TexturenGeschichte
Friedrich Nicolai: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Zweytes Buch
Erster Abschnitt.
Sebaldus hatte seine Mobilien gröstentheils verkauft, und das daraus gelösete wenige Geld Marianen zur nöthigen Einrichtung mitgegeben. Er hatte sich in den Zustand jenes Philosophen versetzt, daß er alles das seinige bey sich tragen konnte. Nunmehr bestand er darauf, auf irgend eine Art, und wo möglich, ausser der Stadt, in der seine Feinde wohnten, selbst sein Auskommen zu verdienen. Nach einiger Ueberlegung, nahm ihn Hieronymus mit sich, als er nach Leipzig zur Messe reisete, wo er ihm bald bey einigen großen Druckereyen die Stelle eines Correctors verschaffe. Sebaldus miethete eine kleine Dachstube im sechsten Stockwerke, und war bey seinem obwohl dürftigen Auskommen überaus vergnügt mit seinem Zustande, weil er nur ein Drittel des Tages mit Correcturen zu thun hatte, und die übrige Zeit auf seine apocalyptische Erklärung wenden konnte, die ihm, wie ein alter Freund, in seinen Widerwärtigkeiten nur noch lieber geworden war.
Ob übrigens Sebaldus zuerst den Herrn D. Ernesti oder den Herrn D. Crusius besucht habe, wissen wir nicht. Vielleicht hat er bedacht, daß ein armer Corrector nicht so leicht zu einem vertraulichen Umgang mit solchen Männern gelange, und daß es unnütz sey, einen Gelehrten auf eine halbe Viertelstunde zu besuchen, um sein Gesicht zu begaffen, und ist also gar zu Hause geblieben. Ob er jemals Prof. Gellerts moralischen Vorlesungen beigewohnt, oder jemals mit Mag. Froriep über die symbolischen Bücher, oder über die Nunnation der arabischen Nennwörter disputirt habe, läßt sich auch so genau nicht sagen. Ob er in der Nicolaikirche, des in Leipzig und dessen sämtlichen Vorstädten berühmten Mag. Matthesius salbungsvolle Predigten wider die Schaubühne mit angehört, oder ob er zu eben der Zeit da sie gehalten worden, im Kuchengarten, des eben so weit berühmten Händels von Butter triefende Maulschellen und Wetzsteine verzehret habe, darüber sind gar keine Nachrichten vorhanden.
Es haben sehr ernsthafte Gelehrten behauptet, daß die Wahrheit das Wesen der Geschichte sey. Wir sind weit entfernt, Männern die so scharf demonstrirte Theorien der Geschichte zusammensetzen können, im geringsten zu widersprechen, nur haben wir uns unterstanden zu muthmaßen, daß ob man gleich in der Geschichte lauter wahre Begebenheiten erzehlen solle, man doch auch lieber den grösten Theil der wahren Begebenheiten können unerzählt laßen. Es sind funfzigtausend Bände voll Wahrheit über die Geschichte Deutschlands zusammengetragen worden, so daß der schon ein gelehrter Geschichtskundiger heißet, der nur den funfzigsten Theil dieser Wahrheiten gelesen hat. Dieser Ueberfluß von Wahrheit, hat manchen braven Deutschen zu dem angenehmen Lügner Voltaire geführet, der uns ein halbes Jahrhundert in wenigen Blättern übersehen läßt, aber dafür auch oft unverantwortlicherweise eine Hildegardis hinsetzt, wo eine Mathildis stehen solte, oder die Jahrzahl funfzig angiebt, wo die Jahrzahl sechzig solte angegeben werden. Der Unterschied zwischen unsern deutschen wahrhaften Geschichtschreibern, und den oft lügenhaften Franzosen, (woraus auch zu erklären ist, warum Häberlins Auszug der deutschen Geschichte ungleich corpulenter gerathen ist, als Voltairens allgemeine Weltgeschichte,) besteht darin: Der gelehrte Deutsche verschweigt dem Leser nichts, was er gewiß weiß, und das ist denn sehr viel, aber er bedenkt oft nicht, was der Leser zu wissen verlange, welches gemeiniglich sehr wenig ist. Hingegen der Franzose, der nur wenig weiß, thut sich auch darauf nichts zu gut, sondern erzählet nur das, was er meint, daß seine Leser zu wissen verlangen könnten, macht sich aber auch kein Bedenken, es ihnen zuweilen mit einer kleinen Brühe von Erdichtung schmackhafter zu machen.
Wir die wir diese Beyspiele vor uns sehen, spiegeln uns an denselben. Wir wissen von Sebaldus Aufenthalte in Leipzig sehr viele Umstände, die wir nicht wie die deutschen Geschichtschreiber, samt und sonders erzählen, sondern sie vielmehr mit einiger Verläugnung unterdrücken wollen, weil wir nach reifer Ueberlegung gefunden haben, daß unsere Leser weder Nutzen noch Vergnügen daraus schöpfen können. Hingegen soll auch die Wahrheit das Wesen dieser Geschichte bleiben, und wir werden daher keinesweges, gleich dem leidigen Voltaire, Umstände verstellen oder erdichten, um unsere Erzählung intereßanter zu machen. Damit man aber nicht etwa glaube, wir wüsten nichts, weil wir nichts sagen, so wollen wir, um das Gegentheil zu zeigen, aus der grossen Menge der vor uns liegenden Nachrichten, einige bey Sebaldus Aufenthalt in Leipzig vorgefallenen Abendgespräche mittheilen.
Neben der Dachstube des Sebaldus, wohnete auf einer andern Dachstube ein alter Magister, mit dem er bald Bekanntschaft machte, und mit ihm in kurzen vertraut wurde, weil es sich äusserte, daß derselbe, so wie er, an der Ewigkeit der Höllenstrafen zweifelte. Dieser Mann hatte gründliche Kenntnisse der alten Sprachen und alles dessen, was zur Philologie gehört. Er hatte die alten griechischen Philosophen fleißig gelesen, und sie mit den Schriften neuerer Philosophen verglichen, wodurch er gute Einsichten in die Philosophie erlanget hatte. Aber weil seine Kenntnisse nicht nach der Mode zugeschnitten waren, und weil er, sobald er mit Menschen reden solte, überaus schüchtern und ängstlich war, so hatte er sich nie getraut, um ein Amt, selbst nicht um ein Schulamt anzuhalten, man würde es ihm vielleicht auch nicht gegeben haben. Er war daher als Corrector bey verschiedenen Druckereyen, grau worden. Er kennte alle Vorfälle des Verleger- und Autorgewerbes. Denn gleichwie ein Lichtputzer in der Comödie, zuweilen einen stummen Staatsminister oder einen redenden Lakayen vorstellen muß; so war auch er, obgleich eigentlich nur ein Corrector, dennoch von seinem Verleger oft zum Uebersetzer, ja wohl gar zum Schreiber einer zuverläßigen Nachricht, oder schrift- und vernunftmäßiger Gedanken, gebraucht worden.
Einige Tage nach Sebaldus Ankunft, besuchte ihn der Magister, um den Abend bey einer sehr frugalen Abendmahlzeit zu verplaudern. Der Magister fragte, wie ihm Leipzig gefiele. Sebaldus der nichts für merkwürdig hielt, was nicht einem Buche ähnlich sahe, hatte auch in Leipzig nichts als die vielen Buchdruckereyen und Buchläden bemerkt. Ihm war gar nicht in die Augen gefallen, ob die Einwohner den Rang oder die Bequemlichkeit liebten, ob sie gesellig oder steif wären, ob die Damen lieber geputzt als schön zu seyn suchten, ob die Studenten ein gelehrtes oder ein soldatisches, ein galantes oder ein liederliches Ansehen affectirten, ob die Jungemädgen Niedlichkeit und Artigkeit für den ersten Zweck ihres Daseyns hielten oder nicht. Ihm war es nie eingekommen zu untersuchen, wie die Bauart der Häuser, den Zweck der Eigenthümer bey wenigem Platze ihre Wohnungen bequem zu machen, verriethe, welchen Beweis des Wohlstandes der Einwohner die schönen Gärten und Gartenhäuser in den Vorstädten darböten, und ob daselbst Reichthum und Kenntniß des Schönen mit gleichen Schritten fortgegangen sey. Er hatte sich auf den Straßen nie umgesehen, und es war ihm nie eingefallen zu erörtern, ob das Homannsche Haus oder die Wage schöner gebauet sey, ob am Erker des Romanusschen Hauses, mit Rechte, drey übereinanderstehende Säulenordnungen auf einem Kragsteine ruhen, oder ob im Großbosischen Garten die fleißige Kunst die schönsten Anlagen der Natur verderbt habe. Den schönsten unter den Leipziger Gärten, den Richterschen, hatte er eben so wenig, als die reizende Aussicht aus demselben gegen das Zschochersche Hölzgen zu, gesehen. Die schöne Gegend hinter Raschwitz war ihm nicht zu Gesichte gekommen, und vom Linkschen Winklerschen und Richterschen Cabinette, hatte er nicht einmahl reden hören. Weil die Rathsbibliothek und die Universitätsbibliothek, die einzigen Gegenstände seiner Neugierde, in der Messe nicht offen waren, so hatte er alle Tage seines Aufenthalts in Leipzig damit zugebracht, von Druckerey zu Druckerey und von Buchladen zu Buchladen zu wandern. Noch ganz voll von diesen Gegenständen, rief er aus:
Wie solte mir Leipzig nicht gefallen, der ächte Sitz der Gelehrsamkeit, die wahre Stapelstadt gelehrter Kenntnisse, welche aus Deutschland hieher eingesamlet, und von hieraus allen andern deutschen Provinzen wieder mitgetheilet werden! Hier siehet man in unzählbarer Menge die Früchte der Nachtwachen einer grossen Anzahl gelehrter Männer, die, nachdem sie beschäftigt gewesen, ihren Geist mit allen nützlichen Kenntnissen zu bereichern, diese Kenntniße, durch unermüdetes Nachdenken vervollkommnet, der ganzen Welt mittheilen und sie dadurch zu erleuchten suchen. Wenn ich die hiesigen unermeßlichen Bücherniederlagen betrachtet habe, ist mir die unausgesetzte Geschäftigkeit der Gelehrten recht ehrwürdig vorgekommen. Ich hätte nie gedacht, daß so viele Bücher in der Welt wären, als ich hier beisammen finde, und daß noch jährlich einige hundert oder tausend hinzukommen.
Mag. Und darüber freuen Sie sich? Ich nicht. Sie kommen mir vor, wie ein hungriger Ankömmling an einer reichbesetzten Tafel, der den grossen Vorrath von Speisen sicher, und schon überschlägt, wie gut er sich mit diesen herrlich aussehenden Nahrungsmitteln füttern wolle. Ich bin einer von den Gästen, die schon oft an dieser Tafel geseßen haben, und schon oft hungrig aufgestanden sind. Einige Speisen hatten einen sehr wiedrigen haut-gout, andere schmeckten angenehm aber waren äußerst unverdaulich, andere waren nicht gahr gekocht, und andere waren bloße Schaueßen. Endlich blieb ich zu Hause, aß mein Stück Käse und Brodt, und verwünschte alle Köche.
Seb. Aber ist es nicht ein herrliches Schauspiel, eine so große Menge gelehrter Werke zusammen zu sehen, die doch alle, jedes in seiner Art, die Menschen klüger, gelehrter, weiser, tugendhafter, kurz beßer machen?
Mag. Ein Schauspiel wie manches andere, von dem uns die Einbildungskraft, ehe wir es sehen, die angenehmste Vorstellungen macht. Wer wie Sie vom Lande, aus der Einsamkeit kommt, ist sehr geneigt sich durch jeden ersten Glanz blenden zu laßen, und alles für schöner anzusehen als es ist. Mein lieber Freund! Wenn die Gelehrten durch ihre Bücher sonst nichts zu erlangen suchten, als was sie da sagen, so würden neun Zehentheile der Bücher gar nicht geschrieben werden. Wie die Menschen klüger weiser und beßer werden sollen? Ich wette daran haben neun Zehentheile der Schriftsteller, deren Werke die Meße zur Meße machen, gar nicht gedacht. Sie haben ganz andere Absichten zu erlangen und ganz andere Bedürfniße zu befriedigen.
Seb. Welche könten die seyn? Ein Gelehrter hat freilich viele Absichten und Bedürfniße, als Mensch mit andern Menschen gemein. Was könte er aber als Gelehrter für ein anderes Bedürfniß haben, als seinen Geist durch alle nützliche Kenntniße aufzuklären, und wenn er findet, daß er erleuchteten ist als andere, was folget natürlicher darauf, als die Absicht, andern seine Kenntniße mitzutheilen, das heist ein Schriftsteller zu werden.
Mag. Diese Folge scheint so natürlich, gleichwohl muß sie nicht nothwendig seyn, denn gewiß sehr viel Schriftsteller haben nicht daran gedacht ob ihr Geist aufgeklärt gnug sey, noch weniger ob er aufgeklärter sey, als der Geist anderer Leute, und gleichwohl sind sie Schriftsteller in bester Form, und wenn Zeitungslob und eigen Lob etwas gilt, große berühmte Schriftsteller. Hingegen haben wir beide, Sie mein Freund und ich, von Jugend auf gearbeitet unsere Kenntniße zu erweitern und volkommner zu machen, und ich darf sagen, wir wißen es auch, daß wir manche Sachen beßer einsehen, als manche andere Leute, und gleichwohl dürften wir beide vielleicht nie Schriftsteller werden.
Seb. Ich weiß nicht, was Sie zu thun willens sind. Ich aber, ich muß es mit einiger Schüchternheit gestehen – ich arbeite schon seit vielen Jahren, an einem Commentar über die Apocalypse.
Mag. Ueber die Apocalypse? Da sind Sie mehr als jemand bey mir im Verdacht, daß nicht allein die von Ihnen vorher angeführten schönen Absichten, sondern einige kleine Nebenabsichten Sie zum Schriftsteller machen.
Seb. Ich bin mir keiner Nebenabsichten bewust. Welche könte ich auch haben?
Mag. Ich weiß nicht. Vielleicht ein wenig Ruhmsucht. Sie wollen der Welt gern etwas neues und scharfsinniges sagen, denn etwas für das menschliche Geschlecht nützliches werden Sie doch schwerlich sagen können. Die Apocalypse ist eine dickschälige Citrone, aus der so viele hundert Commentatoren, den wenigen Saft der in ihr war, schon längst ausgepreßt haben.
