TexturenGeschichte
Sören Kierkegaard: Schrift-Proben
Probeschrift
von A.B.C.D.E.F. Gute Hoffnung1
werdender Schriftsteller
[Pap. VII-2 B 274,1]
NB. Das Buch muß mit aller möglichen Eleganz ausgestattet werden: Ein Rand um jede Seite herum (wie in Urania2), jeder Abschnitt mit einer eigenen Schriftart, dekorative und marktschreierische Anfangsbuchstaben, kurz alles à la Dukatenjägerei. Einige Buchstaben mit roter Schrift (wie in alten Büchern), andere mit grüner oder blauer usw., so daß das Buch dem Publikum so recht gefallen und ganz wie ein Stichtuch aussehen dürfte, dem Motto „Zopfbänder, gelbe, grüne und blaue“ entsprechend.3 [274,2]
So schöne Zopfänder, rote und blaue,
Gelbe, grüne, violette und graue,
Kommet zu kaufen, kommet zu kaufen,
Laßt mich nun doch nicht so lange laufen,
Rote, gelbe, graue, alle ich hab,
Ich bin ein guter, kleiner Judenknab.4
[274,3]
Vorwort.
→ Bitte unbedingt das nachfolgende Vorwort lesen, da es Dinge von äußerster Wichtigkeit enthält.[274,4]
Vorwort.
Es könnte als eine Übertreibung erscheinen, ein Vorwort zu einem Vorwort zu schreiben, aber ist es doch keineswegs, ist vielmehr nur ein bezeichnender Ausdruck für die wachsende Schnelligkeit, mit der unsere Zeit strebt, was zur Folge hat, daß viel dazugehört, um sie auch nur einen Augenblick anzuhalten und um auch auch nur für einen Augenblick in Betracht zu kommen. In einer so bewegten Zeit wie der unsrigen reicht es somit nicht mehr aus, einfach in der Zeitung angezeigt zu werden. Auf diese Weise angezeigt zu werden ist dasselbe wie dem Vergessen übergeben zu werden; will man bemerkt werden, muß man zumindest nach vorn auf die erste Seite unter eine Hand, die darauf zeigt und die Anzeige gleichsam ankündigt oder anzeigt. Ach, und bald wird dies auch nicht ausreichen; es wird bald so ein Gedrängel auf der ersten Seite geben, daß der einzelne Ausruf der Anzeige wieder ertrinkt und unbemerkt in der Menge verschwindet. Glück dem, der imstande ist, etwas Neues zu inventieren. Es wird natürlich nicht lange dauern, bis die neue Erfindung wieder verbraucht ist, aber beim ersten Mal muß es doch glücken. Glück somit dem glücklichen Anzeigenden, der zuerst darauf kommt, was noch übrig ist, seine Annonce auf Papier drucken zu lassen, das „einzig und allein, ausschließlich dazu angefertigt ist“ und bestimmt ist, auf dem Locus gelesen zu werden. Während alle anderen Anzeigenden verzweifeln – er wird bemerkt werden; er darf die gewisseste Hoffnung haben, er, der gewitzt den einzigen Augenblick zu benutzen wußte, den ein höchstgeehrtes, gebildetes5, doch auch in hohem Grade okkupiertes Publikum übrig hat; er wird bemerkt werden, er wird gelesen werden, er, der sich gewitzt ein privates oder doch ein Privé-Verhältnis zum Publikum zu sichern wußte.6 Und man weiß ja, auf welche Weise an öffentlichen Orten gelesen wird, wie eilend, wie nachlässig; aber auf einem Privé! Der Glückliche!7
Aber was von Anzeigen gilt, das gilt auch von Büchern: Vorworte werden nicht mehr gelesen. Man muß auf etwas Neues kommen, falls man bemerkt werden will, wie jetzt dieses, ein Vorwort zum Vorwort zu schreiben. Und vom vorliegenden Vorwort gilt es mit Sicherheit, was vorne steht: es enthält Dinge von äußerster Wichtigkeit – für mich. Es ist mir wahrlich unbeschreiblich wichtig, das Publikum dazu zu bewegen, dieses Vorwort zu lesen, das den Leser sogleich auf den richtigen Standpunkt stellen wird; und dies ist mir von äußerster, von äußerst dringender Wichtigkeit, daß der Leser sogleich auf den richtigen Standpunkt gestellt wird.
