TexturenGeschichte

 

Literarische Geschäftigkeit in der Antike

von Michael Buchmann

Für viele beginnt die Geschichte des Literaturbetriebs erst mit der Erfindung des Buchdrucks. Dabei zeichnete sich die Struktur eines Literaturbetriebs lange zuvor bereits ab. Im antiken Rom gab es eine Straße und ein gleichnamiges Stadtviertel, nämlich das Argiletum, das für seine Buchhändler bekannt war. Der Dichter Martial schrieb ca. 100 n.u.Z. darüber: „Zum Argiletum pflegst du manchmal doch zu laufen: / Dem Caesar-Forum gegenüber liegt ein Stand, / wo Tür und Wände sind bedeckt mit Büchern, Band an Band, / um alle Dichter rasch zu überschlagen. / Dort kauf mich, [...]“. Diese Eigenwerbung ist nicht nur als solche eine Erwähnung wert, sondern noch aus zwei weiteren Gründen: erstens weil sich Martial auch an vielen anderen Stellen seiner Epigramme - und in einigen Fällen sogar explizit - nicht nur an die gebildete Schicht wendet, sondern genauso an Soldaten, Prostituierte und allgemein das einfache Volk. Dazu passt seine bewusste Entscheidung, ganz auf die neue Codexform zu setzen, also nicht auf die damals noch üblichen Schriftrollen, sondern auf die uns heute noch vertraute Buchblockform. Sie war anfangs vor allem bei den unteren Schichten beliebt und verbreitet.


Außerdem lässt sich für das antike Rom eine lebendige Szene von Literaturlesungen nachweisen. Solche Lesungen fanden auch bei Atticus statt, wie der antike Historiker Nepos berichtet: „Niemand hörte bei seinen Gastmählern einen anderen Ohrenschmaus als den Vorleser, [...] und niemals speiste man bei ihm, ohne dass irgendetwas gelesen wurde, so dass die Gäste nicht weniger Genuss für den Geist als den Magen fanden.“ Abgesehen davon, dass nicht alle Lesungen ungeteilten Beifall fanden, lässt sich ebenfalls bei Martial nachlesen, dass sich anlässlich dieser Lesungen bereits das Problem des geistigen Eigentums und seiner Verletzung stellte: „Fidentinus, der Ruf sagt aus, daß meine Gedichte / Du nicht anders dem Volk liesest, als wären sie dein. / Schenken will ich sie dir, wenn du mein willst nennen die Verse: [...]“. Ungefähr neunhundert Jahre zuvor soll dieses Problem bereits bei Homer aufgetreten sein. Ein gewisser Lehrer Thestorides habe Homer seine Gastfreundschaft unter der Bedingung angeboten, sich die von Homer vorgetragenen Texte aufschreiben zu dürfen; kaum hatte Homer den Ort Neonteichos wieder verlassen, ging Thestorides seinerseits nach Chios, um dort in einer eigens eingerichteten Schule Homers Texte als seine eigenen vorzutragen. Als Homer davon erfuhr, machte er sich auf den Weg, aber Thestorides erfuhr vom Herannahen Homers und floh.

Atticus, der vielleicht zutreffender als Bankier bezeichnet werden sollte, gilt deshalb einigen als erster Verleger, weil er die Texte seines Bekannten Ciceros von Sklaven abschreiben ließ. Außerdem rationalisierte er das Verfahren des Abschreibens dergestalt, dass nicht nur ein Sklave von einer Vorlage abschrieb, sondern dass ein Sklave vorlas und viele Sklaven gleichzeitig den vorgelesenen Text abschrieben. Außerdem kann man bereits zu dieser Zeit von so etwas wie einem Vertrieb sprechen, der das gesamte römische Reich umspannte. Glaubt man wieder den Epigrammen Martials, konnte man dessen Bücher sogar im fernen Großbritannien kaufen: „[...] Auch Britannia singt, so sagt man, meine Gedichte. Aber was nützet es? / Nichts merket mein Beutel davon.“ Diese schnelle Verbreitung der Texte war neben der Produktion einer relativ hohen Auflage bereits damals probates Mittel im Kampf gegen die Raubkopierer.

Auch der Literaturtourismus, der als besonders modern gilt, war bereits in der Antike bekannt. Der Satiriker Lukian schrieb bereits ca. 150 n.u.Z. über die Verbreitung von Mythen: „Aber den Dichtern und den Staaten […] könnte man verzeihen, den einen, wenn sie den im Mythos liegenden Reiz, der besonders anziehend ist – was sie ihren Zuhörern gegenüber brauchen –, in ihre Schriftstellerei einmengen, den Athenern aber, den Thebanern und anderen, weil sie durch derartige Erzählungen ihre Heimat ehrwürdiger erscheinen lassen wollen. Denn wollte jemand Griechenland um diese Fabeln bringen, so müßten ihre Fremdenführer ohne weiteres verhungern, da die Fremden nicht einmal gratis die Wahrheit zu hören wünschen würden.“ Lukian gelten die Mythen als Mittel zum Zweck: die Schriftsteller möchten ihre Zuhörer mit ihrer Hilfe fesseln und beeindrucken, die Staaten möchten mit Hilfe der Mythen ihren Wert als Reiseziel steigern, was sie auch tatsächlich bis heute erfolgreich vermarkten können. Diese bereits auf den Publikumserfolg und den Tourismus ausgerichtete Produktion von Erzählungen scheint der Figur in Lukians Satire völlig verständlich zu sein.

Was dieser Figur dagegen naiv erscheint, ist die Erzählung von Mythen als Selbstzweck; nicht die durchaus hintersinnige Stilisierung von Texten und Autoren als marktfern, die sich dann ihrerseits wieder zu einem Marktvorteil verwandeln lässt, sondern die Tradierung von Mythen nur um ihrer selbst willen – oder mit Lukians Worten: „Die aber, die aus keinem derartigen Anlaß gleichwohl ihre Freude an der Lüge [d. h. Fiktion] haben, sie dürften einem mit Recht ganz lächerlich vorkommen.“

 

Literatur

  • Blanck, Horst: Das Buch in der Antike, München 1992.
  • Cavallo, Guglielmo: Vom Volumen zum Kodex: Lesen in der römischen Welt, in: Roger Chartier/Guglielmo Cavallo (Hg.): Die Welt des Lesens. Von der Schriftrolle zum Bildschirm, Frankfurt am Main/New York 1999, S. 99-133.
  • Dortmund, Annette: Römisches Buchwesen um die Zeitenwende. War T. Pomponius Atticus (110-32 v. Chr.) Verleger?, Wiesbaden 2001.
  • Griep, Hans-Joachim: Literatur und Lesekultur in Rom, in: Hans-Joachim Griep: Geschichte des Lesens. Von den Anfängen bis Gutenberg, Darmstadt 2005, S. 98-151.
  • Griep, Hans-Joachim: Die Spätantike, in: Hans-Joachim Griep: Geschichte des Lesens. Von den Anfängen bis Gutenberg, Darmstadt 2005, S. 152-183.
  • Lukian: Wahre Geschichten, in: Lukian: Werke, Bd. 2, Berlin/Weimar 1974, S.301-349.
  • Lukian: Der ungelehrte Büchernarr, in: Lukian: Werke, Bd. 3, Berlin/Weimar 1974, S. 233-249.
  • Martial: Epigramme. Von Dirnen, Gaunern, Gladiatoren, Frankfurt am Main/Leipzig 1997.

 


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