Seb. Wenn sie nicht mehr Saft in sich hat, so könte sie doch vielleicht noch Oel enthalten. Glauben Sie nicht, daß es dem menschlichen Geschlechte wichtig wäre, wenn ich zeigte, daß alles was man bisher, über dis seit vielen Jahrhunderten vielen Menschen so wichtig scheinende Buch, geschrieben hat, alberne Fratzen sind, voller Unsinn, auf Kosten des gesunden Menschenverstandes, der Religion und der Geschichte gesagt. Wäre es nicht ein Verdienst so viel Lügen um ihr Ansehen zu bringen, wenn ich auch nur wenig Wahrheit an die Stelle setzen könte. Und gleichwohl, ohne ruhmredig zu seyn, versichere ich, daß ich die erfüllten historischen Weissagungen, aus der Geschichte anzeigen und von einigen wenigen noch unerfüllten, solche Muthmaßungen an die Hand geben will, die selbst Königen und Fürsten nicht gleichgültig seyn dürften. Dennoch schätze ich diese meine historische Entdekungen sehr gering gegen diejenigen, die etwas beitragen können den moralischen Zustand des Menschen zu verbeßern. Wie, wann ich aus diesem Buche, von dem künftigen Zustande der Auserwählten die sichersten Schlüße ziehen, wenn ich (hier funkelten dem ehrlichen Sebaldus die Augen) aus demselben die Lehre, die Sie wie ich verabscheuen, die Ewigkeit der Höllenstrafen, gänzlich wiederlegen, und deutlich zeigen könte, wie in Gottes Haushaltung alle Bestrafung auf Beßerung abzielen muß und wird – könte dis dem menschlichen Geschlechte gleichgültig seyn?
Mag. Mein Freund, Sie haben wirklich eine gute Anlage zum Schriftsteller, Sie kommen in Feuer wenn Sie von Ihrem Buche reden. Doch scheint es mir, indem Sie mir beweisen wollen, daß die Ruhmsucht nicht der Bewegungsgrund Ihres Schreibens ist, so rühmen Sie sich so sehr als man sich rühmen kann.
Seb. Den Ruhm, der aus einer wohlgelungenen Ausführung eines nützlichen Unternehmens entspringt, verachte ich gar nicht. Er ist jedem rechtschaffenen Manne angenehm, und kann mit der Begierde der Welt zu nützen, sehr wohl bestehen, und so wird es vermuthlich auch wohl mit den Nebenabsichten seyn, die Sie den Schriftstellern schuld geben.
Mag. Nicht völlig eben so. Die meisten Schriftsteller schreiben, um bekannt zu werden, ein Amt zu erschreiben, einem Patron ein Buch zu dediciren, einen Freund zu erheben, oder einen Feind zu erniedrigen, und sie denken mehrentheils nicht daran, ob die Welt von ihren Büchern Nutzen oder Schaden habe, wenn sie nur ihren Privatendzweck erreichen.
Seb. Den können sie aber nicht erreichen, wenn sie nicht zugleich etwas nützliches schreiben. Denn es kann doch niemand so unverschämt seyn, ein Buch herauszugeben, um etwas bekanntes oder langweiliges oder nichtsbedeutendes zu sagen.
Mag. Das sollte freilich nicht seyn, wie will es aber ein armer Schriftsteller machen, wenn er nichts neues intereßantes und wichtiges zu sagen hat, und doch ein Buch schreiben soll. Meinen sie nicht, daß ein wichtiges und nützliches Buch viel Geschicklichkeit erfodere, daß man sehr viel mehr wißen müße, als was man sagt, daß man vorher alles nachlesen müße, was andere bekannte Schriftsteller über diese Materie geschrieben haben, daß man sich aber doch nicht müße merken laßen, wie viel man gelesen habe, daß man seine ganze Materie wohl überlegen und anordnen müße, und daß zu allem diesen sehr viel Zeit und Arbeit gehöre?
Seb. Allerdings!
Mag. Meinen Sie aber, daß der, der bekannt werden, ein Amt erschreiben, seinem Patron ein Buch dediciren, seinen Freund erheben oder seinen Feind erniedrigen will, allemahl Geschicklichkeit haben werde, oder viel Zeit und Arbeit werde anwenden können?
Seb. Nein! Wenn aber dis nicht ist, so muß er auch gar kein Buch schreiben, denn den wahren Hauptzweck des Schriftstellens unwichtigen Nebenzwecken aufopfern, ist eines wahren Gelehrten ganz unwürdig.
Mag. Ja freilich eines Gelehrten! Aber ein Schriftsteller, kann es im Laufe seines Gewerbes nicht so genau nehmen.
Seb. Ich weiß nicht wie Sie sprechen. Ein Buchdrucker oder ein Buchhändler, mag ein Gewerbe mit Büchern haben, aber ein Schriftsteller ist ein Gelehrter, der der Welt nützliche Kenntniße mitzutheilen sucht, der Wahrheit und Weisheit befördern will.
Mag. Ihre Einbildungskraft, mein liebster Freund, fliegt noch ziemlich hoch, laßen Sie sich herunter, und kommen Sie der Erde näher. Der gröste Haufen der Schriftsteller von Profeßion, treibt ein Gewerbe, so gut als die Tapetenmaler oder die Kunstpfeifer, und sieht die wenigen wahren Gelehrten, fast eben so, für zudringliche unzünftige Pfuscher an, als jene Handwerker einen Mengs oder Bach. Durch dis Gewerbe, und nicht durch die Begierde das menschliche Geschlecht zu erleuchten, entsteht die unsägliche Menge von Büchern die Sie so bewundert haben; denn Leipzig ist freilich seit mehr als hundert Jahren die Stapelstadt der Waaren, die diese gelehrten Handwerker zu jeder Meße verfertigen.
Seb. Sie haben ein sonderbares Vergnügen daran, Wörter zusammenzusetzen, deren Begriffe offenbar miteinander zu streiten scheinen. Gelehrsamkeit ein Handwerk? Bücherschreiben ein Gewerbe?
Mag. Allerdings, und zwar ein solches Gewerbe, worin jeder den Nutzen so sehr auf seine Seite zu ziehen sucht, als es nur möglich ist. Der Autor will gern dem Verleger so wenig Bogen Manuscript als möglich, für so viel Geld als möglich ist, überliefern. Der Verleger will gern so viele Alphabete als möglich, so wohlfeil als möglich einhandeln, und so theuer als möglich verkaufen. Der Autor will gern so wenig Zeit, Mühe, Ueberlegung und Geschicklichkeit an sein Buch wenden, und doch so viel Ruhm, Belohnung, Beförderung, von der Welt einärndten, als möglich. Zu dem letzten sind leider nur allzuviel Mittel vorhanden.
Seb. Sie sagen mir da so unerhörte Sachen, daß ich vor großem Erstaunen mich fast nicht getraue, ein Wort dagegen zu sagen, und doch begreife ich alles ganz und gar nicht. Was für Mittel können vorhanden seyn, durch ein Buch Ruhm und Belohnung zu erlangen, in dem man nicht Talente zeigt und auf das man wenig Zeit gewendet hat?
Mag. Ey sehr viele. Z. B. ein Profeßor muß Amtswegen ein Collegium lesen, dazu schreibt er ein besonderes Compendium der ganzen Wissenschaft. Dis kostet wenig Zeit und Mühe, erfordert auch wenig Talente, und doch giebt es bey den Studenten das Ansehen, als ob man die Sachen besser verstehe als seine Vorgänger, und bey der Welt das Ansehen, als ob man ein Buch schreiben könne.
Seb. Aber die Welt kan doch unmöglich ein bloßes Compendium einer bekannten Wissenschaft für ein Buch ansehen.
Mag. Die deutsche Welt ist gutwillig, sie hat sich schon sehr viele Compendienschreiber für Schriftsteller aufdringen laßen. Und denn weiß mancher Lehrer noch wirthschaftlicher mit seinem Pfunde zu wuchern. Will das Compendium nicht Ruhm gnug bringen, so läst man einen Theil des Discurses oder der Amplification des Compendiums unter einem Modetitel drucken, und denn ist man ein Schriftsteller in bester Form.
Seb. Ja! aber doch sind meines Erachtens, Studenten und Leser sehr unterschieden.
Mag. Ja freilich, darum werden auch die Stadthistörchen, die Anspielungen auf die Herren Collegen, die Schwänke die die Benevolenz der Herren Commilitonen captiviren sollen, weggelassen, wenigstens von denen, die Kenntniß der Welt und Lebensart im Munde führen.
Seb. Das ist ganz gut! Aber ich dächte doch, der ganze Ton müste verändert werden. Ein Lehrer kann voraussetzen, daß er mehr Einsichten habe als seine Zuhörer, deshalb kann er ihnen manches sagen, daß er den Lesern mit Anstand nicht sagen darf, weil er vermuthen kan, daß darunter viele seyn möchten, die eben so viel, und mehr Einsicht haben als er.
Mag. Sehr wenige Profeßoren denken so delicat als Sie, ich kenne mehr als einen, der seine Leser völlig eben so anredet und unterrichtet, als ob sie lauter junge Studenten wären.
Seb. Das befremdet mich sehr. Ich wenigstens wenn ich in dem Falle wäre, würde mir immer vorstellen, daß die erleuchtetesten Leute meiner Zeit meine Leser seyn könnten, und welche armselige Figur ich gegen sie machen müste, wenn ich ihnen ganz bekannte Sachen vordociren wolte, die sie viel besser wüsten. Ueberhaupt dächte ich, ein Lehrer in einem Collegium für junge Leute, müsse sich nach dem Verständnisse des Geringsten unter seinen Zuhörern bequemen, hingegen ein Schriftsteller, suche hauptsächlich den Verständigsten unter seinen Lesern zu gefallen, daher könne ein gutes Collegium, doch schwerlich ein gutes Buch werden.
Mag. Ey sie machen sich feine Schwierigkeiten! Wissen Sie hiemit, was gedruckt werden kann, kann ein Buch werden. Eine Dißertation, eine Prolusion, eine Oration, ein Programma, ein Oster- oder Pfingstanschlag den ein Schulmann oder Profeßor amtshalber schreiben muß ist ja wohl noch weniger ein Buch.
Seb. Ich wenigstens halte die Verfertigung solcher Aufsätze für ein Opus operatum, bei dem gewöhnlicherweise mehr die Hand als der Kopf nöthig ist.
Mag. O man kann ein Schriftsteller von vielen Bänden werden, ohne den Kopf sonderlich anzustrengen. Was denken Sie wohl Z. B. von einem Prediger der seine gehaltene Predigten drucken läst?
Seb. Wenn meine Gemeinde meine Predigten verlangte, so würde ich sie sehr gern zu ihrem Gebrauche drucken lassen, denn warum solte ich ihr nicht schriftlich sagen, was ich ihr mündlich gesagt habe? Aber auch bloß für meine Gemeine solten meine Predigten gedruckt werden. Ich habe meine Predigten immer besonders nach den Umständen meiner Gemeine eingerichtet. Nun würde ich immer denken, die Welt würde nicht weiter nutzen können, was ich blos meiner Gemeine, gesagt habe, als das, was ich als Vater meinen Kindern zu ihrem bessern Verhalten eingeschärft habe.
Mag. Vielleicht würde doch die Welt, das was Sie so bescheiden ankündigen, mit mehrerm Nutzen lesen, als die Predigten der Herren, welche die ganze Welt für ihre Diöcese halten.
Seb. Es kan seyn, daß auch in meinen Predigten etwas gemeinnütziges ist, aber doch würde das Bändgen, das ich mir der Welt vorzulegen getraute, immer sehr klein seyn.
Mag. Das Bändgen? Wer sich recht auf Predigtschreiben legt, hört vor dem dreizehnten oder vierzehnten Bande nicht auf.
Seb. Wie? dreyzehn oder vierzehn Bände Predigten? dazu gehört mehr Herz als ich habe!
Mag. Freilich Sie haben viel Bedenklichkeiten. Wenn Sie eine Dedication an einen Patron zu machen hätten, und sie könnten kein Buch schreiben, so dächten Sie auch wohl nicht daran, das erste beste Buch wieder drucken zu laßen, und es ihrem Gönner zuzueignen?
Seb. Ich dächte wenigstens, der Patron würde mir nur wenig danken, wenn ich ihm anstatt etwas neues, nur etwas aufgewärmtes versetzte.
Mag. Als wenn der Patron nicht zufrieden seyn müste, daß sein Namen vor dem Buche stehet, und als wenn er es auch noch würde lesen wollen! Gnug daß Ihnen mancher Journalist danken wird, daß Sie durch die neue Herausgabe, unserer Litteratur einen so großen Dienst geleistet haben. Und sie werden noch dazu als ein wichtiger Mann erscheinen, wenn Sie dem Buche eine Vorrede vorsetzen, um es durch ihren Namen der Welt anzupreisen.
Seb. Aber wenn man nicht wirklich sehr berühmt ist, so gehört viel Charletanerie dazu, so eine vornehme Mine zu affectiren.
Mag. Ja! wenn Sie ihren Namen selbst nicht für berühmt halten, so sind sie auf gutem Wege, ihn nie berühmt zu machen. Ich merke wohl Sie wollen incognito arbeiten; damit ist Ihnen auch zu dienen. Da ist mehr als ein Verleger, der seinen Autoren aufträgt was er zu brauchen denkt: Geschichte, Romanen, Mordgeschichte, zuverläßige Nachrichten, von Dingen die man nicht gesehen hat, Beweise, von Dingen die man nicht glaubt, Gedanken, von Sachen die man nicht versteht. Ich kenne einen der in seinem Hause an einem langen Tische zehn bis zwölf Autoren sitzen hat, und jedem sein Pensum fürs Tagelohn abzuarbeiten gibt. Ich läugne es nicht – denn warum solte ich Armuth für Schande halten – ich habe auch an diesem langen Tische gesessen. Aber ich merkte bald, daß ich zu diesem Gewerbe nichts taugte, denn ich kann zwar ohne Gedanken eine Correctur lesen, aber nicht ohne Gedanken Bücher schreiben, und bey solchen Büchern ist immer der am angenehmsten, der nur am geschwindesten schreibt, wenn er auch gleich am schlechtesten schreiben solte.
Seb. Am schlechtesten? da handelt ja der Verleger wider seinen eigenen Vortheil; denn was kan die Welt mit den schlechten Büchern machen.
Mag. Was gehet den Verleger die Welt an? er bringt sein Buch auf die Messe.
Seb. Nun – und durch die Messe kommen die Bücher in die Welt.
Mag. Freilich, nur mit dem Unterschiede, daß sie vorher vertauscht werden, und daß also der Verleger am besten daran ist, der die schlechtesten Bücher hat, weil er gewiß ist, etwas bessers zu bekommen.
Seb. Aber denn müssen doch einige Buchhändler die schlechtesten Bücher bekommen, und die bedaure ich.
Mag. Weswegen? Es ist ihnen ja unbenommen, Narren zu suchen, die aus dem schlechtesten Buche klug zu werden denken, oder die es um Gotteswillen lesen, wie mein alter Conrector wolte, daß ich die schlechten Prediger hören solte.