Ich hoffe nun, daß es mir geglückt ist, bemerkt zu werden, und wage es denn, mir etwas mehr Zeit zu lassen. Falls ich es also wagte, mir die ehrerbietige und untertänige Freiheit zu nehmen, Sie zu bitten, höchstgeehrtes Publikum (denn es sei weit von mir, ein höchstgeehrtes Publikum unverschämt und unverfroren zu duzen), sich zu setzen – auf den Standpunkt. Die Sache ist die; ich habe lange geschwankt, bevor ich mich zu diesem Schritt entschloß, ich habe den Augenblick weggeschoben, aber nun muß es getan werden – und nun nur eine Bitte vorweg: Schonung, Barmherzigkeit, Erbarmen, Nachsicht, schonende Beurteilung durch ein höchstgeehrtes Publikum!
Die Sache ist die. Ich bin ein junger Mann in meinen besten Jahren; mehr kann ich leider nicht sagen, denn das Unglück ist gerade, daß ich Ihnen ein ganz Unbekannter bin, was man einem höchstgeehrten Publikum, das qua Publikum alles Merkwürdige weiß und jeden Merkwürdigen kennt, nicht zufälligerweise sein kann, so ist der wahre Grund der, das ich bis dato etwas Derartiges bin, was man Nichts, Niemand nennt. Aber von jetzt hoffe ich, Etwas zu werden – einzig und allein durch Ihre Gunst, höchstgeehrtes Publikum! Mein Begehr, mein brennendes und drängendes Begehr ist es nämlich, Schriftsteller zu werden, was einzig und allein Sie zu bewirken vermögen. Denn es ist nicht ein Schriftsteller, der Leser erschafft, sondern es ist das Publikum, das Schriftsteller erschafft – und ich bin glücklicherweise Nichts, Niemand. Sie werden sehen, daß ich, wenn überhaupt jemand, Ihre Schöpfung, ganz Ihre Schöpfung werden können muß. Kein Mensch wird mir in dieser Hinsicht mit Billigkeit die Note bestreiten können: geschickt8. Sonst bedeutet die Charakteristik >geschickt< allerdings, daß man Etwas ist; aber wenn die Rede davon ist, erschaffen werden zu sollen, ist es offenbar die Forderung, daß man Nichts, Niemand ist. Was heißt es nämlich zu erschaffen? Das ist, sagt Pontoppidan, „aus Nichts oder aus einer ungeschickten Materie hervorzubringen.“9 Ich brauche einem höchstgeehrten Publikum nicht zu zeigen, was es längst weiß, wie die Begriffe umschlagen. Nächst dem, überhaupt Nichts zu sein, was heißt, geschickt zu sein, kommt: ein mittelmäßiger Kamerad zu sein. Auch aus einem solchen ist es dem Publikum noch möglich, einen Schriftsteller zu erschaffen. Jede Tüchtigkeit dagegen, geschweige denn eine eminente Tüchtigkeit, ist eo ipso gänzlich ungeschickt, ja es ist dem Publikum ganz unmöglich, einen Schriftsteller daraus zu erschaffen; weshalb das Publikum darin wohltut, eine jeden solchen Schriftsteller geringzuschätzen und zu verhöhnen, denn seine Existenz ist eine Revolte gegen das Publikum, eine Einschränkung von dessen Schöpfer-Allmacht. Aber ich, ich bin geschickt – ich bin buchstäblich Nichts; denn daß ich Barbiergeselle gewesen bin, später eine Zeit lang Ausrufer auf dem Tierparkhügel, dann Leihdiener, Markör und nun ohne Anstellung bin, ist alles zusammen etwas, das ein höchstgeehrtes Publikum nicht daran hindern wird oder kann – zu erschaffen.
