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"Es ist etwas Eigentümliches um die schlechten Skribenten."

Gottfried Kellers Satire auf den Literaturbetrieb

von Michael Buchmann

Michael Schikowski zum 50. Geburtstag

Gottfried Keller
Gottfried Keller

Die eigentliche Pointe der Missbrauchten Liebesbriefe Kellers besteht darin, dass hier eine Satire in Form eines Entwicklungsromans zweier sich konträr entwickelnder Personen geboten wird. Da ist einmal die Figur namens Viktor Störteler, der vom saturierten und behäbigen Kaufmann zum dilettierenden Modeschriftsteller absteigt und auf der anderen Seite der sozial gehemmte Schulmeister Wilhelm, der vom verhuschten Gelehrten zum lebenstüchtigen Gutsherren aufsteigt. Bindeglied zwischen beiden ist Gritli - erst Störtelers, dann Wilhelms Frau.

 

Zunächst ist bei Viktor Störteler alles in „behaglichen und ordentlichen Umständen“, denn er betreibt ein „einträgliches Speditions- und Warengeschäft“, mit dem er es neben einem „ziemlichen Vermögen“, auch zu einem „hübschen, gesunden und gutmütigen Weibchen“ namens Gritli gebracht hat. Dies ist ihm mit fortschreitendem Alter nicht genug, und da er seine Jugendschwärmerei für das „Ästhetische“ direkt in den Zustand bürgerlicher Saturiertheit hinüber gerettet hat, beschließt er, seine bürgerliche Existenz mit einem literarischen Habitus zu krönen. Der Weg dahin wird ihm durch das erlernte Kaufmannsverhalten nahe gelegt: „[...] vielmehr schaffte er sich Bücher an, abonnierte in allen Leihbibliotheken und Lesezirkeln der Hauptstadt, hielt sich die 'Gartenlaube' und unterschrieb auf alles, was in Lieferungen erschien, da hier ein fortlaufendes, schön verteiltes Studium geboten wurde.“

 

Hier werden gleich zwei Dichotomien, die auf eine künstlerische Daseinsweise Einfluss haben, dargestellt und aufeinander bezogen: da ist auf der einen Seite ein Bedürfnis nach künstlerischem Ausdruck, das in seiner Konsequenz auch zu einer frühzeitigen und systematischen (Aus-)Bildung führt. Und auf der anderen Seite steht das Vorgehen Störtelers, der sein saturiertes Dasein um eine künstlerische Attitüde bereichern möchte. Das führt zu einem späten Dilettantismus, dessen Vorgehen sich außerdem dem des Speditions- und Warengeschäfts bedient: gezieltes Netzwerken unter Kollegen und Redaktionen und ausuferndes Abonnieren gängiger Zeitschriften. Bei diesem Vorgehen resultiert alles nicht aus dem persönlichen Bedürfnis oder kurz der Person, sondern aus dem zweckgebundenen Willen, künstlerisch zu erscheinen. Kurzum: Störteler ist kein Künstler, aber er möchte unbedingt einer sein. Dies führt zu einer komischen Mischung aus künstlerischer Attitüde und Geschäftigkeit: „Darum frisch nun das Leben selbst, die schöne Leidenschaft zu Hilfe gerufen! […] da ich das Herbstgeschäft einleiten muß.“

 

Dazu passt auch, dass Störteler einen Briefwechsel mit seiner Frau Gritli nicht aus einem Bedürfnis heraus sondern aus der Motivation beginnt, damit ein literarisches Monument zu schaffen. Auch hier besteht eine Technik der Kellerschen Satire darin, künstlerische Attitüde und Geschäftigkeit direkt aufeinander prallen zu lassen: „Wir wollen die geschäftlichen und häuslichen Angelegenheiten auf solche Extrazettel setzen, damit man sie nachher absondern kann.“ So funktioniert auch die Komik, akute Gefühle mit typographischen Hilfsmitteln zu transkribieren: „Aber gleichviel, ich trage mich jetzt mit dem Gedanken, ob solche Tränen zwischen den Zeilen bei einer allfälligen Herausgabe im Druck nicht durch einen zarten Tondruck könnten angedeutet werden?“ Und nicht zuletzt nutzt Keller den Kontrast zwischen Kunst und Existenz: „[...] und statt mit dem Essen war der Tisch noch mit dem Briefwechsel zweier Zeitgenossen gedeckt.“ Zur Kunst als Attitüde gehört außerdem die Anpassung der äußeren Erscheinung und überhaupt des Habitus an das Autorenbild, das von außen an einen modischen Schriftsteller herangetragen wird: „Er ließ die Haare lang wachsen, strich sie hinter die Ohren, setzte eine Brille von lauterm Fensterglas auf und trug ein kleines Spitzbärtchen, um sein Äußeres dem bedeutenden Inhalte entsprechen zu lassen, [...]“. Man betrachte im übrigen in diesem Zusammenhang das obige Kellerporträt.