Seb. Nun fängt mir an ein Licht aufzugehen. So könnte es ja wohl der Vortheil der Buchhändler erfordern, zuweilen schlechte Bücher zu verlegen.
Mag. Dis könnte wohl seyn, wenigstens scheint es nicht, als ob sie sich sonderlich darum zu bekümmern hätten, ob die Bücher gut sind, oder nicht.
Seb. Ja, wenn dis wahr ist, was Sie sagen, so müste ich freilich von der Menge der nützlichen Bücher, über deren Daseyn ich mich gefreuet habe, alle diejenigen abziehen die die Convenienz der Schriftsteller und die Laune der Buchhändler zur Welt bringt.
Mag. Und rechnen Sie immer auch den grösten Theil der ungeheuer großen Anzahl von Büchern ab, mit denen vermittelst unserer Uebersetzungsfabriken Deutschland überschwemmt wird.
Seb. Habe ich recht gehört? Uebersetzungsfabriken? Was soll denn das bedeuten?
Mag. Fabriken, in welchen Uebersetzungen fabricirt werden, das ist ja deutlich.
Seb. Aber Uebersetzungen sind ja keine Leinwand oder keine Strümpfe, daß sie auf einem Stuhle gewebt werden könnten.
Mag. Und doch werden sie beinahe eben so verfertigt, nur, daß man wie bey Strümpfen, bloß die Hände dazu nöthig hat, und nicht, wie bey der Leinwand, auch die Füße. Auch versichre ich Sie, daß keine Lieferung von Hemden und Strümpfen für die Armee genauer bedungen wird, und richtiger auf den Tag muß abgeliefert werden, als eine Uebersetzung aus dem französischen, denn dies wird für die schlechteste, aber auch für die gangbarste Waare, in dieser Fabrik geachtet.
Seb. Alles was Sie mir sagen, ist mir unerhört. Also giebt es unter den Uebersetzungen, und unter den Uebersetzern auch wohl einen Rang oder Unterschied.
Mag. Allerdings! Ein Uebersetzer aus dem engländischen ist vornehmer, als ein Uebersetzer aus dem französischen, weil er seltener ist. Ein Uebersetzer aus dem italienischen läßt sich schon bitten, ehe er zu arbeiten anfängt, und läßt sich nicht allemahl den Tag vorschreiben, an dem er abliefern soll. Einen Uebersetzer aus dem spanischen aber, findet man fast gar nicht, daher kömmt es auch, daß zuweilen Leute aus dieser Sprache übersetzen, wenn sie sie gleich nicht verstehen. Uebersetzer aus dem lateinischen und griechischen sind häufig, werden aber gar nicht gesucht, daher bieten sie sich mehrentheils selbst an. Außerdem giebt es auch Uebersetzer, die zeitlebens gar nichts anders thun als übersetzen; Uebersetzer, die ihre Uebersetzungen in Nebenstunden zur Erholung machen, wie die Frauenzimmer die Knötchenarbeit, Marly und Filet; Vornehme Uebersetzer, diese begleiten ihre Uebersetzungen mit einer Vorrede, und versichern die Welt, daß das Original sehr gut sey; Gelehrte Uebersetzer, diese verbessern ihre Uebersetzungen, begleiten sie mit Anmerkungen und versichern, daß es sehr schlecht sey, daß Sie es aber doch leidlich gemacht hätten; Uebersetzer, die durch Uebersetzungen Originalschriftsteller werden, diese nehmen ein französisches oder engländisches Buch, lassen Anfang und Ende weg, ändern und verbessern das übrige nach Gutdünken, setzen ihren Namen keck auf den Titel, und geben das Buch für ihre eigene Arbeit aus. Endlich giebt es Uebersetzer, die ihre Uebersetzungen selbst machen, und solche die sie von andern machen lassen.
Seb. Sie vergeßen, dünkt mich, noch einen wichtigen Unterschied, unter den Uebersetzern, die die Sache und beide Sprachen verstehen, und denen, die nichts davon verstehen. Ich glaube diesen Unterschied bey den wenigen Uebersetzern gemerkt zu haben, die neue Uebersetzungen der Apocalypse versuchten.
Mag. Vielleicht mag dis bey der Apocalypse einen merklichen Unterschied machen, aber bey unsern gewöhnlichen Uebersetzungen aus dem französischen und dem engländischen wird so genau darauf nicht geachtet.
Seb. Aber ich dächte dis wäre das vornehmste, worauf besonders der Verleger, seines eigenen Nutzens wegen, Acht haben müste.
Mag. Keinesweges! Hieran denkt er gemeiniglich gar nicht, oder sehr wenig. Wenn er drey Alphabete in groß Octav oder in groß Quart zu Completirung seiner Meße noch nöthig hat, so sucht er unter allen neuen noch unübersetzten Büchern von drey Alphabeten dasjenige aus, dessen Titel ihm am besten gefällt. Hat er einen Uebersetzer gefunden (welches eben nicht schwer ist), der noch drey Alphabete bis zur nächsten Messe zu übersetzen Zeit hat, so handeln sie über den armen Franzosen oder Engländer, wie zween Schlächter über einen Ochsen oder Hammel, nach dem Ansehen, oder auch nach dem Gewichte. Wer am theuresten verkauft, oder am wohlfeilsten eingekauft hat, glaubt, er habe den besten Handel gemacht. Nun schleppt der Uebersetzer das Schlachtopfer nach Hause, und tödtet es entweder selbst, oder läst es durch den zweyten oder dritten Mann tödten.
Seb. Durch den zweyten oder dritten Mann? Wie ist das zu verstehen?
Mag. Dis ist eben das fabrikenmäßige beym Uebersetzen. Sie müssen wissen, daß es berühmte Leute giebt, die die Uebersetzungen im Großen entrepreniren, wie ein irrländischer Lieferant das Pöckelfleisch für ein spanisches Geschwader, und sie hernach wieder an ihre Unterübersetzer austheilen. Diese Leute haben von allen neuen übersetzbaren Büchern in Frankreich, Italien und England die erste Nachricht, wie ein Mäckler in Amsterdam Nachricht von Ankunft der ostindischen Schiffe im Texel hat. An diese wenden sich alle Buchhändler, die Uebersetzungen haben wollen, und sie kennen wieder jeden ihrer Arbeiter, wozu er zu gebrauchen ist, und wie hoch er im Preise stehet. Sie wenden ihnen Arbeit zu, bestrafen sie wenn sie säumig sind mit Entziehung ihrer Protection, merzen die Fehler ihrer Uebersetzungen aus, oder bemänteln sie mit ihrem vornehmen Namen, denn mehrentheils sind Entrepreneure von dieser Art stark im Vorredenschreiben. Sie wissen auch genau, wie viel Fleiß an jede Art der Uebersetzung zu wenden nöthig ist, und welche Mittel anzuwenden sind, damit ihre Uebersetzungen allenthalben angepriesen, und dem berühmten Manne öffentlich gedanket werde, der die deutsche gelehrte Welt damit beglückt hat.
Seb. Sie wissen, wie viel Fleiß an eine jede Art der Uebersetzung zu wenden nöthig ist? Gehört denn nicht einerley Grad von Fleiße zu jeder Uebersetzung, wenn sie in ihrer Art gut seyn soll?
Mag. Keinesweges! Dis kann nach den Umständen sehr verschieden seyn. Z. B. Zu theologischen Büchern thut gemeiniglich ein Hochwürdiger Herr einem Buchhändler den Vorschlag, sie unter seinem Namen und mit seiner Vorrede übersetzen zu lassen, es versteht sich aber, daß er das Buch nicht selbst übersetzt, sondern er giebt es gegen zwey Drittheile der mit dem Verleger abgeredeten Bezahlung, an einen seiner Arbeiter ab. Dieser verdingt es gemeiniglich gegen drey Viertheil dessen was ihm der Hochwürdige Herr gönnen will, an einen dritten, der es zuweilen, wenn die Fabrik stark gehet, an einen vierten gegen funfzehen Sechzehntheile deßen was er bekomt, abläßt. Dieser übersetzt es wirklich, so gut oder schlecht er kann. Bey dicken Beweisen daß der Meßias schon gekommen ist, bey biblischen Geschichten in zwölf Bänden, bey voluminösen Dogmatiken, bey Predigten aus dem französischen oder engländischen übersetzt, kann dis ohne Bedenken gewagt werden, denn die Leser, die solche Bücher lesen, merken nicht, ob irgendwo etwas falsch sey, und die theologischen Kunstrichter sind nicht so schlimm, daß sie durch den Namen eines berühmten Vorredners oder durch ein höfliches Schreiben eines Bruders im Herrn, nicht solten zur Duldung und Schonung einer schlechten Uebersetzung bewegt werden können. Die Ausgaben der Uebersetzungen historischer Werke, Reisebeschreibungen u. d. gl. sind meistens das Werk der Buchhändler, die sich dazu einen Wohlgebohrnen oder Hochedelgebohrnen Herrn aussuchen, weil in diesem Fache die Uebersetzungsentrepreneure nicht so häufig sind, als im theologischen Fache. Doch werden solche Uebersetzungen gemeiniglich auch an Unterarbeiter ausgetheilt. Diese müßen sich aber schon mehr in Acht nehmen, daß sie wenigstens die eigenen Namen richtig übersetzen und die Jahrzahlen recht abschreiben, denn auf solche Sachen lauren unsere historische Recensenten wie Falken. Dagegen ist auch nicht so viel daran gelegen, wenn sie die Vorstellungen der Begebenheiten und die eingestreute Reflexionen etwas flüchtig und schielend übersetzen, denn sie werden auf die Art der Schreibart einiger deutschen Geschichtschreiber desto ähnlicher, die in ihrer Freunde gelehrten Zeitungen und Journalen gewohnt sind am lautsten gelobt zu werden. Aber neue Komödien und neue Romanen muß meistens der selbst übersetzen, der als Uebersetzer bekannt seyn will, denn diese Bücher kommen alzuvielen Lesern in die Hände, und die Kunstrichter sind hier gleich bey der Hand, und lassen sich selten durch einen berühmten Namen vom Tadel abschrecken.
Seb. Ich erstaune immer mehr über das was Sie mir sagen. Es ist mir, als ob Sie von einer andern Welt redeten. Sie können auch unmöglich Deutschland im Sinne haben.
Mag. Sie vielmehr kommen aus einer andern Welt, aus der schönen Welt der Imagination, wo jeder berühmte Mann viele Verdienste hat, wo jeder Schriftsteller zu Untersuchung der Wahrheit schreibt, wo die Vorreden wahre Nachrichten vom Buche enthalten, wo niemals ein Journalist den Schriftsteller dem er nicht wohl will anschwärzt, wo kein beleidigter Schriftsteller Cabalen macht, wo ein Lehrer der Tugend auch allemahl tugendhaft, und ein Lehrer der Weisheit weise ist. Mein lieber Freund! träumen Sie nicht fort, so angenehm Sie auch träumen mögen, sehen Sie um sich herum, was in Deutschland vorgeht, so werden Sie finden, daß das, was ich Ihnen sage, keine Erdichtung ist.
Seb. Nun wenn auch jemand einmahl so etwas unternähme, so kann doch das Publicum nicht lange in der Verblendung bleiben, und denn wird es aus mit der Fabrik seyn.
Mag. Unser Publicum ist sehr nachsehend, zumahl bey dicken Büchern, welches diejenigen sind, die die Uebersetzer von Profession am liebsten wählen. Ich versichere Sie, daß wenigstens der dritte Theil der deutschen Bücher auf diese Art fabricirt wird. Denn ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß beinahe die Hälfte der neuen deutschen Bücher Uebersetzungen sind, und ich sage gewiß zu wenig, wenn ich nur zwey Drittel der Uebersetzungen als Fabrikenarbeit ansehe.
Seb. Gott behüte! Die Hälfte unserer neuen Bücher sind Uebersetzungen? Was wird denn alles übersetzt.
Mag. Was? Bogen und Alphabete! Was darauf steht, darum bekümmert sich weder Verleger noch Uebersetzer, zum höchsten der Leser, wenn er will und kann.
Seb. Allein da wird denn auch der Leser gemeiniglich sehr unzufrieden seyn.
Mag. Ach nicht doch! Die Leser der Uebersetzungen sind gutwillige Seelen. Sie haben gegen alles was schwarz auf weiß gedruckt ist, eine große Ehrerbietung. Und wenn ihnen auch etwas nicht recht gefällt, so nehmen sie die Schuld selbst auf sich, und zählen Uebersetzer und Verfasser los. Kein deutscher Leser wird das Unglück einer neuen Uebersetzung machen, so wenig als noch ein deutsches Parterre jemals eine neue übersetzte Komödie ausgepfiffen hat.
Seb. Aber wenn auch niemand es merket, so ist es doch allemahl einem Gelehrten unanständig, die Gelehrsamkeit bloß zu einem schimpflichen Gewerbe zu machen, und die Fortpflanzung der Wahrheit und Tugend ganz aus den Augen zu setzen.
Mag. Seyn Sie aus alzugroßer Gerechtigkeit nicht ungerecht. Unser Vaterland kann von den Gelehrten nicht mehr fodern, als es um sie verdient. Wo ist das deutsche Land, wo ein deutscher Gelehrter als Gelehrter leben kann? Wo ist es möglich, ohne besonders glükliche Umstände, die Muße zu finden, die ein Schriftsteller braucht, wenn er in seiner Kunst groß werden will. Unser bestes wünschenswürdigstes Schicksal ist ein Amt, in dessen Erwartung wir verhungern müssen, wenn wir kein Erbtheil zuzusetzen haben, und bey dem wir, wenn wir es erhalten haben, vor vieler Amtsarbeit, alle Gelehrsamkeit vergessen. Unsere beste Schriftsteller haben zuweilen, die Muße, die sie zu ihren vortreflichsten eigenen Werken nöthig gehabt haben, durch fabrikenmäßige Uebersetzungen, kümmerlich verdienen müssen. Es ist leider fast gar kein anderes Mittel da, um einen Gelehrten der kein Amt hat und kein Amt bekommen kann, vor dem Hunger zu verwahren. – Verlangen Sie nicht mehr, als wir leisten können.
Seb. Das Bild das Sie machen ist sehr traurig. Aber ich bleibe dennoch dabey, daß Entwicklung und Verbreitung der Wahrheit die Hauptpflicht eines Autors sey. Ich würde niemals daran gedacht haben, einen Commentar über die Apocalypse zu schreiben, wenn ich nicht geglaubt hätte, unbekannte nützliche Wahrheiten entdeckt zu haben.
Mag. Die auch trotz ihrem Commentar unbekannt bleiben werden. Denn glauben Sie mir, Bengel ist im Besitze des apocalyptischen Reichs, aus dem Sie ihn nicht vertreiben werden. Wir haben in Deutschland noch kein Beyspiel, daß einem abgesetzten Dorfpfarrer mehr wäre geglaubt worden, als einem Prälaten.