Also erschaffen Sie mich! Sie, höchstgeehrtes, gebildetes Publikum (denn wie groß meine Verlegenheit und Bedrängnis auch sind, habe ich doch fest beschlossen, mich nur wenden zu wollen an und nur schreiben zu wollen für: ein „gebildetes“ Publikum)10, sind im Besitz des nervus rerum gerendarum11; nur ein Wort von Ihnen, ein Versprechen zu kaufen, was ich schreibe, oder, wenn es möglich wäre, damit alles gleich in Ordnung kommt, ein wenig Vorschuß: und ich bin Schriftsteller, ich werde es bleiben, solange diese Vergünstigung anhält. Was ist nämlich ein Schriftsteller? Das ist einer, der etwas drucken läßt, wodurch er Geld verdient. Der, der etwas drucken läßt, aber kein Geld verdient, ist kein Schriftsteller. Dies ist so leicht einzusehen, daß es jeder Speckhöker begreifen kann. Mit dem Begriff: Schriftsteller, geht es ebenso wie mit dem, ein Kaufmann zu sein. Was ist ein Kaufmann? Das ist einer, der durch das Verkaufen von Ware Geld verdient. Verdient er kein Geld, dann ist er kein Kaufmann, dann ist er ein Narr, ein Wohltäter oder was er im übrigen ist, aber er ist kein Kaufmann.
Was ich denn in diesem Buch, das doch eigentlich kein Buch ist, schreibe, ist dazu bestimmt, Ihre wohlwollende Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. In alten Zeiten schrieb man zuerst ein Werk, wodurch man sich geltend zu machen suchte, aber nun ist die Aufgabe so vielfältig, daß Tüchtigkeit in allem gefordert wird. Wie ein Alleinmädchen, das sich, da es nicht Stubenmädchen werden kann, anbietet, bei allem mit Hand anzulegen, so tut man heute am besten daran, ein Stichtuch oder ein Aufsatzheft zu liefern, um sich zu habilitieren und die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken, bevor man diesen Beruf wählt und sich als Schriftsteller niederläßt oder bevor man sich erschaffen läßt und erschaffen wird – nicht ein neues Geschöpf, sondern, wie ich es durch Ihre Schöpfer-Allmacht werden will: erschaffen aus Nichts.
Mehr brauche ich Ihnen nicht zu sagen, höchstgeehrtes, gebildetes Publikum. Sie vermögen alles, es gilt nur, Sie auf den Standpunkt zu bringen und dazu, daß Sie dort bleiben, es gilt zu rühren, bewegen, interessieren, kurz Sie für die Sache zu gewinnen. Von den Dichtern werden Sie wissen, daß alles sich um Liebe dreht, und aus Erfahrung wissen Sie, daß alles sich um Geld dreht – Liebe inbegriffen, und daß die Kunst im Leben eigentlich ist, diese beiden Mächte sich auf eine angenehme und gelinde Weise umeinander drehen zu lassen, was die Dichter selbst erfahren, denn nur in der Poesie haben sie Geld genug.12 In der Welt der Wirklichkeit ist es eigentlich überflüssig, Leutnants zu befehlen – was sich von selbst versteht: ohne Geld nicht zu heiraten. Macht man es auch noch so romantisch und verwandelt die Ehe in den Augenblick des Hochzeitstages: ohne Geld geht es nicht; geschweige denn, wenn man weiter voraus denkt und nach den Aussichten fragt. Denn es ist nicht die Ehe, die die Aussicht ist, die Ehe ist die ernsthafte Veranlassung, nach den Aussichten zu fragen. Sehen Sie, als alleinstehende Person könnte es mir natürlich niemals einfallen, Schriftsteller sein zu wollen; ich finde es ganz in seiner Ordnung, daß ein höchstgeehrtes Publikum jeden alleinstehenden Menschen, der Schriftsteller sein will, ohne weiteres als einen unwürdig Drängenden und keineswegs Versorgungsberechtigten oder passenden Gegenstand für das Mitleid des Publikums abweist. Aber ich stehe gerade (und ich weiß, daß ein höchstgeehrtes Publikum Gefühl hat, sich rühren läßt, ich weiß, daß es sich gnädigst dafür interessiert, Liebende zusammenzubringen13) bei der Frage nach den Aussichten, da stehe ich verliebt. Ich habe das Ja des Mädchens zwischen uns, ich habe so gut wie das Ja des Vaters – falls es mit dem Beruf glückt. Wie ich selbst Ihre Schöpfung sein werde, so wird, o lassen Sie sich rühren von diesem schönen Gedanken, auch meine Ehe Ihr Werk sein. Ohne Sie bin ich Nichts, durch Sie Alles.
