TexturenGeschichte


ren Kierkegaards Schriftproben

von Dr. Tim Hagemann

Kierkegaard
Kierkegaard

Mitte der 1840er Jahre sammelte Israel Levin, seinerzeit Kierkegaards Sekretär, Schriftproben berühmter Dänen für ein Schullesebuch, als Übung im Entziffern und Anleitung zum Schreiben gedacht. Vergeblich wurde auch Kierkegaard um einen Beitrag gebeten. Er verfasste im Stillen lieber seine eigenen „Schriftproben“, nicht als Vorbild für die Jugend, sondern als Narrenspiegel für die Erwachsenen.

 

Statt faksimilierter Handschriften bieten seine Schriftproben die Probeschriften eines angehenden Schriftstellers, mit denen dieser A.B.C.D.E.F. Gute Hoffnung sich dem „höchstgeehrten, gebildeten Publikum“ empfehlen möchte. In geradezu übermütiger Laune zeichnet Kierkegaard hier eine Satire auf den Literaturbetrieb. Was als Jux und Dollerei daherkommt, kreist dabei doch um ein ernstes Thema: das Schielen auf den Zeitgeist im Allgemeinen und das kaufwillige Publikum im Besonderen und die völlige Inhaltsleere der derart ausgerichteten Literatur. Aufgespießt werden auch einige Methoden der Werbung, die sich über die Zeiten kaum verändert zu haben scheinen.

 

Der Text, aus den nachgelassenen Papieren übersetzt, ist das letzte Stück des gleichnamigen Bandes aus dem Philo-Verlag, der noch in einem anderen Sinne Schriftproben enthält – in Form einer möglichst vielseitigen Auswahl aus Kierkegaards Werk. Die „Berliner Tagebücher“ lassen miterleben, wie Kierkegaards persönliche Erschütterung angesichts der gescheiterten Verlobung mit Regine Olsen in die Genese des grandiosen Erstlingswerks „Entweder – Oder“ mündet.

 

Seine indirekte, an Sokrates geschulte Mitteilungstechnik und sein Christentumsverständnis vermitteln ein Vorlesungsentwurf, der aufzeigt, dass sich das Wesentliche gerade nicht dozieren lässt, und eine religiöse Rede, gerade davor warnt, in der Kirche Ruhe und Geborgenheit zu suchen. So sind gleichermaßen biografische, philosophische, religiöse und parodistische Aspekte von Kierkegaards Werk in der mit Einleitungen und Erläuterungen versehenen Auswahl präsent.

 

Tim Hagemann, geboren 1964, studierte Philosophie und Rhetorik in Kiel, Tübingen, Wien und Kopenhagen. Er ist ausgewiesener Kenner des dänischen Philosophen.

Von Tim Hagemann ist zuletzt in der Anderen Bibliothek erschienen: Sören Kierkegaard: Geheime Papiere, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004; außerdem Sören Kierkegaard: Schriftproben, Philo Verlag, Hamburg 2005 und Hans Brochner: Erinnerungen an Sören Kierkegaard, Bodenheim 1997.



 

Kierkegaards Satire auf den Literaturbetrieb

von Michael Buchmann

Diese Satire Kierkegaards macht sich an einigen handfesten Kritikpunkten am Literaturbetrieb fest. Die Vorwürfe waren zu diesem Zeitpunkt nicht neu, nur die Übertreibung ins Groteske lässt sie unterhaltsam wirken. Im Grunde kann man seine Kritikpunkte wiederum auf einen Vorwurf reduzieren: der Inhalt von Büchern werde zu Gunsten von vermeintlich peripheren Attributen wie Gestaltung oder Marketing vernachlässigt.

 

Am augenfälligsten wird das dann, wenn Kierkegaard solche Bücher mit sarkastischem Lob bedenkt, über deren Inhalt gar nichts ausgesagt wird, sondern die lediglich auf Grund ihrer Gestaltung angepriesen werden: „Einige Buchstaben mit roter Schrift (wie in alten Büchern), andere mit grüner oder blauer usw., so daß das Buch dem Publikum so recht gefallen und ganz wie ein Stichtuch aussehen dürfte, […]“. Neben der Typographie dient vor allem der Einband dazu, das Publikum anzusprechen; dieses Ansprechen wird in dieser Satire natürlich nicht wertfrei wiedergegeben, sondern geht mit einer abschätzigen Schilderung des Publikums bzw. des Publikumsgeschmacks einher: „Entlang dem Rand läuft ein echt vergoldeter Goldfalz, und in jeder Ecke ist ein golddurchwirktes Emblem, ungefähr wie bei den Taschentüchern der Damen. Mitten darauf ist ein ungeheuer kostbares Blumenbouquet in demselben Geschmack wie auf den echten persischen Shawls angebracht. Um dieses Bouquet herum ist der Titel mit matter Schrift gedruckt, auf der einen Seite der Titel, auf der anderen der Name des Verfassers. […] Der Inhalt ist natürlich sehr gut, dafür bürgt hinreichend der berühmte Name des Verfassers.“