Seb. Ich kan über das Schicksal meines Commentars ruhig seyn. Genug wenn ich die Wahrheit sage, wie ich sie erkenne, und weil es Wahrheit ist, und nicht deswegen, weil ich mit einem Buchhändler einen Contract gemacht habe ihm funfzig Bogen zu liefern. Wohin soll es mit der deutschen Gelehrsamkeit kommen, wenn der gröste Theil der Schriftsteller nicht die Beförderung der Gelehrsamkeit, sondern die Beförderung ihres Ruhms und Nutzens sucht.
Mag. Und wohin soll es mit der deutschen Gelehrsamkeit kommen, wenn deutsche Gelehrsamkeit in unserm eigenen Vaterlande ein Schimpf ist, wenn das sicherste Mittel zu darben ist, sich auf Kenntnisse zu legen, die die Seelen unserer Mitbürger erleuchten, aber nicht ihren Wollüsten dienen, oder ihren Beutel füllen können, wenn kein einziges Mittel übrig bleibt, dem Gelehrten, der weder Kuppler noch Plusmacher seyn will, in der Welt sein Auskommen zu geben, wenn man uns recht zu belohnen denkt, sobald man uns auf eine Universität schickt, wo wir unsere nöthige Einkünfte von dem Wohlwollen einer unwissenden und ungezähmten Jugend suchen müssen, oder uns in ein Amt verstößt, wo uns alles was wir gelernt haben, unnütz ist, und wo uns die edle Empfindsamkeit, welche durch die Wissenschaften in unsern Seelen verbreitet worden, die Ausübung dieses Amts weit beschwerlicher macht, als einem rohen Diener der Absichten jedes Gewaltigen im Lande.
Seb. Ich bin ganz außer mir, über alles was ich hören muß. So schlecht siehet es mit der Gelehrsamkeit in Deutschland aus? Wohin soll es mit Wahrheit und Tugend kommen, wenn die Gelehrten, die derselben Herolde seyn solten, nur Eigennutz und Eigenlob suchen? Wie soll unser Vaterland durch die Wissenschaften erleuchtet werden, wenn man sie zu einem niedrigen Gewerbe misbraucht? Nein! dis ist mir ein unerträglicher Gedanke.
Mag. Geben Sie sich zufrieden! Was ist der deutschen Gelehrsamkeit damit geholfen, wenn ein paar arme Correctoren eine unruhige Nacht haben. Wir wollen uns die Fehler unserer Litteratur und unserer Gelehrten nicht verhelen, aber wir wollen auch das entschuldigen, was, ohne die Schuld unserer Gelehrten, nicht anders seyn kann.
Hiermit gab der Magister dem Sebaldus die Hand, und wünschte ihm eine gute Nacht.
Zweyter Abschnitt.
Sebaldus brachte der Ermahnung des Magisters ungeachtet, die Nacht sehr unruhig zu, und beseufzete noch den folgenden Tag den unvollkommnen Zustand der deutschen Gelehrsamkeit und das Schicksal der deutschen Gelehrten. Nachmittag ging er zu seinem Freunde Hieronymus, um ihm sein gestriges Gespräch mit dem Magister zu erzählen, und ihn zu fragen, ob desselben Nachrichten zuverläßig wären.
»Ich finde, sagte Hieronymus, daß der Hr. Magister von allen diesen Dingen sehr wohl unterrichtet ist, aber warum beunruhigt Sie diese Erzählung, die freilich nur allzu wahr ist, so gar sehr.«
Seb. Es kränket mich, daß ich von der Hochachtung, die ich für die deutsche Gelehrsamkeit und für die deutsche Gelehrten hege, so viel ablassen muß. Ich habe beständig, einen Mann der ein Buch schreiben kann, mit Ehrfurcht angesehen, und den ganzen Haufen der Schriftsteller habe ich mir als eine Anzahl einsichtsvoller und menschenfreundlicher Leute vorgestellt, die beständig beschäftigt wären, alles was der menschliche Verstand edles schönes und wissenswürdiges hervorbringen kann, zu erforschen, und es zur Aufklärung des menschlichen Geschlechts in ihren Büchern öffentlich bekannt zu machen. Nun thut es mir weh, daß ich sie als einen Haufen geschäftiger Schmierer ansehen soll, die Wahrheit und Einsicht zu einem schimpflichen Gewerbe machen, das blos ihren eigenen Ruhm, Nutzen oder Nahrung zum Zwecke hat.
Hier. Und es thut ihnen um desto weher, weil sie selbst in die Zahl der Schriftsteller zu treten gedenken! – Nicht wahr? – Aber trösten sie sich, alle Schriftsteller und Uebersetzer sind nicht so beschaffen, wie sie Ihr Magister beschrieben hat. Er hat nur von neun Zehentheilen geredet. Es ist noch das zehnte Zehentheil übrig, würdige gelehrte Männer, die es wirklich mit dem Fortgange der Wissenschaften gut meinen, welche der Eitelkeit und den Vergnügungen der Jugend entsagen, um sich gründliche Kenntnisse zu erwerben, und welche Nächte durchmachen um ihre Nebenmenschen, klüger, weiser, erleuchteten und gesitteter zu machen. In deren Gesellschaft zu treten, dürfen Sie sich nicht schämen.
Seb. Und dieser wäre nur eine so geringe Anzahl? Wenn Sie die Anzahl der nützlichen Bücher so gering machen, wissen Sie wohl, daß Sie sich selbst erniedrigen.
Hier. Wie so?
Seb. Ich habe immer der Buchhandlung vor allen Arten der Handlung den Vorzug gegeben, weil ich glaube, daß durch ihre Vermittelung die gelehrten Kenntnisse unter die Menschen gebracht werden, weil sie nicht blühen kan, als wenn eine gründliche und nützliche Gelehrsamkeit blühet.
Hier. Da haben sie einen sehr falschen Begriff von der Buchhandlung. Sie sicher nur in rechtem Flore, wenn die Leute sehr dumm sind.
Seb. Wenn die Leute sehr dumm sind? Das kann ich nicht begreifen. Dumme Leute werden ja keine Bücher kaufen.
Hier. Weßwegen nicht? Sie kaufen dumme Bücher, und die sind in größerer Anzahl und machen größere Bände aus. Es ist auch viel leichter und bequemer für dumme Leute zu schreiben und zu verlegen, als für kluge. Sehen Sie nur meine Collegen die Buchhändler in den katholischen Provinzen an, die zum Theile reicher sind, als alle protestantische Buchhändler, die jetzt die Messe besuchen. Sie finden in ihren Verzeichnissen schöne Folianten über das Jus canonicum, herrliche Fasten- und Fronleichnamspredigten, derbe Controverspredigten wider alle Ketzer, tröstliche Legenden der Heiligen, Gebetbücher und Breviarien in Menge, aber oft kein einziges vernünftiges Buch, das ich, so einfältig auch meine liebe Vaterstadt ist, in meinen Buchladen legen, oder Sie, wenn Sie noch so reich wären, in ihre Bibliothek würden setzen wollen. Oder haben Sie wider Vermuthen (hier ergriff er ein auf seinem Pulte liegendes Bücherverzeichniß) Lust Z. B. folgende Bücher zu kaufen: Laurentii von Schnüffis mirantische Mayenpfeife, mit Kupf. P. Sennenzwickels ernstliche Kurzweil für die zenonische Gesellschaft der machiavellischen Staatsklügler, worin das edle Paar Gebrüdrichen Atheismus und Naturalismus, samt den hallerischen Gedichten dem Sileno als Riesenschröcker aufgeopfert werden. P. Dionysii von Lützenburg verbesserte Legend der Heiligen von P. Martin von Cochem. Der himmlische Gnadenbrunn St. Walburgä. Die geistliche Sonnenblum d. i. kurze tägliche Besuchungen des allerheil. Sacraments des Altars. P. Biners Mucken-Tanz der Herren Prädicanten zu Zürch um das Licht der katholischen Wahrheit. Alexii Riederers Geistliches Seelennetz oder 150 geistreiche Betrachtungen. Bulffers mit kurzen Waaren handelnder evangel. Kaufmann, oder kurze Sonn- und Feyertagspredigten. Der christkatholische goldne Schlüssel, mit welchem die Schatzkammer der zeitlich- und ewigen Güter kann aufgesperrt werden. Hausingers geistliches Frühstück, oder auserlesene Sittenlehren, wollen Sie diese und andere dergleichen schöne Sächelgen mehr, kaufen?
Seb. Nein! was sollte ich mit dem unsinnigen Zeuge machen!
Hier. Nicht? desto schlimmer für den Buchhändler, daß Sie so klug sind, er wird sich dumme Käufer schaffen müssen, oder sein ganzer Laden wird voll bleiben.
Seb. Aber der Buchhändler sollte der Gelehrsamkeit aufhelfen, und keine andere als gute Bücher drucken und verkaufen.
Hier. Das heißt von dem Buchhändler zu viel gefordert, der sich nie nach dem Geschmack der besten Gelehrten, ja selbst nicht nach seinem eigenen, sondern nach dem Geschmacke des großen Haufens richten kan, und dieser macht es ihm nur allzuleicht, die guten Schriftsteller beynahe ganz zu entbehren.
Seb. Dies thun die Buchhändler freilich, aber sie solten es nicht thun, sondern solten sich billig nach dem Geschmacke der grösten Gelehrten richten, und ich habe mich schon oft über Sie gewundert, da Sie wissen was große Gelehrten von Büchern urtheilen, und doch schlechte Bücher drucken und verkaufen.
Hier. Mein Freund! der Geschmack der großen Gelehrten ist der Geschmack sehr weniger Leute. Der Buchhändler aber braucht sehr viele Käufer, wenn er sein Geschäft treiben soll. Daher kommt es, daß so oft Autor und Verleger bey dem besten beiderseitigen willen, sich nicht vereinigen können. Jener will den innern Werth seines Buchs verkaufen, dieser will bloß eine Wahrscheinlichkeit des Absatzes kaufen. Jener schätzt seinen und seines Buches Werth nach dem Beifalle einiger wenigen Edlen. Dieser überlegt, ob es möglich oder wahrscheinlich sey, daß viele nach dem Buche lüstern seyn werden, ohne in Anschlag zu bringen, ob sie gelehrt oder ungelehrt, weise oder einfältig, nach Unterricht oder nach Zeitvertreib begierig sind. Sehen Sie den Tyroler der dort geschliffne optische Gläser zum Verkauffe herumträgt. Er hat kein Flintglaß und keine Dollondsche Tuben. Fragen sie ihn, warum er nicht vorzüglich sich erkundigt, was für Gläser die grösten Astronomen verlangen? Er wird antworten: Ich verkaufe meine Gläser, ich bekümmre mich nicht, ob man sie in Telescope setzt, um unbekannte Sterne zu observiren, oder in Perspective, um einen entfernten Feind zu entdecken, oder den Freund der uns besuchen will früher zu erblicken, oder in Microscope, um im Saamenthiergen zu unterscheiden, ob der erste Keim des Menschen ein Fisch oder eine Faser ist, oder in Brenngläser, um Flotten oder Tabackspfeifen anzuzünden, oder in Brillen um feine Schrift zu lesen. Soviel ist gewiß, irgendwozu muß die Waare brauchbar seyn, sonst führe ich sie nicht. Doch hat mich die Erfahrung so viel gelehret, daß Brillen stärker abgehen als Telescopien [Fußnote] Daß diese Erfahrung des Tyrolers, auch schon im vorigen Jahrhunderte richtig befunden worden, zeigt die weise Frau Verlegerin eines höchst wichtigen türkisch geschriebenen Geschlechtregisters, mit dessen Uebersetzung und Commentirung Wilhelm Schickard Professor zu Tübingen im Jahre 1628. die orientalische Geschichte aufklären wolte. Schickard glaubte gewiß, sein Buch würde viel Käufer haben, weil es nicht zu den gemeinen alle Tage vorkommenden Büchern gehörte, sondern er darin den Gelehrten von einer neuen und fremden Materie, so viel neues und fremdes berichten konnte. Aber aus dieser Ursache befürchtete die Frau Verlegerin das Gegentheil. Sie versicherte, aus der Erfahrung zu wissen, daß die Bauerkalender viel häufiger verkauft würden, als die astronomischen Ephemeriden, aus denen sie gemacht sind. S. Leßings Beyträge zur Geschichte und Litteratur. Erster Beytrag S. 91. , zumahl in meinem Lande, wo viele Leute ein blödes Gesicht haben, und sich kein Mensch auf die Astronomie legt.
Seb. Aber es ist dennoch unrichtig, daß die Buchhandlung durch dumme Bücher in Flor kommt, denn sie können doch nicht läugnen, daß seitdem die Lectur in Deutschland mehr Mode geworden, die Buchhandlung mehr florire.
Hier. Das läugne ich geradezu. Zur Zeit der schönen dicken Postillen, der centnerschweren Consultationen, der Arzneibücher in Folio, der Opera omnia, der classischen Autoren und Kirchenväter in vielen Folianten, der theologischen Bedenken, der Leichenpredigten in vielen Bänden, der Labirynthe der Zeit, der Schaubühnen der Welt, war die Buchhandlung im Flor. Was gibt man uns jetzt anstatt dieser wichtigen Werke? Kleine Büchelgen von wenig Bogen, die aus Hand in Hand gehen, viel gelesen und wenig gekauft werden, wodurch denn endlich die Leser so klug werden, daß ihnen die alten Kernbücher anstinken. Sehen Sie, das ist der Vortheil, den wir Buchhändler vom Lesen der Bücher haben.
Seb. Aber das ist doch zu arg. Wenn man die Bücher nicht lesen soll, was soll man denn damit thun?
Hier. Sie zerreißen oder Wände damit tapezieren.
Seb. Gott behüte, was sagen Sie da!
Hier. Was alle Tage geschiehet. Meine besten Kunden sind Schulknaben, Handwerksburschen, Bauern, gute Mütterchen, die beten und singen und die die Knäblein und Mägdlein oft mit sich in die Wochenpredigten nehmen, die denn aus langer Weile fleißig die Gebetbücher und Gesangbücher zerreißen. Die Gewürzkrämer machen auch eine wichtige Consumtion von Büchern, und in diesem Kriege sind viele Streitschriften wider die Ketzer, die mir zur Last lagen, in Patronen verschossen worden. Wände mit Büchern tapezieren, oder um gelehrter zu reden, große Bibliotheken errichten, war zu der Zeit Mode als die vorhergenannten großen Bücher noch verkauft wurden. Itzt hat die leidige Sucht, Gedichte und kleine Modebücher zu lesen, die großen Bibliotheken und die schwerfällige Art zu studiren wozu große Bibliotheken nöthig waren, ganz aus der Mode gebracht, und seitdem ist eine sehr ergiebige Quelle des Reichthums der Buchhändler verstopft. Wenn auch irgend eine tüchtige Feuersbrunst einem Buchhändler aufhelfen könte, so wird selten eine verbrannte Bibliothek wieder angeschaft.