Was darf ich nun erwarten? Hinsichtlich meiner selbst besteht, wie gesagt, kein Hinderungsgrund. Ich bin nichts weniger als ein Genie, vielmehr ganz buchstäblich ein Nichts. Gerade darin suche ich meinen Trost und meine Hoffnung. Man nimmt ja an, daß die Originalität der Schrift im umgekehrten Verhältnis zur Schnelligkeit der Ausbreitung und des Absatzes steht: welcher Trost für mich, der augenblicklich des Geldes bedarf. Die Konsequenz jenes Satzes wird direkt, daß ein sehr großes Genie, dem das Auskommen nicht auf andere Weise gesichert ist, Hungers sterben muß. Gut, daß das nicht mein Los ist, denn auf Berühmtheit kann man an und für sich ein wenig warten, aber was das Auskommen angeht, da kann man nicht gut viele Tage warten und ist einem in dieser Hinsicht mit einem umgekehrten Verhältnis nicht gedient, daß Reichtum und Überfluß hundert Jahre nach dem eigenen Tod kommen oder daß man in den Stand gesetzt wird zu heiraten, hundert Jahre nachdem man durch den Tod dazu außerstande gesetzt wurde. In allen derartigen Fällen ist das direkte Verhältnis das Beste und das Wünschenswerteste.
So lege ich denn meine Probeschrift und mit ihr mein Schicksal in Ihre Hand, höchstverehrtes Publikum. Findet die Schrift reißenden Absatz: dann ist mein Glück gemacht – ich bin Schriftsteller!14 Ich werfe mich in die Arme der Menschheit oder des Publikums; glückt diese allgemeine, wenn auch darum nicht weniger zärtliche Umarmung, dann beabsichtige ich, mich näher an meine Geliebte zu binden. Ich gehöre ganz der Zukunft durch meine kommende Braut, meinen kommenden Beruf und das mir Zukommende.
Schließlich ist nur zu bedenken, daß ich auf gegebenen Wink einer zahlreichen Subskription oder eines Mannes, der 500 Exemplare subskribiert, in des Jahrhunderts, in der Menschheit, unserer Zeit, des Publikums, Vieler, Mehrerer, audiatur et altera pars' Namen nach Bestellung und über alles schreibe; zugleich biete ich mich an, Subskribentensammlern, die 50 Subskribenten besorgen, mit Rasieren und an gewissen Stunden des Tages mit dem Bürsten von Kleidern, Besorgen von Erledigungen und anderer Aufwartung aufzuwarten.
Ehrerbietigst
A.B.C.D.E.F. Gute Hoffnung15
[274,5]
[…]
No. 2
Literatur. Aus der Presse ist in diesen Tagen ein Buch herausgekommen, das selbst in Paris Aufsehen erregen würde.21
Es sieht auf dem Einband folgendermaßen aus. Entlang dem Rand läuft ein echt vergoldeter Goldfalz, und in jeder Ecke ist ein golddurchwirktes Emblem, ungefähr wie bei den Taschentüchern der Damen. Mitten darauf ist ein ungeheuer kostbares Blumenbouquet in demselben Geschmack wie auf den echten persischen Shawls angebracht. Um dieses Bouquet herum ist der Titel mit matter Schrift gedruckt, auf der einen Seite der Titel, auf der anderen der Name des Verfassers. Man muß also das Buch wenden, um den Titel lesen zu können. Aber dies ließ sich nicht anders machen, falls man nicht den Blick vom Blumen-Bouquet ablenken wollte, das sich mit seiner ganzen Pracht in demselben Augenblick präsentiert, in dem man das Buch in die Hand nimmt.
