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Bücher haben genau wie Gurken ihre Jahreszeit

von Michael Buchmann

Oliver Goldsmith
Oliver Goldsmith

Dem Schriftsteller Oliver Goldsmith wurde durch die Biographie seines Kollegen Washington Irving ein literarisches Denkmal gesetzt. Das ist kaum verwunderlich, da sowohl sein Leben als auch sein Werk sehr viel Stoff liefert, auch und gerade über den Literaturbetrieb seiner Zeit. Oliver Goldsmith schlug sich zunächst neben seiner wenig ertragreichen Arbeit als Arzt auch als Lohnschreiber durch. Folgende Episode aus einem seiner Texte dürfte wohl seiner Erfahrung entsprungen sein, auch wenn sie der satirischen Absicht halber überspitzt formuliert und einer seiner Figuren in den Mund gelegt wurde: „[…] ich habe vorige Woche tatsächlich sechzehn Gebete, zwölf unzüchtige Späße und drei Predigten, jede das Stück für Sixpence, geschrieben! Und was das Erstaunliche daran ist, der Buchhändler hat bei dem Geschäft noch zugesetzt.“ Man beachte einmal die Menge und einmal die Preise der Texte: beides zusammen genommen sind „unzüchtige Späße“ weit profitabler als Predigten und scheinen auch gefragter zu sein. Außerdem soll diese Zusammenstellung die große persönliche Distanz des Lohnschreibers zu seinem Gegenstand zum Ausdruck bringen, der des Geldes wegen inhaltlich untereinander völlig unvereinbare Dinge schreibt.

 

Eingang in die literarischen Kreise Londons fand er durch seine Bekanntschaft mit einem Buchdruckergehilfen, der für Samuel Richardson arbeitete. Richardson, der vor allem als Autor der Pamela oder Die belohnte Tugend bekannt ist, war nicht nur Autor sondern auch Verleger. Durch die Vermittlung des Buchdruckergehilfen konnte Goldsmith als Korrektor in Richardsons Druckerei arbeiten. Durch die Bekanntschaft mit Richardson wiederum knüpfte er weitere wertvolle Kontakte. In einem seiner Texte lässt Goldsmith einen Schriftsteller folgendermaßen anwerben lassen: „[…] was denken Sie davon, Schriftsteller zu werden gleich mir? Sie haben in Büchern ohne Zweifel von Genies gelesen die bei diesem Handwerk verhungert sind, jetzt will ich Ihnen vierzig äußerst dumme Menschen zeigen, welche hier in London in Reichthum davon leben, […]“. Goldsmith dagegen musste wegen seiner Geldknappheit zu einigen Tricks greifen. Noch als einigermaßen namhafter Schriftsteller war er gezwungen, in einer schäbigen Wohnung in einer entlegenen Gegend Londons zu wohnen. Da er sich aber bereits einen Namen gemacht hatte, musste er um den Schein zu wahren in einer vorzeigbaren Umgebung residieren. Er behalf sich damit, dass er im Temple Exchange Kaffeehaus Besucher und Gäste empfing und es außerdem als Adresse für seine Korrespondenz nutzte.

 

Zu seiner literarischen Lohnarbeit zählten auch viele Artikel für die Zeitschrift Public Ledger des Verlegers John Newbery, einem der ersten und sehr bekannten Kinder- und Jugendbuchverleger. Goldsmiths Artikel erschienen später als Buch unter dem Titel Der Weltbürger oder Briefe eines in London weilenden chinesischen Philosophen an seine Freunde im fernen Osten. Er nutzte den literarischen Kunstgriff der Verfremdung durch den distanzierten Blick einer Figur aus einem anderen Kulturkreis, um die britischen Besonderheiten möglichst pointiert darzustellen. Dazu gehören insbesondere auch die des Literaturbetriebs. Sowohl seine Brotartikel als auch seine Bekanntschaft mit mehreren Verlegern verhalf ihm zu einigen Einblicken in das Gewerbe und seine Tricks. In dieser Erzählung lässt er einen fiktiven Verleger über sein Handwerk plaudern; zum einen über den Zeitpunkt des Erscheinens von Büchern: „[…] Bücher haben genau wie Gurken ihre Jahreszeit. Ich würde ein neues Werk genausowenig im Sommer herausbringen wie Schweinefleisch in den Hundstagen verkaufen.“, über das Verramschen nicht verkaufter Bücher, die anscheinend schon damals nach nur einer Saison abgestoßen wurden: „[…] meine Bücher besitzen zumindest den besonderen Vorteil, stets neu zu sein, und ich habe die Gewohnheit, die abgelegten Titel jeder Saison zum Trödler zu schaffen.“ und die Vorschauen, die auch schon damals aus der Ankündigung noch nicht geschriebener Bücher bestanden: „Ich trage zufällig zehn Titelblätter bei mir, zu denen nur noch die Bücher hinzugefügt werden müssen, […]“.

 

Einer der besten Freunde von Oliver Goldsmith war der bekannte Kritiker und Schriftsteller Samuel Johnson. Gemeinsam mit ihm und anderen, wie Edmund Burke oder John Hawkins, gründete er den literarischen Salon The Club. Auch diese Einrichtung des literarischen Lebens wird von ihm verspottet. Auf die Frage des Chinesen, „[...] woher man die ausreichende Anzahl von Schriftstellern nähme, um täglich jene Vielzahl von Büchern auf den Markt zu werfen.“, wird er in einen literarischen Club eingeführt. Dessen schreibende Mitglieder werden folgendermaßen vorgestellt: „[…] ein sehr nützlicher Mensch: er schreibt Rezepte gegen den Biß tollwütiger Hunde und wirft ein untadeliges orientalisches Märchen hin; er versteht sich auf das Geschäft eines Autors so gut wie jeder andere, […]“. Bei einem dieser Gespräche über Literatur soll zwischen Samuel Johnson, Oliver Goldsmith und dem Verleger Robert Dodsley die Frage aufgekommen sein, ob die sogenannte Tagespoesie einen ästhetischen Wert haben könne. Lediglich Dodsley bejahte diese Frage unter Hinweis auf seine eigenen Titel.

 

Als die Vermieterin Goldsmiths ihn dann wegen der ausstehenden Miete verhaften ließ, verkaufte Samuel Johnson dessen Manuskript The Vicar of Wakefield an den Neffen Newberys, an Francis Newbery. Ausgerechnet in diesem Text hatte Goldsmith seine wilde Wanderzeit aufgearbeitet, die seiner Lohnschreiberei vorausging. Mit Hilfe des Honorars wurde Goldsmith aus dem Schuldenarrest befreit. Das Manuskript wurde dagegen länger weggeschlossen: es lag zwei Jahre lang bei Newbery, bevor es gedruckt wurde.

 

Literatur

 


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