 

Aus diesem Zitat kann man aber neben dem unterstellten minderwertigen Geschmack des Publikums noch einige weitere implizite Annahmen Kierkegaards ableiten. Da ist zum einen die Annahme, die Ware Buch unterscheide sich grundlegend von anderen Waren; so entsteht die Komik im angeführten Zitat nur dann, wenn man annimmt, man könne Bücher absolut nicht mit „Taschentüchern der Damen“ oder „persischen Shawls“ vergleichen. Nimmt man dagegen an, dass Bücher durchaus auch Warencharakter besitzen, funktioniert diese Art der Komik nicht mehr. Ähnlich funktioniert das mit der Annahme, allein der Inhalt eines Textes zähle und der Autorname müsse dagegen in den Hintergrund treten. Wenn man aber weiß, dass Autornamen durchaus als Marken funktionieren und allein ihr Name für viele potentielle Käufer ein hinreichender Kaufgrund ist, erkennt man kaum mehr die Satire hinter den Worten, der berühmte Name des Verfassers bürge hinreichend für den Inhalt. Kierkegaard spricht abschätzig vom Publikumsgeschmack und muss so zwangsläufig auch jede Ausrichtung von Schriftsteller auf den Publikumsgeschmack verurteilen. Als negatives Beispiel dafür wählt er den Kunstgriff, in einem Vorwort auf die Wichtigkeit seines Vorworts hinzuweisen. Was ist daran komisch? Die Bedeutung des Vorworts wird nicht durch Hinweis auf seine Relevanz begründet, sondern in einem rein selbstreferentiellen Akt. Die Bedeutung des Textes wird im selben Text durch einen bloßen Hinweis auf die angebliche Wichtigkeit postuliert, also auch hier wieder reine losgelöste formelle Funktionalität, die auf den Publikumsgeschmack abzielt. „Bitte unbedingt das nachfolgende Vorwort lesen, da es Dinge von äußerster Wichtigkeit enthält. […] Man muß auf etwas Neues kommen, falls man bemerkt werden will, wie jetzt dieses, ein Vorwort zum Vorwort zu schreiben.“ So bleibt dem Autor als Argument zu Gunsten dieses Kunstgriffs der Hinweis, dieser Kunstgriff sei neu, und alles neue erhalte per definitionem Aufmerksamkeit. Wäre es so einfach, würde es genügen, etwas neues zu machen, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Man müsste an dieser Stelle fragen, ob man nicht genauer formulieren müsste und sagen, dass alles dasjenige, was Aufmerksamkeit erhalten möchte, etwas welcher Art und Weise auch immer Neues enthalten muss, das neue also ein notwendiges Merkmal ist, aber keineswegs ein hinreichendes. Denn es genügt nicht nur neu zu sein.

 

Wäre es so einfach, wie Kierkegaard es suggeriert, bräuchte es kein Marketing, das ebenfalls zum Gegenstand des Kierkegaardschen Spottes wird. Kierkegaard kommt zu dem absolut zutreffenden Schluss, dass sich ein Buch nicht nur nicht allein über seinen Inhalt verkaufen lässt, sondern dass auch die standardisierten Formen von Werbung nicht ausreichen, um auf ein Buch aufmerksam zu machen: „In einer so bewegten Zeit wie der unsrigen reicht es somit nicht mehr aus, einfach in der Zeitung angezeigt zu werden. Auf diese Weise angezeigt zu werden ist dasselbe wie dem Vergessen übergeben zu werden; […]“. Auch hier versucht er, den empfundenen Missstand durch extreme Zuspitzung der Lächerlichkeit preiszugeben, indem er auf Toilettenpapier gedruckte Verlagsanzeigen empfiehlt: „Glück somit dem glücklichen Anzeigenden, der zuerst darauf kommt, was noch übrig ist, seine Annonce auf Papier drucken zu lassen, das „einzig und allein, ausschließlich dazu angefertigt ist“ und bestimmt ist, auf dem Locus gelesen zu werden.“ Viele Marketingmitarbeiter wären stolz auf diese Idee.