Wie man das Buch aufschlägt, sieht es auf dem Titelblatt folgendermaßen aus. Eine üppige Kette von Arabesken schlängelt sich am Rand entlang, in jeder Ecke mit sinnreichen und hübschen Vignetten. Das Titelblatt hat zugleich die Merkwürdigkeit, daß der Titel des Buches und der Name des Verfassers so kunstvoll in die Arabesken eingearbeitet sind, daß man es nur mit großer Mühe daraus herauslesen kann. Es würde zu weitläufig werden, das Einzelne in dieser merkwürdigen Schrift durchzugehen oder paginaweise vorzugehen; wir heben deshalb bloß das ganz unvergleichliche A hervor, mit dem pag. 17 beginnt.
Wie22 man das Buch schließt, sieht es auf der Rückseite des Einbands folgendermaßen aus. Ja, es sieht in gewissem Sinne ganz aus wie auf der Vorderseite, nur daß hier alles silbern ist, was für denjenigen, der einen Vergleich anstellen will, indem er das Buch so öffnet, daß er beide Seiten des Einbands zugleich sieht, von großem Interesse ist.
Der Inhalt ist natürlich sehr gut, dafür bürgt hinreichend der berühmte Name des Verfassers. Wir hoffen, daß ein höchstgeehrtes, gebildetes Publikum durch einen reichlichen Absatz dieses schöne Streben in der Literatur ermuntern wird.[274,8]
[…]
Nachschrift
Ohne mir irgendein Selbstlob eigener Tüchtigkeit zuschulden kommen zu lassen (was denn in casu eine negative Empfehlung sein würde), wage ich einem höchstgeehrten, gebildeten Publikum zu versichern, daß ich diese meine Probeschrift leicht um noch weitere Musterstücke vermehrt haben könnte. Ich kann dies auch mit Zeichnungen, das heißt, sobald das Publikum hinreichend subskribiert, besorge ich einen Zeichner und alles, was dazugehört: Schufte, Verleumdung, Banditen, Lüge, Lauscher an öffentlichen Orten und in den Kirchen, Mitwisser in allen Vereinen und Gesellschaften, Spione im Familienleben, Topfkucker in den Haushalten, Denunzianten unter den Schuljungen, Lieferanten von Stadtgespräch und Gerüchten48, kurz alles, was einem höchstgeehrten, gebildeten Publikum als einem solchen zusagen wird. Zugleich gelobe ich heilig und bei allem, was heilig ist, bei dem unschätzbaren Gut, der Ermunterung des allgemeinen Geistes, eifrig in seinem Dienste, mit dem strengsten Ernst über die Kleidung hier in der Stadt, der Mannsleute und der Frauenzimmer, zu wachen und es nachdrücklich zu rügen, falls jemand durch die Verschiedenheit einer Schleife oder eines Knopfs oder durch das Fehlen eines Knopfs in seinem Frack die pflichtschuldige Achtung, die einem höchtsgeehrten, gebildeten Publikum geschuldet wird, außer acht lassen und, was ein Mensch- und Kleidungs-Kenner leicht entdeckt, Hochmut, Übermut, Anmaßung verraten zu müssen glaubt. Fernerhin werde ich wöchentlich eine Liste darüber liefern, wieviele Gänge jede Familie für gewöhnlich zu sich nimmt und wie oft jede Familie Gesellschaften gibt, damit die Argus-Augen der Öffentlichkeit die ganze aristokratische Anmaßung im Hinblick auf Essen und Trinken bewahren und dadurch ausrotten können.49 Doch nicht weiter hierüber, nicht ein Wort über meine mögliche Tüchtigkeit; die Hauptsache ist, daß der Nachdruck auf die rechte Stelle fällt, darauf, was das Publikum für mich machen oder durch mich machen oder wozu es mich machen wird, indem es mich zum Schriftsteller formt – aus nichts und ohne jedes Verdienst meinerseits.