Seb. So ist dies das Schicksal der Bücher, der Früchte des Fleißes so vieler verdienstvollen würdigen Gelehrten? Zerrissen, zu Düten verbraucht, oder vergessen, oder verbrannt zu werden? Darüber möchte man Blut weinen.
Hier. Geben Sie sich zufrieden. Wir reden von zwey ganz verschiedenen Dingen. Erinnern Sie sich nur aus ihrem Gespräche mit dem Hrn. Magister, auf welche Art die Bücher, die marktgängige Waare sind, verfertigt werden, so werden sie finden, daß sehr viele davon eigentlich noch ein schlechter Schicksal verdienten.
Seb. Wenn auch alles wahr wäre was Sie da sagen, so wünschte ich doch, daß es nicht wahr wäre.
Hier. Ich auch nicht.
Seb. Und doch sagen Sie selbst, daß es Ihr Vortheil erfodere, daß die Welt dumm bleibe.
Hier. Wenn ich als Kaufmann rede, so muß ich freilich wißen, was eigentlich mein Vortheil ist; aber ich liebe meinen Vortheil nicht so sehr, daß ich ihn mit dem Schaden der ganzen Welt erkaufen wolte. Ich liebe die Aufklärung des menschlichen Geschlechts, sie fängt auch an, sich bey uns zu zeigen; allein sie gehet noch mit sehr langsamen Schritten fort. Ich habe den Wirkungen derselben oft mit Vergnügen bis in die Winkel nachgespürt, wohin keine gelehrte Nachricht reicht. Ich merke seit einiger Zeit, daß in meiner Vaterstadt, verschiedene schlechte Bücher, die ich sonst oft verkauft habe, liegen bleiben, und freue mich darüber.
Seb. Ich frage Sie aufs Gewissen, mein lieber Freund , ist nicht ein wenig Selbstlob bey dieser Großmuth, deren Sie sich rühmen?
Hier. Mit nichten! denn es ist gar keine Großmuth. Ich habe Correspondenz nach dummeren Städten und Provinzen, wo diese schlechte Bücher begierig gekauft werden.
Seb. Aber wenn diese auch einmahl klug werden?
Hier. Sehr wohl. Alsdenn bin ich ganz gefast, den Buchhandel niederzulegen, und bloß beym Kornhandel zu bleiben. Seitdem die ökonomischen Principien aus Frankreich bey uns Mode worden sind, und alles ruft: fahrt nur viel Korn weg, so werdet ihr viel haben, ist in meinem Vaterlande und in den benachbarten Gegenden so oft Kornmangel, daß es sich der Mühe belohnt, ein Kornhändler zu seyn. Auf allen Fall werden in meinem Vaterlande noch keine Zeuge zu Schlafröcken, noch keine Mützen Hüte und Strümpfe gemacht; ich kann also noch Manufacturen anlegen. Aber wehe den Buchhändlern in dummen Ländern, wo schon viel Manufacturen sind und wo die Handlung überhäuft ist. Wenn ein solch Land einmahl erleuchtet wird, so ist für sie kein Mittel zur Nahrung weiter übrig.
Seb. Aber ich habe doch gehört, daß in England und in Frankreich sich die Buchhändler bey guten Büchern sehr wohl stehen sollen.
Hier. Das komt daher, weil in Frankreich und in England, die Classe der Schriftsteller der Classe der Leser entspricht; weil jene schreiben was diese zu lesen nöthig haben und lesen können.
Seb. Ist es denn in Deutschland nicht eben so?
Hier. Sehr selten. Der Stand der Schriftsteller beziehet sich in Deutschland beinahe bloß auf sich selber, oder auf den gelehrten Stand. Sehr selten ist bey uns ein Gelehrter ein Homme de Lettres. Ein Gelehrter ist bey uns ein Theologe, ein Jurist, ein Mediciner, ein Philosoph, ein Professor, ein Magister, ein Director, ein Rector, ein Conrector, ein Subrector, ein Baccalaureus, ein Collega infimus, und er schreibt auch nur für seine Zuhörer und seine Untergebnen. Dieses gelehrte Völkchen von Lehrern und Lernenden, das etwa 20 000 Menschen stark ist, verachtet die übrigen 20 Millionen Menschen, die außer ihnen deutsch reden, so herzlich, daß es sich nicht die Mühe nimmt für sie zu schreiben, und wenn es zuweilen geschiehet, so riecht das Werk gemeiniglich dermaßen nach der Lampe, [Fußnote] Der Verfasser, der als ein Deutscher, sich in nichts dessen was deutsch ist schämet, bekennet gern, daß auch dieses Werk von diesem Geruche nicht wenig an sich hat. Er warnet alle Weltleute, nicht zu wagen es zu lesen. daß es niemand anrühren will. Die zwanzig Millionen Ungelehrten, vergelten den 20 000 Gelehrten Verachtung mit Vergessenheit, sie wissen kaum daß die Gelehrten in der Welt sind. Weil nun kein Gelehrter für Ungelehrte schreiben will, und da doch die ungelehrte Welt so gut ihr Bedürfniß zu lesen hat, als die gelehrte, so bleibt das Amt für Ungelehrte zu schreiben, endlich den Verfassern der Inseln Felsenburg, den Postillenschreibern, und den moralischen Wochenblättern, deren Fähigkeiten den Fähigkeiten der Leser, die sie sich gewählt haben, viel genauer entsprechen, als die Fähigkeiten der grösten Gelehrten ihren Lesern, die daher weit mehr gelesen werden, als die grösten Genien, die aber auch ihre Leser nicht um einen Daumbreit höher hinaufheben, die vielmehr sehr oft nicht wenig beytragen, daß das Licht der wahren Gelehrten sich nicht auf die Ungelehrten ausbreitet. Daher sind einige Städte bey uns so helle, und ganze Länder sind in der grösten Finsterniß.
Seb. Aber die Wissenschaften können nicht allemahl so faßlich vorgetragen werden, daß sie der große Haufen begreifen kan, sie würden sonst nicht allein nicht erweitert werden, sondern sie würden endlich in ein seichtes Geschwätz ausarten, das man bey halbem Hinhören begreifen kan, aber ihre wichtigste Wahrheiten würden sie entbehren müssen, weil sie nicht durch eine flüchtige Lectur, sondern nur durch ein gründliches Studium begriffen werden können. Ich erinnere mich gehört zu haben, daß die Franzosen auf diese Art verschiedenen Wissenschaften geschadet haben, weil sie popular vortragen wolten, was sich nicht popular vortragen läst. Man würde auch dem Gelehrten alle Begierde nach neuen Entdeckungen nehmen, wenn er nie für die Gelehrten, sondern nur für die Unwissenden schreiben sollte. Es müssen also gelehrte Bücher, bloß für Gelehrten geschrieben werden.
Hier. Ganz recht! Nur wenn die Nation durch die Schriften der Gelehrten soll erleuchtet werden, so muß sich die Anzahl der bloß für Gelehrten geschriebenen Bücher, zu den für das ganze menschliche Geschlecht geschriebenen Büchern verhalten, wie die Anzahl der Gelehrten zu dem übrigen menschlichen Geschlechte, vielleicht wie 1 zu 1000, vielleicht wie 1 zu 2000. Ich befürchte aber, es wird in Deutschland gerade umgekehrt seyn.
Seb. Aber wenn nun bey uns in Deutschland die Anzahl der Gelehrten größer ist, die sich fähig finden, durch neue Erfindungen die Gränzen der Wissenschaften zu erweitern, als derer die sich fähig finden, die schon erfundenen Wahrheiten für das Publicum faßlich zu machen?
Hier. Ich zweifle, daß deshalb die deutschen Gelehrten bloß für Gelehrten schreiben, weil sie viel neue Entdeckungen zu machen hätten. Es sind in Deutschland nach einer gewiß nicht zu starken Berechnung seit hundert Jahren 400 bis 500 Logiken geschrieben worden; vielleicht in dreyen oder vieren mag diese Wissenschaft durch neue Entdeckungen seyn bereichert worden, die übrigen schreiben sich aus, und auf höchste haben sie einige Definitionen verändert, und einige Lehrsätze anders eingekleidet, und dies sind die neuen Erfindungen worauf sie stolz thun. Sind solche Entdeckungen wohl der Mühe werth? und wäre es nicht besser gewesen, wenn die, die so wenig entdecken konnten, sich lieber beflissen hätten, das schon entdeckte gemeinnützig zu machen? Es kommt mir vor, als ob in Deutschland in den beiden vorigen Jahrhunderten Materialien zu dem großen Gebäude der Wissenschaften wären gesammlet worden, die aber in ziemlicher Unordnung untereinander herumlagen, Quadersteine, Backsteine, Dachziegel, Balken, Bretter, Eisenwerk u. s. w. Im vorigen Jahrhunderte war die Beschäftigung der Gelehrten, die Materialien abzusondern, und jede Art in zierliche Schichten übereinander zu setzen. In diesem Jahrhunderte hätten Baumeister kommen sollen, die aus diesen Materialien, dem menschlichen Geschlechte zum besten, Gebäude gebauet hätten. Aber jeder Gelehrte fährt fort, sein Schichtchen Backsteine vor sich her dicht aufeinander zu legen, und nennt es ein Lehrgebäude. Ist jemand so glücklich auf seinem Spaziergange ein paar einzelne Steine zu finden, und sie in guter Ordnung zu seinem Häufchen hinzuzulegen, so heißt er ein Erfinder. Derjenige der große Quadersteine in Graben neben einander wälzt, daß sie einmahl künftig einem Gebäude zum Grunde dienen könnten, heißt ein tiefsinniger gründlicher Mann. So thun unsere sämtliche Gelehrten nichts, als Materialien in Ordnung bringen und einen Grund legen. Fängt aber jemand an, aus den verschiedenen großen Haufen Materialien die Jahrhunderte lang dicht aufeinander gelegen haben, auf den schon gelegten Grund ein Gebäude zu bauen, so verspottet man ihn als einen seichten Kopf, der Materialien und Grund von andern nimmt, und dessen Ordnung voller Lücken ist. Man bedenkt nicht, daß durch diese Lücken das Licht in das Gebäude fällt, und daß durch dieselben, Menschen in das Gebäude hineingehen können, dahingegen in den dichten Haufen weder Licht noch Wärme dringen und keine menschliche Creatur darin wohnen konnte. Man sollte nicht zufrieden seyn, jede Wissenschaft vor sich in ein Lehrgebäude zu ordnen, sondern eine jede Wissenschaft sollte billig auf alle andere, und alle zum Besten der menschlichen Gesellschaft angewendet werden.
Seb. Aber ich wiederhole noch einmahl, die Wissenschaften würden seicht werden, wenn man nicht fortführe ihre Theorien zu untersuchen. Wohin soll es endlich mit ihnen kommen, wenn man bloß das, was davon dem gemeinen Haufen faßlich ist, bearbeiten will?
Hier. Und wohin soll es endlich mit der Beförderung der Entwicklung aller Kräfte des Geistes, mit der Erleuchtung des ganzen menschlichen Geschlechts kommen, die der vorzüglichste Zweck der Wissenschaften ist, wenn die Gelehrten bloß für sich, und jede Art von Gelehrten besonders für sich, in ihrem kleinem Zirkel bleiben, und den großen Zirkel der übrigen ganzen Nation ihrer Achtsamkeit unwürdig halten wollen. Es können zwar immer einige Gelehrten von Profession bleiben, davon jeder über seine Wissenschaft einzeln nachdenkt, und seine Bemerkungen den Gelehrten mittheilet. Aber haben denn die Gelehrten gar keine Pflichten gegen das übrige menschliche Geschlecht? Der Bauer der das Feld besäet, der Weber der Zeuge bereitet, der Maurer der Häuser bauet, der Kaufmann, der die zur Nothwendigkeit und Bequemlichkeit gereichenden Dinge zusammenbringt, tragen jeder durch ihren Fleiß das ihrige zum gemeinen Besten bey, und auch die Gelehrten werden durch sie genähret, bekleidet, vor den Ungemächlichkeiten des Wetters bewahrt, und mit Bequemlichkeiten versehen; sollten die Gelehrten nun ein Recht haben, ihre Einsichten beständig nur unter sich zu behalten, und sie nie diesem geschäftigen Theile der Nation, für die Wohlthaten, die sie täglich von ihm empfangen, mitzutheilen. Sie können dieses nicht allein dadurch thun, wenn sie gewisse gemeinnützige Wahrheiten faßlich vortragen, welche Beschäftigung viele Gelehrten deshalb verachten, weil sie glauben, daß nur mäßige Geschicklichkeit dazu gehöre. Es giebt vielmehr noch eine höhere Art der Gemeinnützigkeit, die Genie, Gelehrsamkeit, Anstrengung aller Geisteskräfte erfodert, und die man dadurch erreicht, wenn man, wie ich schon gesagt habe, nicht allein jede Wissenschaft vor sich selbst, sondern auch in Absicht auf alle andere, und alle in Absicht auf die menschliche Gesellschaft betrachtet. Hierin fehlen die meisten deutschen Schriftsteller, die ihre Wissenschaft zwar aus dem Grunde verstehen, aber sie bloß allein für sich, und nie in dem Zusammenhange der übrigen Wissenschaften, und nie in Absicht auf den Nutzen des menschlichen Geschlechts, betrachten. Ein Criminalist ist ein grundgelehrter Mann, wenn er alle Ausgaben der peinlichen Halsgerichtsordnung mit ihren Commentarien durchgelesen und verglichen hat, und genau zu bestimmen weiß, in welchem Falle, und im wie vielstem Grade man zur Tortur schreiten soll. Er hält den für einen schwachen Kopf, der noch erst untersuchen will, ob ein Erforschungsmittel der Wahrheit, das im Heil. Römischen Reiche schon vor mehr als zweihundert Jahren durch Gesetze vorgeschrieben worden, unzulänglich ja gar unmenschlich seyn könne. Ein Lehrer des deutschen Kirchenrechts wird mit grössester Gründlichkeit und Belesenheit beweisen, daß im Heil. Römischen Reiche nur zwey Religionen existiren dürfen, und daß es reichsgesetzwidrig sey, wenn derjenige, der keiner dieser beiden Religionen beyfällt, nicht sogleich des deutschen Vaterlandes verwiesen werde. Laß den friedfertigen Gottesgelehrten, laß den menschenfreundlichen Philosophen, laß den einsichtsvollen Politiker dawider auftreten, und versichern, wahre Religion, Wohl des Menschen, und Wohl des Staats erfodere, daß man niemand dogmatischer Lehren wegen verdamme, und keinen Ketzer, sobald er ein guter Bürger ist, aus dem Lande jage, er wird sie bloß bedauren, daß sie in der Kenntniß des deutschen Kirchenrechts so unwissend sind; laß sie sich auf die gesunde Vernunft berufen, er wird voll Verachtung antworten, daß man so wenig das deutsche Kirchenrecht als das deutsche Staatsrecht, nach der Vernunft, sondern nach dem Herkommen beurtheilen müsse. Eben so samlet der Geschichtschreiher eine Menge Facten, ohne Wahl und Absicht, ohne daraus Philosophie, Politik oder Kenntniß des Menschen zu erläutern, und der Philologe zieht klassische Autoren heraus, samlet Lesearten und berichtigt Varianten, ohne ein einzigmahl seine Leser auf den Geist der alten Schriftsteller, auf den Zweck warum sie geschrieben haben, zu führen. Wenn ich nicht gewohnt wäre, weder im Guten noch im Bösen von Gottesgelehrten zu reden, so würde ich die anführen, die mit ihren Nebengottesgelehrten beständig Dogmatik, Exegese und Polemik wechseln, ohne jemals zu überlegen, welchen Einfluß Dogmatik, Exegese und Polemik auf die Verbesserung des menschlichen Geistes haben könne, und wie sie sich gegen Geschichte, Philosophie und Politik verhalten. Wenn jemals die deutschen Schriftsteller anfangen, die Wissenschaften aus solchen Augenpunkten zu betrachten, so werden sie sie mit weit glücklicherm Erfolge erweitern, als durch trockne Compendien, leere Speculationen und absichtlose Compilationen, sie werden für Kenner schreiben, und doch den Lesern aus allen Ständen interessant werden. Selbst durch dieses Interesse, werden sie alle Arten von Lesern zum Studiren wissenschaftlicher Kenntnisse ermuntern, so werden sich die Wissenschaften in mehrere Stände ausbreiten, und gelehrte Schriftsteller werden den mehr erleuchteten Lesern fasslich schreiben können, ohne der seichten Denkungsart des großen Haufens zu Gefallen, eine unrechtverstandene Popularität zu affectiren.