 

Lehnt Kierkegaard den Publikumsgeschmack ab, muss er auch jeden Versuch von Autoren ablehen, auf diesen einzugehen, also auch die seit der Antike praktizierte captatio benevolentiae, die er übrigens auch selbst in Die Wiederholung anwendet. Der Einfluss des Publikums ist in diesem Stilmittel allerdings gebrochen. Der Autor glaubt zu wissen, was das Publikum von ihm erwartet, nämlich im vorliegenden Fall eine schamlose und unterwürfige Schmeichelei: „Ich hoffe nun, daß es mir geglückt ist, bemerkt zu werden, und wage es denn, mir etwas mehr Zeit zu lassen. Falls ich es also wagte, mir die ehrerbietige und untertänige Freiheit zu nehmen, Sie zu bitten, höchstgeehrtes Publikum (denn es sei weit von mir, ein höchstgeehrtes Publikum unverschämt und unverfroren zu duzen), sich zu setzen – auf den Standpunkt. Die Sache ist die; ich habe lange geschwankt, bevor ich mich zu diesem Schritt entschloß, ich habe den Augenblick weggeschoben, aber nun muß es getan werden – und nun nur eine Bitte vorweg: Schonung, Barmherzigkeit, Erbarmen, Nachsicht, schonende Beurteilung durch ein höchstgeehrtes Publikum!“ Diese Schmeichelei ist allerdings keineswegs direktes Nachgeben des Autors oder gar Ausdruck von dessen Überzeugung. Vielmehr versucht der Autor, sich den vermeintlichen Geschmack des Publikums, der hier in der Satire natürlich wieder zugespitzt wird, für seine eigenen Zwecke zu Nutze zu machen. Denn wenn er schreibt „Aber von jetzt hoffe ich, Etwas zu werden – einzig und allein durch Ihre Gunst, höchstgeehrtes Publikum! […] Denn es ist nicht ein Schriftsteller, der Leser erschafft, sondern es ist das Publikum, das Schriftsteller erschafft – und ich bin glücklicherweise Nichts, Niemand.“ schreibt er dies, um vom Publikum unterstützt zu werden, denn die Leser werden ihre „Schöpfung“ doch unterstützen.

 

Kierkegaard kommt dann auf seinen letzten Kritikpunkt zu sprechen, nämlich den direkten Einfluss der Ökonomie auf den Inhalt von Texten. Zusammengenommen mit der letzten Pointe kommt er auf die Idee, ein noch namenloser Schriftsteller könnte gleich ein Buchprojekt gegen die Zahlung eines Vorschusses ausschreiben, wobei die Zahlenden dann natürlich den Inhalt bestimmen würden: „[…] nur ein Wort von Ihnen, ein Versprechen zu kaufen, was ich schreibe, oder, wenn es möglich wäre, damit alles gleich in Ordnung kommt, ein wenig Vorschuß: und ich bin Schriftsteller, ich werde es bleiben, solange diese Vergünstigung anhält. Was ist nämlich ein Schriftsteller? Das ist einer, der etwas drucken läßt, wodurch er Geld verdient. Der, der etwas drucken läßt, aber kein Geld verdient, ist kein Schriftsteller. Dies ist so leicht einzusehen, daß es jeder Speckhöker begreifen kann. Mit dem Begriff: Schriftsteller, geht es ebenso wie mit dem, ein Kaufmann zu sein. Was ist ein Kaufmann? Das ist einer, der durch das Verkaufen von Ware Geld verdient. Verdient er kein Geld, dann ist er kein Kaufmann, dann ist er ein Narr, ein Wohltäter oder was er im übrigen ist, aber er ist kein Kaufmann.“ Die Idee einer Ausschreibung hatte bereits Laurence Sterne mit der Ausschreibung einer Widmung. Neu ist hier, dass das gesamte Buchprojekt ausgeschrieben wird. Der fiktive Autor übernimmt dabei aus Sicht Kierkegaards die Rolle des advocatus diaboli und schließt fälschlicherweise von einem gewissen Einfluss der Ökonomie auf die Inhalte von Texten auf einen ausschließlichen weil absolut bestimmenden Einfluss auf Texte; er schließt also von der Erkenntnis, dass Bücher auch Waren sind, darauf, dass sie ausschließlich Waren seien. Auch hier also wieder die Komik durch Übertreibung. Bei aller Komik drängt sich aber eine Umkehrfrage auf: ist jemand, der schreibt und der glaubt, ein Schriftsteller zu sein, den aber niemand lesen möchte, wirklich ein Schriftsteller?

 

Literatur

  • Kierkegaard, Sören: Schriftproben, hg. von Tim Hagemann, Hamburg 2005.
  • Kierkegaard, Sören: Die Wiederholung. Die Krise, Hamburg 2005.

 


Kommentar schreiben

Kommentare: 0