Glückt mein Vorhaben trotz der vielen wirklichen, vortrefflichen Blätter und Bücher, die geschrieben werden: da wird denn, sobald es sich bezahlt macht, an nichts gespart werden, um die Forderungen der Zeit und die Ansprüche des Publikums zufriedenzustellen. Vornehmlich wird sogleich für Novellen gesorgt werden, angerichtet wie die in den Familien sehr beliebte Schichttorte, so daß stets eine Schicht Füllsel und dann eine Schicht Novelle aufeinander folgen, drei bis vier Novellen werden auf einmal gebraucht.50 Sobald es 2000 Subskribenten gibt, gibt es einen Weihnachtsbaum mit ordentlichen Gewinnen für die Subskribenten samt ihren Ehefrauen und Kindern. Wenn es 3000 Subskribenten gibt, bekommen die Subskribenten, jeder für sich, vollkommen gratis und ohne daß es das Allergeringste kostet*, eine Neujahrsgabe zum Geschenk und jedes von ihren Kindern ebenso vollkommen gratis und ohne daß es das Allergeringste kostet einen Pfefferkuchen zum Geschenk. Wenn es 4000 Subskribenten werden, wird ein höchtsgeehrtes Publikum, das wage ich zu versprechen, erstaunt sein über das, was dann geschehen wird. Aber sollte, um das Höchste zu nennen, ein Gedanke, unter dem ich beinahe zusammenbreche, sollte die Anzahl der Subskribenten 20 000 sein: dann gedenke ich den Tivoli zu kaufen, so daß der Tivoli zukünftiglich einzig und allein und vollkommen ausschließlich meinen Subskribenten zugänglich sein würde. Es folgt von selbst, daß ich, falls es so kommt, zu dieser Zeit mein Versprechen, Subskribentensammlern mit Stiefelputzen aufzuwarten, nicht mehr werde halten können; aber doch werde ich nie vergessen, daß ich bin und bleibe die Kreatur und das Geschöpf des Publikums – aus nichts und ohne jedes Verdienst meinerseits; und werde ich, um dies zu bezeichnen, in einer symbolischen Handlung, die der Fußwaschung im Katholizismus entspricht, eines Tierpark-Sonntags51 für meine Subskribenten bürsten, als Zeichen dessen, was ich trotz meines ungeheuren Wohlstands bin und bleibe.
Um das Ziel zu erreichen, werde ich, so gut ich kann, aus Leibeskräften arbeiten und unterderhand sogleich dem Publikum anvertrauen, was ich zu tun beabsichtige, woraus man sehen wird, daß ich in einem gewissen Sinne sogar mehr halte, als ich verspreche. Sobald ich nämlich 500 Subskribenten bekommen habe, gebe ich jeden einzelnen Tag bekannt, daß ich 1000 Subskribenten habe; wenn ich 1000 bekomme, gebe ich jeden einzelnen Tag bekannt: dieses vollkommen unentbehrliche Blatt, welches nach ganz kurzer Zeit bereits 2000 Subskribenten hat – und hinzugefügt wird, von No. 17 ist die dritte Auflage herausgekommen, die vollkommen gratis und ohne daß es das Allergeringste kostet neuen Subskribenten überlassen wird. Darüberhinaus schreibe ich anonym Lob und Eloge auf mich selbst in einem anderen Blatt. Aber da dieser Kniff bereits so verbraucht ist, besonders von Schriftstellern, so daß er leicht Verdacht erregt, habe ich ein Raffinement ausgeklügelt. Ich greife mich selbst anonym in einem anderen Blatt an, aber wohlzumerken in einem Fall, wo ich recht habe, und richte den Angriff so ein, daß es leicht ist, im Streit zu siegen, der daher sehr richtig damit beendet wird, daß der Angreifer (das bin ich selbst) sich beschämt zurückzieht, erklärt, daß er verloren hat, mir Unrecht getan hat, und mit einer Eloge auf den Angegriffenen (das bin ich selbst) endet. In dieser Hinsicht haben meine Erfahrungen als Ausrufer auf dem Tierparkhügel, Leihdiener und Markör mich mit vielfältiger Erfindungsgabe bereichert. Das wird schon helfen, wenn das Publikum mir nur glauben und mich in Gang setzen