Seb. Ich finde, daß Sie vollkommen Recht haben. Ich kenne keinen höhern Nutzen der Wissenschaften, als die Erleuchtung des menschlichen Geschlechts. Aber hiezu haben gewiß vortrefliche deutsche Schriftsteller auch das Ihrige beygetragen, ich darf ihnen nur aus dem Fache, das ich kenne, die würdigen Gottesgelehrten unsers Vaterlandes ins Gemüth bringen, die sich mit glücklichem Erfolge bemühet haben, Dogmatik, Exegese und Polemik, nach dem Nutzen und dem Schaden, den sie dem menschlichen Geschlechte bringen können, zu betrachten.
Hier. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich von keinem Gottesgelehrten urtheilen will: aber ich verehre die großen Schriftsteller in allen Wissenschaften, die von philosophischen und menschenfreundlichen Absichten belebt, mehrere Wissenschaften zugleich überschauen, und das wahre Verhältniß einer jeden zur allgemeinen Erkenntniß zu bestimmen suchen. Deutschland hat einige, und sie sind vortreflich, aber sie sind in sehr geringer Anzahl. Die meisten deutschen Schriftsteller, sind voll pedantischen Stolzes, nur bemühet, den Theil der Wissenschaften den sie lehren, er mag nun klein, unbeträchtlich, ja wohl schädlich seyn, als den wichtigsten auszugeben, und ihm dünkt, um zu meinem vorigen Gleichnisse zurück zu kommen, daß der kleine Haufen Steine den sie sammlen und Stein über Stein aufstapeln, wichtiger und nützlicher sey, als das gröste Gebäude.
Seb. Mein Freund! Sie sind wirklich gegen die deutschen Gelehrten ungerecht, und nehmen Sie es mir nicht übel, fast muß ich glauben, dis komme von ihrem Stande her. Sie selbst haben die Tiefen der Gelehrsamkeit nicht erforschet, und wissen also auch nicht, wie ein wahrer Gelehrter eigentlich beschaffen ist. Ein wahrer Gelehrter siehet alle Gegenstände der menschlichen Erkenntniß in einem weit hellern Lichte, als ein Ungelehrter, und kan daher von ihrem Werthe und Unwerthe besser urtheilen; er wird nie die Wissenschaft in der er arbeitet höher achten, als sie es werth ist, oder deshalb die andern Wissenschaften, wenn sie wichtiger sind, vernachläßigen. Die Wissenschaften, mein lieber Herr Hieronymus, sind durch ein allgemeines Band verbunden, und wer bloß seine Wissenschaft schätzen wollte und die andern nicht, handelte so thöricht, daß sich dies von keinem wahren Gelehrten vermuthen läßt. Lernen Sie die Gelehrten besser kennen.
Hier. Haben sie den Messcatalogus von dieser Messe schon gelesen.
Seb. Wie kommen Sie darauf? Nein noch nicht.
Hier. Wir wollen einmahl die Beschaffenheit der neuen deutschen Bücher aus diesem Catalogus beurtheilen. Lassen Sie uns einmahl zusammenrechnen, wie viel von jeder Art der Wissenschaften Bücher herausgekommen sind, und hernach darüber Betrachtungen anstellen.
Seb. Sehr gern. Dis wird Sie am besten widerlegen. Wahre Gelehrten sehen allemahl, das lasse ich mir nicht ausreden, auf dasjenige was dem Ganzen vortheilhaft ist, nicht, was ihnen insbesondere gefällt.
Sie fingen also an den Meßkatalogus durchzugehen, und fanden 350 Uebersetzungen [Fußnote] Diejenigen, denen etwa die Anzahl der Uebersetzungen und Journale, nach Proportion allzustark dünken sollte, müssen bedenken, daß es eine Michaelmesse war. Denn wenn auch einige Schriftsteller im Sommer spazieren gehen, so arbeiten doch Uebersetzer und Journalisten, im Sommer und Winter, mit gleicher Thätigkeit fort. aus verschiedenen Sprachen, 65 neue Stücke von Journalen, 40 Compendien und Lesebücher, 74 Dissertationen und Programmen, 53 Bände Predigten, 67 theologische Bücher von allerhand Art, aber nur 9 juristische, weil die Anweisungen zum Reichsproceß und zum Criminalproceß schon oben unter den Compendien gerechnet worden, 23 medicinische Bücher, 16 Wochenblätter, 5 Geschichtbücher, 37 diplomatische Bücher, 17 Romanen, meistens in Erfurt, Dresden und Regenspurg gedruckt, 31 Gedichte, 3 mathematische Bücher, 1 physicalisch Buch und 15 aus der Naturhistorie. Hingegen fanden sie nur zwey einige Wochen vor der Messe erschienene Bücher, worin die Wissenschaften in ihrer Verbindung und in Verhältniß auf die Menschheit betrachtet wurden, und von diesen versicherten verschiedene gelehrte Zeitungen, voller Verachtung, daß ihre Verfasser seichte Köpfe wären, die keine gründliche Einsichten in die Wissenschaften hätten, und bloß durch das geringe Verdienst einer guten Schreibart, bey dem gelehrten Pöbel Beyfall erschlichen.
Hieronymus ging in ein Nebenzimmer, um diese Zeitungsstücke zu suchen, weil er aber dabey etwas verweilte, hatte Sebaldus indessen eiligst 13 Titel von neuen Büchern über die Apocalypse, die er sich beym Durchsehen des Catalogus heimlich mit dem Nagel gezeichnet hatte, auf einen Zettel ausgezogen, mit dem er dem Hieronymus entgegen kam, und ihn sehr angelegentlich bat, ihm diese Bücher zu leihen. Der gefällige Hieronymus fing gleich an zu suchen und kaum hatte er sie herbey geholt, als Sebaldus, des bisherigen Gesprächs ganz uneingedenk, sie unter den Arm nahm und damit nach Hause eilte, wo er nicht ruhete, bis er eins nach dem andern durchgelaufen hatte.
Den dritten Tag brachte er dem Hieronymus die Bücher zurück, und nahm sich unterweges vor, seinem Freunde zwar für die Bücher zu danken, aber ihm doch wegen seiner irrigen Meinung, von der partheyischen Achtung der Gelehrten für ihre Lieblingswissenschaft, den Kopf zurechte zu setzen; allein er fand zu seinem Misvergnügen, daß der gute Hieronymus bereits abgereiset war; daher er sowohl seinen Dank als seine Ermahnung bey sich behalten mußte.
[…]
Siebentes Buch
Siebenter Abschnitt.
Hier hielt Sebaldus mit Lesen inne, und fragte seine beiden Zuhörer, was ihnen dazu dünkte.
Van der Kuit antwortete: »Hm! solch Buch sollte sich wohl verkaufen,« und sah dabey mit sonderbar schlauer Mine, den Domine an.
Domine de Hysel, versetzte mit niedergeschlagenen Augen: »das mag mein Herr van der Kuit am besten verstehen.«
Van der Kuit that noch einige Fragen, um den Domine auszuholen. Dieser aber wich aus, kam auf eine andere Rede, fragte, ob von Sebaldus Journale nicht ein neues Stück heraus gekommen sey, sah nach seiner Uhr, sagte, daß er eilen müßte, empfol sich, und gieng fort.
Sebaldus ließ seine fertigen Hefte in den Händen des Buchhändlers, bat ihn die Sache zu überlegen, und gieng, weil eben einer der ersten Frühlingstage war, sehr zufrieden, seinen Lieblingsspaziergang auf den Dyk nach Seeburg, um sich an der Aussicht auf das Y zu laben.
Der Buchhändler gieng, nachdem er sowohl den Domine, als den Sebaldus, bis vor die Thür seines Ladens begleitet hatte, bedächtig in seine Schreibstube zurück, um zu überlegen, ob nicht eine Spekulatie zu machen wäre.
Mynheer van der Kuit, war ein Buchhändler, der das Handwerk verstand, und trieb es auch als ein Handwerk. Ein Buch sahe er als ein Ding an, das verkauft werden könnte. Weiter kümmerte ihn nichts dabey. Aber hierzu wuste er auch alle Vortheile zu suchen, und noch besser sich dabey vor allem Nachtheile zu hüten. Dabey bemühte er sich nicht etwan um kleine gemeine Vortheile, z. B. für ein neues Buch einen pfiffigen Titel zu ersinnen, über ein verlegenes Buch, nebst einer neuen Jahrzahl, einen neumodischen Titel zu schlagen, sich des Verlagsrechts eines zu übersetzenden Buches dadurch zu versichern, daß man es ankündigt, ehe es noch im Originale erschienen ist, u. d. gl. mehr. Nein! Mynheer van der Kuit spekulirte ins Große. Er war von weitem her, achtsam auf alles, was ihm einmahl dienen könnte, und that als ob die Leute, die er zu nichts zu nutzen wußte, ja selbst, als ob die Bücher die er nicht hatte, nicht in der Welt wären. Sein Hauptgrundsatz war, was er selbst brauchen könnte, müsse ein anderer nicht haben. Hiezu wußte er, oft durch die vierte Hand, Maschinen in Bewegung zu setzen, und konnte nachher ganz unbefangen dabey aussehen, als ob ihm die Sachen so ganz natürlicherweise in die Hände gelaufen wären. Es ist wahr, er handelte dabey nicht allemahl ganz genau nach den gewöhnlichen Grundsätzen der Ehrlichkeit und der Menschenliebe. Er hatte aber seine Partie dergestalt genommen, daß er, wo es hingehörte, von Ehrlichkeit und Menschenliebe ganz fein zu reden wuste, und da man ihm weder die Ehrlichkeit absprechen konnte, daß er seine Schulden richtig bezahlte, und auch eben so pünktlich eintrieb, noch die Menschenliebe, daß er keinen Bedürftigen ohne Allmosen weggehen ließ, wenn jemand zugegen war, und keinen Schuldner verklagte, von dem er vorher sahe, daß er nicht würde bezahlen können; so war keinesweges zu beweisen, daß er, mit seiner Schlangenklugheit, nicht auch die Falschlosigkeit einer Taube verbinde.
Dieser Mann hatte es lange mit einer Art von Widerwillen angesehen, daß er bey dem Drucke, der so gut verkäuflichen Werke des Kollegianten, nichts als nur der Namenleiher seyn sollte. Besonders war ihm dieses bey dem gelehrten Tagebuch aufgefallen, von welchem er monatlich eine große Anzahl Exemplarien, zu seinem Mißvergnügen absetzte, weil ihm bey jedem Exemplare einfiel, daß dieß Werk eigentlich sein Eigenthum seyn sollte, und nicht des Kollegianten, der nur die Kleinigkeit dabey that, daß er es schrieb. Indessen, da der Kollegiant ein reicher und angesehener Mann war, der auch eine zahlreiche Bibliothek unterhielt, so mußte van der Kuit schon sein Mißvergnügen in sich schlucken. Da aber Sebaldus, ein armer unbekannter Fremder, das Eigenthum dieses Werks erhielt, sahe der erfahrne Buchhändler keinen Grund, warum er mit demselben auch ferner so viel Nachsicht haben sollte. Er setzte also bey sich fest, daß er dieses Werk einst ganz an sich ziehen müsse. Er hatte dem Sebaldus, zu diesem Behufe, einige wohlausgesonnene Vorschläge gethan, welche dieser, der in Geschäften ziemlich kurzsichtig war, sich sehr leicht würde haben gefallen laßen, wenn nicht van der Kuit, welcher zu viel Absichten auf einmahl erreichen wollte, ihm zugleich ein paar Mitarbeiter hätte aufdringen wollen, die zwar nach van der Kuits, nicht aber nach Sebaldus Absichten arbeiteten. Er bekam also eine ausdrückliche abschlägige Antwort. Diese Widerspenstigkeit eines Autors brachte ihn nicht wenig auf, und bestärkte ihn in seinem löblichen Vorsatze, das Journal zu besitzen und zugleich nach eigenem Gefallen zu regieren.
Dieser Vorsatz, wobey er, nachdem er einmahl einen Schritt deshalb gethan hatte, seine Ehre interessirt glaubte, lag ihm beständig im Kopfe. Da er nun jetzt über das Schicksal von Sebaldus Uebersetzung spekulirte, und einestheils wohl erwog, daß sie möchte verkäuflich seyn, anderntheils aber auch Verdrießlichkeiten mit der Geistlichkeit befürchtete, durch deren Kundschaft er so manche schöne uitlegkundige Vermaaklykheeden, Verklaaringen und Leer-Reeden verkaufte, so konnte er mit sich noch gar nicht einig werden, wie der Gewinn davon, mit rechter Vorsicht, und doch unbeschnitten könnte erlangt werden.