 

Da Störtelers Frau Mühe hat, den oben angesprochenen Briefwechsel mit dem gebotenen manierierten Pathos adäquat zu beantworten, verfällt sie auf eine List: sie schreibt die an sie adressierten Briefe ihres Mannes um, und schickt sie dem Schulmeister Wilhelm, der in sozialen Dingen im Allgemeinen und Frauen im Besonderen wenig erfahren ist. Wilhelm beantwortet diese manierierten Briefe mit echtem Gefühl, die dann von Gritli wiederum umgeschrieben werden, um dann an ihren Mann weitergeleitet zu werden. Alles kommt dann, wie es kommen muss: durch einen Zufall erfährt Störteler, dass er in Wahrheit nicht mit seiner Frau heißblütig korrespndiert hat, sondern mit dem örtlichen Schulmeister, woraufhin er – in seinem Stolz beleidigt – seine Frau verstößt. Wilhelm, der den Gegenpart zu Viktor Störteler bildet, zieht sich daraufhin in die Einsamkeit zurück: „[...] der Wald war jetzt seine Studierstube und sein Studiersaal, wenn auch nicht in großer Gelehrsamkeit, so doch in beschaulicher Anwendung des Wenigen, was er wußte.“ Auch wenn die Figur des Gegenentwurfs zu Störteler überwiegend blass bleibt, ist auffallend, in welcher Beziehung er zu Störteler kontrastiert wird: sein Wissen ist bescheiden, aber belastbar, indem es das tägliche Leben und Geschäft nicht sabotiert, sondern befördert: er war ein „hübscher brauner Gesell geworden. […] Wilhelm baute den Besitz mit Fleiß und Umsicht und mehrte ihn, so daß er ein angesehener und wohlberatener Mann wurde, während seine Frau in gesegneter Anmut sich immer gleich blieb.“ Dass auch der Autor Keller nicht vor modischem Kitsch gefeit ist, zeigt ein Nebensatz, den er sich zur Schilderung des vollkommenen Glücks zwischen Wilhelm und Gritli dann doch nicht verkneifen kann: „während Gritlis Busen unruhig wallte, rief der Kuckuck aus der Tiefe des Waldes, […].“

 

Neben der Ebene des Textes gilt es noch zwei Faktoren zu beachten: einmal die Erfahrungen des Autors Gottfried Keller mit dem Zusammenhang zwischen Kunst und Kommerz und einmal der Literaturbetrieb selbst, insbesondere der Berliner um 1850. Was Keller selbst betrifft, dürfte ihn zweierlei beeinflusst haben: seine ersten künstlerischen Versuche nicht als Schriftsteller, sondern als Maler, die ihn zunächst dazu gebracht haben, beim Vedutenmaler Peter Steiger publikumsaffine Motive malen zu müssen und so wohl über den gesellschaftlichen Nutzwert von Kunst nachzudenken. Außerdem die spätere Erleichterung über die eigene ökonomische Existenzsicherung, die nicht etwa durch die Schriftstellerei direkt erreicht wurde, sondern indirekt über den Verwaltungsposten als Staatsschreiber (also nicht als Staatsschrifsteller zu verstehen, sondern als Leiter einer Staatskanzlei).

 

Nun zur Satire auf den damaligen Literaturbetrieb: die Figur Störteler und die Figur der Frau, mit der er nach seiner Scheidung zusammen lebt, das hässliche aber literarisch ambitionierte Käthchen Ambach, haben durchaus das Ziel, reale Personen des Literaturbetriebs zu karikieren. In dem Paar erkennt man unschwer das Gespann Adolf Wilhelm Stahr und Fanny Lewald wieder. Während Keller in Briefen an Schiftstellerkollegen und Literaturwissenschaftler vor allem den Habitus der Dilettanten am Literaturbetrieb kritisiert, scheint ihm am Ehepaar Stahr/Lewald vor allem der Feminismus des „Dragonerweibs“ Fanny Lewald gestört zu haben, die einzige Figur in der Erzählung, die durchweg negativ dargestellt wird. Fanny Lewald wiederum hat sich ebenfalls gegen die populäre romantisierende Schriftstellerei ihrer Zeit gewandt, indem sie eine Parodie auf die Trivialschriftstellerin Ida Hahn-Hahn schrieb.

 


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