will. Denn – ja, das kann ich einem höchtsgeehrten, gebildeten Publikum ruhig anvertrauen: Die Menschen sind im Grunde Schafsköpfe. Mit dem Publikum ist es eine andere Sache52, das Publikum ist nämlich ein so erhabenes und unbegreifliches Etwas, daß kein Denker es ergründen kann und daß man mit ihm über alles reden kann.53 Man kann mit dem Publikum in einer Stadt gut über alle Menschen in derselben Stadt reden und zu dem höchstgeehrten, gebildeten Publikum in dieser Stadt sagen, daß alle Menschen in dieser Stadt Schafsköpfe sind. Wie gesagt, aber das bleibt unter uns54, höchstgeehrtes Publikum: die Menschen sind im Grunde Schafsköpfe. Wenn man bloß erzählt, daß man viele Subskribenten hat, und es zu sagen fortfährt, dann bekommt man viele; denn wenn das eine Schaf zum Wasser geht, dann muß es das andere auch, und wenn von einer großen Menge Schafe unaufhörlich gesagt wird, daß sie da und dort zum Wasser geht, dann muß der Rest mit, dann glauben die Menschen, daß es die Forderung der Zeit sein muß, daß man, weil es üblich ist, – auch subskribieren muß. Dann wird es schließlich eine Gewohnheit, eine träge Notwendigkeit für die Menschen dabeizusein: und dann ist das Spiel gewonnen. Dies lernt man bereits von Jakobs Verhalten gegenüber Laban.55 Denn was tat Jakob, um die weißen Schafe dazu zu bringen, buntscheckige Lämmer zu gebären? Er schälte Stöcke und legte sie jeden Tag in die Tränkrinnen, so daß die Schafe nie etwas anderes zu sehen bekamen: so half es. Und auf diese Weise auch, wenn jeden einzelnen Tag in der Zeitung steht: ich habe 1000 Subskribenten, dann bekomme ich 1000 Subskribenten.
Also, höchstgeehrtes, gebildetes Publikum: erschaffen Sie mich, und lassen Sie mich anfangen. Sie werden die gute Tat niemals bereuen, ich werde in aller Ewigkeit verbleiben, höchstgeehrtes, gebildetes Publikum
Ihre Kreatur, Ihr Geschöpf und Nichts
A.B.C.D.E.F. Gute Hoffnung56
[274,22]
Nachschrift
→ Bitte unbedingt das Vorwort lesen, da es Dinge von äußerster Wichtigkeit enthält. [274,23]
Die Moral.
„Wenn es erst soweit gekommen ist, daß die Menge beurteilen soll, was Wahrheit ist, dann dauert es nicht mehr lange, bis es mit den Fäusten entschieden wird.“ Schelling.57 [274,24]
* Anm. Dieser Terminus ist im übrigen nicht meine Erfindung, sondern einem Erfahrenen zu verdanken. Es soll nämlich so oft geschehen sein, daß Leute teuer genug bezahlen mußten, was sie bekamen, als wäre es gratis, daß aufgrund dessen dieses Hinzufügende nötig geworden ist, „vollkommen“, und um weiterer Sicherheit willen, „ohne daß es das Allergeringste kostet“. Man wird somit sehen, daß es so weit davon ist, eine überflüssige und leere Akkumulation zu sein, daß es eher mitunter vielleicht trotzdem zweifelhaft bleibt, ob man wirklich das gratis bekommt, was man „vollkommen gratis und ohne daß es das Allergeringste kostet“ bekommt.
1 Gute Hoffnung: korrigiert aus: Rosenblatt.
2 Urania: ein von Johan Ludvig Heiberg herausgegebenes Jahrbuch vermischten Inhalts, in dem auch die Astronomie Berücksichtigung fand.
3 Hiernach ein weiteres Notabene gestrichen: Vielleicht könnte man es mit Futteral erscheinen lassen und vorab als ein passendes Neujahrsgeschenk ankündigen.
4 Dem kleinen Zopfbandverkäufer begegnen die Ausflügler aus der Stadt auf Bakken, dem Schaustellerhügel im Tierpark nördlich von Kopenhagen, in Adam Oehlenschlägers Johannisabend-Spiel (in den Digte, Kopenhagen 1803, S. 238f.). Das Motto weicht in der Interpunktion und der Vertauschung von dritter und vierter Zeile vom Original ab – Kierkegaard zitiert gern aus dem Gedächtnis.
5 gebildetes: am Rand ergänzt.