Mit einemmahle fieng seine Spekulation an, einen andern Weg zu nehmen. Er hieng das Angesicht, krümmte die Unterlippe, legte den Zeigefinger der linken Hand an die Nase, und endlich schien es ihm ganz natürlich vor Augen zu stehen, daß durch diese Uebersetzung, auch wenn sie nicht gedruckt würde, das gelehrte Tagebuch sein Eigenthum werden müßte. Diese wichtige Entdeckung machte ihn unruhig, er gieng aus seiner Schreibstube in den Laden, aus dem Laden in die Schreibstube, schnalzte mit den Fingern, rückte die Perucke, zog die Beinkleider auf, rieb sich die Hände, eilte mit Sebaldus Uebersetzung nach Hause, die er, ohne ans Abendessen zu denken, ganz durchlas, die nöthigen Stellen mit einem Kniffe bezeichnete, sein Projekt nochmals durchdachte, und sich darauf voller Zufriedenheit zu Bette legte.
Den folgenden Tag, bey früher Tageszeit, verfügte er sich zu Domine de Hysel, dem er die ganze Uebersetzung vorlegte, und ihm die Beschaffenheit des Buchs erklärte. Er las ihm zugleich alle die angezeichneten Stellen vor, in deren jeder er eine derbe Ketzerey zu finden vermeinte. Er versicherte, »er wisse daß Sebaldus gefährliche Absichten gegen die Landesreligion im Schilde führe, und daß er ein Socinianer sey. Er suchte zugleich den Domine zu bewegen, dieses gefährliche Buch der Obrigkeit anzuzeigen. Oder wenn man, aus Menschenliebe, dieß noch unterlaßen wolle, so gab er zu verstehen, der Domine werde doch in seiner Gegenwart, dem Sebaldus, wegen seiner gottlosen Meinungen, die, wie er vernommen, auch schon hin und wieder in dem Journale zu Tage lägen, stark das Gewissen schärfen, und wenn dieses, wie zu befürchten wäre, nicht helfen sollte, allenfalls bey der Obrigkeit zeugen, daß er einen Theil dieses bösen Buchs vorlesen hören, und daß es habe zum Drucke befördert werden sollen.«
Mynheer van der Kuit, hoffte von dieser Rede, die er wohl ausstudirt hatte, den erwünschtesten Erfolg. Wider Vermuthen aber, antwortete Domine de Hysel auf verschiedene Fragen gar nichts, und erklärte endlich, mit zerstreuter Mine: »daß er gestern wirklich nicht recht acht gegeben, als der Heft vorgelesen worden. Im Grunde sey manches doch auch nicht so schlimm, und könne besser ausgelegt werden – – ob ers gleich auch nicht vertheidigen wolle – – Da das Buch noch nicht gedruckt sey, wäre es ohnedieß zu hart, die Bestrafung von der Obrigkeit zu verlangen. Er dürfe dem Herrn Nothanker ja nur den Verlag abschlagen, – – welches er ihm zwar auch nicht eigentlich rathen wollte – – Kurz, er bäte ihn, zu glauben, daß er gestern gar nicht acht gegeben habe, und niemand ihre heutige Unterredung zu entdecken – – er könne sich nicht wohl in die Sache mischen.« Und bey allen diesem ließ er deutliche Zeichen der Verlegenheit merken.
Van der Kuit konnte gar nicht begreifen, wie die Entdeckung eines Ketzers, auf einen rechtsinnigen Geistlichen so wenig Eindruck machen könnte, denn er hatte gewiß geglaubt, ihn ganz bey seiner Schwäche zu fassen. Da er nun merkte, daß er den Beystand, den er gewiß von dem Domine zu erhalten hoffte, verfehlt hatte, und es nicht dienlich fand, demselben die wahre Ursach seines Antrags näher zu erklären, so gieng er, nachdem er sich dienstlich empfohlen, ziemlich betroffen, zur Thür hinaus.
Wollte der geneigte Leser etwan aus diesem Vorfalle schließen, daß Domine de Hysel heimlich heterodoxe Gesinnungen geheget, so würde er sich irren; denn der Domine, wollte an keinem einzigen Schlusse des Dordrechtschen Synods etwas geändert wissen.
Wollte man etwan vermeinen, der Domine habe die Meinungen des Buchs für unschädlich gehalten, und geglaubt, man könne sie dulden; so würde man noch das rechte Ziel nicht treffen, denn er war gar nicht geneigt sie zu billigen.
Kurzum, alles zu erklären, darf man nur wissen, daß Domine de Hysel, nachdem er den Zweck seiner theologischen Universitätsstudien, ein geistliches Amt, erreicht hatte, sich nunmehr, seine nothwendigsten Amtsgeschäfte ausgenommen, um geistliche Angelegenheiten ganz und gar nicht bekümmerte, und daher, gegen Orthodoxie und Heterodoxie, gegen Duldung und Verfolgung, eigentlich ganz völlig gleichgültig war. Er würde durch Aufmerksamkeit auf diese Dinge, auch nur an seiner Lieblingsbeschäftigung, an dem süssen Umgange mit den lieblichen Musen Latiens, gehindert worden seyn. Er wendete alle seine Zeit auf das Studium der lateinischen Sprache, die er mit der gesuchtesten Reinigkeit schrieb. Besonders machte er die zierlichsten lateinischen Gedichte, und er hatte kürzlich einen Band davon drucken lassen, wovon er nur vor acht Tagen, ein schön gebundenes Exemplar, mit einer hineingeschriebenen Carmine elegiaco abgefaßten, Epistel, ad Seb. 'Αποριαγκυροβολιον V. Cl. dem ehrlichen Sebaldus zur Recension gesendet hatte. Nun befürchtete er, daß wenn er sich in diese Sache, von der er ohnedieß keinen Zweck absahe, mengen wollte, könnten seine Gedichte, für die er eine große Zärtlichkeit hegte, einem widrigen Urtheile ausgesetzt seyn; daher hielte ers fürs sicherste, in dieser Sache nicht mit zu erscheinen.
Uebrigens sagte er darum keine Unwahrheit, daß er vorigen Tag auf Sebaldus Vorlesung nicht Acht gegeben habe, denn da er kein Liebhaber von Prose, am allerwenigsten von holländischer war, so hatte er unterm Lesen, eine sapphische Ode, auf den Dordrechtschen Synod, zu Ende bringen wollen, wozu ihm noch ein paar Ausgänge von Strophen fehlten. Er hatte also von dem Inhalte der Handschrift wirklich nichts vernommen, und wußte es dem Buchhändler schlechten Dank, daß er ihn damit bekannt gemacht hatte, ja er würde sich vor demselben haben verläugnen laßen, wenn er dessen Anbringen hätte vermuthen können.
Van der Kuit gieng indessen voll Kopfschüttelns über seine fehlgeschlagene Erwartung nach Hause, als ihm plötzlich einfiel, daß noch nichts verlohren wäre, wenn Sebaldus nur glauben wollte, daß Domine de Hysel wirklich gesagt hätte, was er, van der Kuit, wünschte, daß er gesagt haben möchte. Er kehrte also wieder um, und gieng zum Sebaldus, den er nach dem gestrigen Spaziergang, und einem ruhigen Schlaf, wohlbehaglich bey Durchlesung eines neuen Buchs antraf, worinn er so viel gute Gedanken, so viel menschenfreundliche Gesinnungen fand, daß dadurch sein Herz, zu allen angenehmen Eindrücken geöffnet war.
Der Buchhändler erzählte ihm gleich, mit angenommener ängstlicher Mine, daß Domine de Hysel erst die Handschrift, und nachher ihn selbst habe zu sich holen laßen, daß er ihm darum viel gottlose Meinungen gewiesen, und sich hoch vermessen habe, den Uebersetzer bey der Obrigkeit anzugeben, um ihn zur Strafe zu ziehen.
Eine schreckliche Nachricht macht desto stärkern Eindruck, je mehr das Gemüth vorher dem Vergnügen geöfnet gewesen. Sebaldus war daher ganz betäubt, und da van der Kuit fortfuhr, gräßliche Mährchen zu lügen, von der Strenge, mit der man in diesem Lande gegen die Ketzer verfahre, daß man sie in Zuchthäuser bringe, zur Vestungsarbeit anschmiede, in entfernte Kolonien verbanne u. d. gl. so ward der gute Mann, der in Welthändeln ganz unerfahren war, und sich nie um die Verfassung irgend eines Landes bekümmert hatte, ganz ausser Fassung gebracht, es stellten sich ihm zugleich, Dwanghuysen, Puistma, der Seelenverkäufer, Stauzius, Wulkenkragenius, der Präsident, und alle widrigen Begebenheiten seines Lebens so schreckenvoll vor, so daß er den treulosen van der Kuit bey der Hand ergriff, und ängstlich ausrief:
»Ach mein Gott was ist das! Könnte ich doch nur aus diesem grausamen Lande entfliehen, ich wollte gehen, so weit mich meine Füße tragen könnten.«
Van der Kuit war eigentlich nur Willens gewesen, den Sebaldus, dessen geringe Weltkenntniß er übersah, durch einen eingebildeten Rechtshandel in solche Verlegenheit zu bringen, daß derselbe sich ganz in seine Arme werfen müßte, wodurch er denn seinen Zweck wegen des Tagebuchs und der unterzuschiebenden Mitarbeiter, desto leichter zu erlangen dachte. Da ihm aber Sebaldus, aus übertriebener Aengstlichkeit, noch ein sichereres Mittel an die Hand gab, so faßte er, als ein weltkluger Mann, gleich dessen Gedanken auf, und sagte mit treuherzig scheinender Mine:
»Er glaube, in der That, es sey für ihn kein Heil, als in einer schnellen Flucht zu finden.«
»Freylich! rief Sebaldus, herzlich beklemmt, ich muß weg! Aber wohin? Wie soll ich so schnell und auch unerkannt aus dem Lande kommen. Ich weiß weder Weg noch Steg, habe auch kein Geld! Nach Ostindien zu gehen, habe ich allen Muth verloren. Nach Deutschland? Wie soll ich dahin zurückkommen? Großer Gott! was wird aus mir werden!«
Diesen Zeitpunkt nahm van der Kuit wahr, ihn mit vielen schönen Worten zu versichern, daß ein jeder ehrlicher Mann, dem andern beistehen müsse. Er setzte hinzu, er wolle, mit eben der Ehrlichkeit und Freundschaft, mit der er ihn vor dem Unglücke gewarnt habe, ihm nicht allein zur Flucht nach Deutschland behilflich seyn; sondern sogar auch mit Gelde helfen; wenn ihm Sebaldus nur den Vorrath und das Verlagsrecht der Werke des Kollegianten, besonders, des gelehrten Tagebuchs, abtreten wolle. Sie wurden bald um etwan hundert Gulden einig, worüber van der Kuit, mit der ihm eignen Thätigkeit in Geschäften, sogleich eine Verschreibung aufsetzte, und auch unverzüglich das Geld auszahlte.
Darauf eilte van der Kuit dienstfertiger weise, den Sebaldus unter fremdem Namen auf die Post nach Arnhem einschreiben zu laßen, verließ ihn auch hernach nicht einen Augenblick, bis er ihn den andern Morgen früh um sechs Uhr, nach dem Cingel[Fußnote] Ein Platz in Amsterdam, von welchem alle Morgen die Post nach Arnhem abfährt. gebracht, und ihn und sein weniges Gepäck wohlbehalten auf dem Postwagen sah.
Sebaldus fuhr in grosser Herzensangst fort, und sah sich beständig um, ob nicht ein Wagen mit Gerichtsdienern hinter ihm käme, um ihn einzuholen. Diese heftige Gemüthsbewegung, hatte auf seine Gesundheit einen solchen Einfluß, daß er, als er Abends nach Arnhem kam, ein heftiges Fieber hatte. Er wollte sich aber, der eingebildeten Gefahr wegen nicht einen Augenblick aufhalten. Gleichwohl war es zu spät, als daß er noch wieder aus der Stadt kommen konnte. Er mußte also in großer Herzensangst die Nacht aushalten. Des Morgens aber, mit Tagesanbruch, gieng er in größter Eil, zu Fuß, nach dem zwey Stunden entlegenen ersten Klevischen Städtchen Sevenaer, wo er von Fieberhitze und Ermattung übernommen, liegen blieb.
Die Krankheit ward gefährlich, und da er nach etlichen Wochen zu genesen anfieng, war durch die Kosten der Reise, des Wirths und des Arztes, sein Geldvorrath fast gänzlich aufgezehret, so daß er, in großer Schwachheit und Armuth weiter schleichen mußte. So kurz seine Tagereisen waren, so mußte er fast immer, einen Tag um den andern, wegen großer Mattigkeit, liegen bleiben, bis er endlich, in einem Dörfchen, wieder vom Fieber ergriffen wurde, und als er sich nach einigen Tagen zu erholen anfieng, nicht weiter konnte. Er ließ den Muth gänzlich sinken, erwartete alle Nächte ruhig den Tod, bey Tage aber, hatte er kaum so viel Kraft, sich bis an den Eingang des Dorfs zu schleppen, wo er den Reisenden das Heck aufzumachen beflissen war, und von den wenigen Almosen, die sie ihm gaben, sein Leben, dessen er nun völlig satt war, kaum kümmerlich hinhalten konnte.
[…]
Neuntes Buch
Letzter Abschnitt
Die Quaterne ward bezahlt, und Säugling ward kurz darauf mit Marianen verbunden. Die ersten Honigmonate verflossen in allen Entzückungen einer zärtlichen Liebe. Säugling machte sich den schönsten Plan zu einem arkadischen Schäferleben, voll Zärtlichkeit, Unschuld, Liebe, und besonders voll lieblicher Gedichte. Indessen gieng es in der folgenden Zeit nicht ganz nach diesem schön ausgedachten Plan. Mariane hatte, während ihres einsamen Winteraufenthaltes im Hause im Walde, und sonst, Gelegenheit gehabt zu erfahren, wie eitel poetische Phantasien sind, wenn sie ins gemeine Leben gebracht werden. Ihr kleiner Hang zu romantischen Gesinnungen, und die, von Jugend an, so gern gehegten Aufwallungen der Einbildung, verschwanden, da sie in die wichtigen Verhältnisse des wirklichen Lebens trat. Ihre süßen empfindsamen Phantasien, ersetzte ihr wirkliche Liebe, ihre unbestimmten Aussichten auf überschwengliche himmlische Seligkeiten, gemäßigtes, aber wahres Wohlbefinden. Gespräch vom Wohlthun, machte thätiger Geschäfftigkeit Raum. Sie weihte sich ganz ihren Pflichten, ward eine Landwirthinn, versorgte ihr Haus, und erzog ihre Kinder. Sie verschmähte auch nicht die kleinen Unannehmlichkeiten, die das häusliche Leben mit sich führt. Ihrem edlen Geiste ward dadurch von seiner feinen Empfindung nichts entzogen, sie ward vielmehr dadurch gestärkt. Mariane empfand nunmehr, wie weit sentimentales Gefühl, im wirklichen Leben thätig angewendet, das leichte Geschwätz davon, überwieget. Sie merkte, daß, Mutter und Hausfrau zu seyn, etwas mit sich führt, was keine jugendliche Phantasey, so weit sie zu fliegen scheint, erreichen kann.
