texte in viele kleine verdaulichere Texthäppchen aufteilen, wie beispielsweise in Madrigale, Lieder und Fragmente. Mit vorbereiteten, also nur scheinbaren Stegreifgedichten könne man Gesellschaften beeindrucken. Wirklichen Erfolg garantiere die Vertonung der Texte durch einen berühmten Komponisten, was derart gut wirke, dass der Inhalt der jeweiligen Texte völlig nebensächlich werde.
Auch die Literaturkritik und die Lesermeinung kommen nicht gut weg: „Man kann doch aber auch nicht behaupten, […] daß alle diese Kunstgriffe […] von großem Nutzen seien, denn Dreiviertel aller Leute beurteilen doch die Werke eines Autors, ohne sie zu kennen und schließen sich der Meinung dessen an, der sich als erster dazu äußert, gerade wie bei den Schafen, die dem Leithammel folgen.“ Später wird man diese Leithammel Gatekeeper nennen; das Prinzip ist seither dasselbe geblieben. Und auch ein alter Allgemeinplatz findet sich im Buch, nämlich dass die „ernste“ Literatur unter dem Erfolg der „unterhaltsamen“ leide, so „daß […] nichts mehr bleibt für den Druck historischer oder philosophischer Werke der Autoren von Gewicht.“ Eine andere Figur durchschaut die Absicht des erfolglosen Autors hinter dieser Aussage und kontert: „[...] man hört, daß Sie für Ihre eigenen Interessen eine Lanze brechen, […] eine Flut bedeutender alter und moderner Autoren erscheint. Wenn die Verleger also manche Autoren ablehnen, so ist das für deren Werke nicht eben ein Gütesiegel.“ Dann werden dem bei Verlegern erfolglosen Autor zwei Vorschläge unterbreitet; der erste ist der Vorschlag, seine Bücher im Selbstverlag zu drucken und der zweite ist folgender: „Oder warum lassen Sie nicht lieber diesen ganzen Plunder philosophischer, historischer und literarischer Ausarbeitungen fahren und tragen Verfügungen, Plädoyers und Rechtsmaximen zusammen? Potztausend! Das sind doch die Bücher, die gekauft werden, […].“
Literatur
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