6 er, der sich … zu sichern wußte: am Rand ergänzt und dafür im Text gestrichen: – ganz privatissime auf einem Privé.
7 Danach gestrichen: um nicht von dem unberechenbaren Vorteil zu sprechen, ein privates Verhältnis zum Publikum zu haben.
8 Kierkegaard spielt hier und in der Folge mit der Vieldeutigkeit von >Charakter<, was auch Rolle, Zeugnisnote, Stand und Titel meinen kann, und >beqvem<, das auch die unterste Note eines bestandenen Seminaristenexamens war und in der dänischen Bibel früher in der Wendung >beqvem til at lære< in 2. Tim. 2,24 für didaktikon, im Lehren geschickt, stand.
9 Der Bischof Erik Pontoppidan (1698-1764) war auch Prokanzler der Kopenhagener Universität. Kierkegaard zitiert, wie P. A. Heiberg und V. Kuhr mitteilen, aus Sandhed til Gudfrygtighed, Kopenhagen 1737, S. 92.
10 Die Parenthese am Rand hinzugefügt.
11 nervus rerum gerendarum: die Kraft, etwas hervorzubringen. In Entweder-Oder, S. V. II 248f., heißt es: Geld ist und bleibt doch der nervus rerum gerendarum, die wahre conditio sine qua non; denn wohl ist es schön, von ländlicher Genügsamkeit, von idyllischer Armut zu lesen, und ich lese gern solche Gedichte, aber der Lebensweise selbst würde man bald überdrüssig; und die, die solcherart leben, genießen dieses Leben denn auch nicht halb so sehr wie der, der Geld hat und nun mit aller Ruhe der Welt die Gesänge der Dichter liest.
12 Danach gestrichen: – Papiergeld, das wohlzumerken fremdländisch ist.
13 ich weiß, daß es sich gnädigst … zusammenzubringen: am Rand ergänzt.
14 Die Interpunktion so bei Kierkegaard.
15 Siehe Anm. 1.
21 Danach gestrichen: unter allen Buchbindern und Typographen.
22 Dieser Absatz am Rand hinzugefügt.
48 Die Lauscher und Mitwisser, Denunzianten und Lieferanten finden sich am Rand hinzugefügt.
49 Zugleich gelobe ich … ausrotten zu können: am Rand hinzugefügt.
50 Vornehmlich wird sogleich … auf einmal gebraucht: am Rand hinzugefügt.
51 Der Tierpark, ein großes Freigehege mit Vergnügungspark nördlich von Kopenhagen, war und ist ein beliebtes Ziel für eine sonntägliche Unternehmung. Oehlenschlägers Johannisabend-Spiel, das eingangs zitiert wurde, beschreibt solch einen Familienausflug ins Grüne.
52 Mit dem Publikum … Sache: am Rand ergänzt.
53 und daß man … kann: am Rand ergänzt.
54 unter uns: auch bei Kierkegaard deutsch.
55 1. Mose 30,37f.
56 Siehe Anm. 1.
57 Am Rand ergänzt: (in der Vorrede zu Steffens' nachgelassenen Schriften). Die von Kierkegaard sehr frei zitierte Stelle lautet im Original: [Wäre dem Staat] „Zuzumuthen, daß er eigenmächtigen und unbefugten Abänderungen der bestehenden Ordnung, oder Aufreizungen, die keine andere Absicht haben können, als die wichtigsten und innerlichsten Fragen zur Entscheidung durch die Zahl und die Menge zu bringen (wovon die Entscheidung durch die Fäuste nicht mehr weit ist), nicht mit aller ihm zustehenden Kraft entgegentrete?“ H. Steffens: Nachgelassene Schriften. Mit einem Vorworte von Schelling, Berlin 1846, S. XLVII. – Kierkegaard hat Steffens wie Schelling im Wintersemester 1841/42 in Berlin gehört, vgl. das erste der Berliner Tagebücher in diesem Band.
aus: Sören Kierkegaard: Schriftproben, hg. von Tim Hagemann, Hamburg 2005, S. 185-191, 193-194, 205-209.
Die Wiedergabe des Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigung des PHILO-Verlags.
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