Säugling, immer gewohnt, dem Frauenzimmer zu folgen, modelte sich unvermerkt nach Marianen. Er erinnerte sich, daß er, ein Mann, nicht mehr ein Jüngling sey. Er entsagte, freylich nach einigen kleinen Kämpfen, erst seiner allzu genauen Achtsamkeit auf den Kleiderputz, dann seinen zierlichen Gesinnungen, und endlich sogar seinen Gedichten. Er hat selbst an seinen empfindsamen Roman nicht nur nicht weiter gedacht, sondern ist auch allmählig ein völliger Landwirth geworden. Er steht mit Tagesanbruch auf, theilet seinen Leuten ihr Tagewerk aus, reitet, in aller Witterung, zu ihnen aufs Feld, und hat sich, durch unabläßige Thätigkeit, eine solche praktische Kenntniß des Ackerbaues erworben, daß er auf seines Vaters Gütern die wichtigsten Verbesserungen zu Stande gebracht hat. Indessen, da sich lange angewöhnte Unarten selten ganz ausrotten lassen, so ist er doch, unter der Hand, wieder ein Schriftsteller geworden, denn es wird nächstens von ihm eine Abhandlung vom Bau der Kartoffeln gedruckt werden, welche er, nach einer ihm eignen Methode zu vervielfältigen weiß, und womit er, in den letzten theuern Jahren, die armen Heuerleute seiner Gegend, aus eignem Vorrathe, beynahe ganz erhalten hat.
Als der Frau von Hohenauf die vorhabende Verbindung zwischen ihrem Neffen und Marianen gemeldet ward, antwortete sie in kaltem Tone: »Sie wisse lange, daß ihr Bruder beständig nur niedrige Neigungen gehabt, und ihre Bemühungen, die Familie aus dem Staube zu heben, nie gehörig geschätzt habe.« Da kurz darauf ihr Gemahl starb, so vermählte sie sich abermals mit einem wohlgewachsnen, unmittelbaren Reichsritter, dessen alter stiftsfähiger Adel allein schon aus den Akten eines weitläufigen, über hundert Jahre bey dem Reichskammergerichte schwebenden Konkursprocesses, zu beweisen war. Um die Güter ihres Gemahls, wo möglich, von Schulden zu befreyen, gieng sie mit demselben nach Wetzlar, mit Empfehlungsschreiben an den hernach, durch die Reichskammergerichtsvisitation, berühmt gewordenen Juden Nathan. Da ihr indessen, zu Wetzlar, auf den Assembleen einige Kränkungen begegneten, und ihr Mann, der, in Ansehung seines alten Adels, und seiner zärtlichen Liebe gegen die schöne Wittwe, sich in den Ehepakten sogleich völlige Gewalt über ihr Vermögen hatte verschreiben lassen, mit einer durchreisenden Tänzerinn nach Paris gieng; so kehrte sie unverrichteter Sachen, nach ihres Gemahls Herrschaft zurück. Sie bringt daselbst, weil ihre Nachbarn, aus Etikette, mit ihr nicht umgehen mögen, einsam und unmuthig ihre Tage damit zu; daß sie alle Sonntage und Festtage in die Kirche gehet, um für den Kaiser, für alle Könige, und für die gnädige Guthsherrschaft bitten zu hören, und daß sie in der einen Hälfte der Werkeltage ihre Kammermädchen ausschilt, und in der andern, mit einem armen Fräulein, von guter Familie, Pikett spielt.
Die Gräfin von *** nachdem sie die wahren Umstände von Marianens Entführung erfahren hatte, ließ derselben Charakter die vollkommenste Gerechtigkeit wiederfahren, und ward wieder ihre wahre Freundinn. Beide haben sich einigemal persönlich gesehen, und unterhalten einen freundschaftlichen Briefwechsel.
Doktor Stauzius war um diese Zeit, nach dem Tode des Präsidenten, wegen einiger allzuscharfen Gesetzpredigten, in die Ungnade des Fürsten gefallen. Man hatte ihm daher, ohne sein Verlangen, einen Adjunkt gesetzt, einen schönen Geist, welcher, nach neuester Art, in morgenländischen Bildern, und in abgebrochenen Kraftphrasen, bloß für das Gefühl predigte. Dieser neue Vicegeneralsuperintendent bediente sich auch in seinen Predigten vieler Prosopopöien, Fragen und Ausrufungen, aber alles in einer so melodiereichen Aussprache, daß der Fürst, welcher zuweilen schnell aufgefahren war, wenn Stauzius die Ewigkeit der höllischen Strafen herausbrüllte, nun bey höchstem Wohlseyn, in seiner Loge auf seinem Polsterstuhle, unter der Predigt sanft ruhen konnte. Der Neuling kam daher in so große Gnade, daß Stauzius, als er sich über einige von dessen Anordnungen beschweren wollte, aus Höchsteigener Bewegung, gänzlich pro Emerito erklärt ward. Dieses gieng ihm sehr nahe, zumahl, da er, außer dem öffentlichen Verluste seines Ansehens, zu Hause, von seiner Frau, seiner Unvorsichtigkeit halber, täglich die bittersten Vorwürfe hören mußte. Diese Unglücksfälle machten, daß er des Lebens satt, und dadurch vielleicht auch gegen seine Feinde versöhnlicher wurde. Denn da er von Hieronymus die Glücksveränderung des Sebaldus vernahm, ließ er deshalb an ihn ein höfliches Gratulationsschreiben gelangen, welches aber unbeantwortet blieb.
Hieronymus nahm, mit der wärmsten Freundschaft, Antheil an der glücklichen Lage seines Freundes Sebaldus, und an Marianens Verbindung. Er besuchte sie persönlich, um seinen alten Freund nochmals zu umarmen, und brachte demselben zugleich, nebst dem ebengedachten Gratulationsschreiben des D. Stauzius, auch den bisher treulich verwahrten Kommentar über die Apokalypse, mit.
Nothanker der Sohn, alias Rambold, veruneinigte sich bald mit dem Hrn. von Haberwald wegen einer Spielschuld, und verlor also alle Hoffnung, dem alten Pfarrer desselben adjungirt zu werden. Daher ist er auf andere Rathschläge zu seiner Versorgung gefallen. Er hat sich in den Kopf gesetzt, Professor der praktischen Philosophie oder der schönen Wissenschaften, auf irgend einer Universität, oder allenfalls an einem akademischen Gymnasium, zu werden, weil er sich einbildet, in diesen Wissenschaften wichtige Entdeckungen gemacht zu haben. Wenn er eine solche Stelle eher erhält, als der Kornet den gesuchten Abschied bekömmt, so könnte er auch wohl etwan noch die Jungfer Anastasia heurathen, bey welcher er seit einiger Zeit, wie es scheint, nicht ohne Absicht, fleißig aus- und eingehet. Indessen lebt er bey seinem Vater, und läßt sich seit einigen Jahren gefallen, dessen Kommentar über die Apokalypse, so wie er fertig wird, ins reine zu schreiben. Dabey ist er in Nebenstunden beflissen, Abhandlungen und Recensionen, in verschiedene Journale und Zeitungen einzusenden. Wenn man irgendwo schielende und ungereimte Urtheile lieset, über Dinge, wovon, wie offenbar zu sehen ist, der Recensent nichts verstanden hat; wenn dabey verdiente Männer mit naseweisem Geschnatter, fein superklug, über die ersten Gründe der Kunst oder Wissenschaft, in der sie vorzüglich groß sind, belehrt werden; wenn unbescheidner Eigendünkel für deutsche Freymüthigkeit, und ungehobelter Gernwitz für Laune verkauft wird; wenn eine bestimmte Nothwendigkeit für den Grund der Moral, oder ein hobbesischer Krieg aller gegen alle, für den Grund des Rechts der Natur gelten soll; wenn verstandloses Gefühl über philosophische Wahrheit entscheiden, und verwirrtes Träumen einer angebrannten Einbildungskraft, der höchste Schwung der Dichterey seyn soll; wenn besonders dabey die Worte: – »'ch muß dir sagen, liebes Publikum! – lieber Autor hör' an! – Lieber Leser merk' dirs!« – und andere solche Floskelchen gebraucht werden, worauf sich diejenigen etwas einbilden, die sich auf sonst nichts etwas einbilden können: so wird man, wenn man nicht etwan sicher weiß, welcher andere Geck die Feder geführt habe, nicht unwahrscheinlich schließen können, daß der Rambold dahinterstecke.
Sebaldus hat sich, in der Nachbarschaft seines Schwiegersohns, ein kleines Gut gekauft, wo er noch, vergnügt und geehrt, in ruhigem und glücklichem Alter lebt. Er theilt seine Zeit unter die Besorgung seiner Angelegenheiten, unter die Gesellschaft seiner Kinder und weniger Freunde, unter wohlthätige Unterstützung seiner bedürftigen Unterthanen und Nachbarn, und unter fleißiges Studieren, das er nun völlig, seiner Neigung gemäß, treiben kann.
Verschiedene denkende Männer unter seinen Freunden, welche, ohne selbst sehr consequent zu seyn, nicht leiden mögen, daß andere Leute inconsequent seyn sollen, haben sich viele Mühe gegeben, ihn sowohl von der Crusiusschen Philosophie, (welcher, nach ihrer Meinung, außer etwan in Leipzig oder in Bützow, niemand mehr beygethan seyn kann,) als auch von seinem Irrglauben an die Apokalypse zu bekehren. Da aber niemand, wenn er über funfzig Jahre alt ist, sein System zu ändern pflegt, so sind diese Dispute so unglücklich ausgeschlagen, daß Sebaldus, anstatt bekehrt zu werden, in seinen Meinungen vielmehr bestärkt worden ist.
Verschiedene dieser seiner Freunde haben ihm beweisen wollen, daß von einigen Wahrheiten, die er für ungezweifelt hält, nach den Sätzen der Crusiusschen Philosophie gerade das Gegentheil folgen würde. Sie sind aber ganz an ihm irre geworden, da er auf eine eigne, ihm geläufige Weise, wider ihr Vermuthen, alles aus der Crusiusschen Philosophie bewiesen hat, was sie meinten, nur aus der Wolfischen oder Dariesschen, oder Federschen, oder wer weiß welcher Philosophie, folgern zu können.
Einige haben daher den alten Mann, obgleich mit einigem Kopfschütteln, seyn lassen, wie er ist. Andere hingegen, weise systematische Männer, haben ihn dadurch völlig in die Enge zu treiben vermeint, daß sie ihm demonstrirt haben, sein eigner Charakter, (in welchem ohnedieß, wenn man die in dem Gedichte Wilhelmine befindlichen Nachrichten, für historisch richtig annähme, vieles bedenklich seyn müsse,) könne gar nicht zusammenhängen, wenn er bey seinen herrlichen theologischen Einsichten, zugleich an ein so ungereimtes Ding, wie die Apokalypse sey, ferner glauben wollte. Aber hierbey ist der gute Sebaldus, wider Vermuthen, ungeduldig geworden, welches diese, übrigens tiefen Kenner der menschlichen Natur, mit seinem sonst so sanften Charakter wieder nicht zusammenzureimen wußten.
Sie haben vielleicht dabey nur nicht gleich an eine sehr gemeine Bemerkung gedacht, welche durch das Beyspiel des seligen Don Quixotte, und durch das Beyspiel verschiedener noch lebender Genies, bestärkt wird, nehmlich: daß ein Mensch sehr wohl in allen Dingen so denken und handeln könne, daß ihn die ganze übrige Welt für verständig gelten läßt, und nur in einem einzigen so, daß ihn jedermann für einen Thoren hält.
Sie hätten sich auch wohl erinnern können, daß der beste, nachgebendste Mensch, ein Ding, über welches er seine Geisteskräfte einmal bis zu einer gewissen Anspannung angestrengt hat, sich nicht so leicht werde nehmen lassen. Daß daher ein Gelehrter ein Buch, besonders ein biblisches Buch, worüber er eine ihm wichtig scheinende Hypothese erfunden hat, niemals ganz werde fahren lassen können.
Sie mögen übrigens deshalb unbesorgt seyn, daß des Sebaldus vermeintliche abergläubische Achtung gegen das, was sie für Fratzen halten, seinen andern guten Eigenschaften und guten Meinungen schaden werde. Der Mann, der nun einmal seine Menschenliebe und seine Toleranz durch die bildliche Vorstellung des neuen Jerusalems bestätigt, zumal, wenn er ein scharfsinniger Kopf ist, wird seine Theorie von Eingebung und Prophezeyung auch schon so zu modeln wissen, daß seinen menschenfreundlichen Gesinnungen dadurch kein Eintrag geschehe. Und warum sollte dieß, an sich, schwerer seyn, als solche Theorien so zu formen, daß sie zu herrschsüchtigen und verdammenden Absichten gemißbraucht werden können?
Wirklich beschäftigt sich Sebaldus, seit einiger Zeit, mehr als jemals mit der Apokalypse, und hat seinen Kommentar darüber beynahe völlig geendigt. Er hat auch schon seinem Freunde Hieronymus den Verlag desselben angetragen, welchen dieser aber, mit aller Schonung gegen einen Autor, der zugleich ein Freund ist, verbeten hat. Hieronymus weiß freylich, was Sebaldus noch nicht glauben will, daß, seitdem Oeder, und nach ihm Semler, die Aechtheit dieses Buchs verdächtig gemacht haben, niemand mehr etwas über die Apokalypse lesen mag, so gar nicht einmal in Schwaben, wo jetzt, statt der vorherigen allgemeinen Beschäfftigung mit diesem sonst, dort für das Buch der Bücher geachteten Buche, durch eine, für die theologischen Wissenschaften glückliche Veränderung, das Variantensammlen und Arabisch exponiren eingetreten ist.
Diese abschlägige Antwort seines Freundes hat Herrn Sebaldus Nothanker auf die Gedanken gebracht, seine Erklärung und Auslegung über die Offenbarung Johannes, die Frucht einer Arbeit von mehr als dreyßig Jahren, nach dem Beyspiele anderer großen Gelehrten, auf Subscription drucken zu lassen.
Es wird daher hierdurch bekannt gemacht, daß sie drey starke Bände in groß Quart betragen wird, und auf feines weißes Druckpapier abgedruckt werden soll. Sobald sich eine hinlängliche Anzahl Subscribenten, allenfalls auch nur zu einer kleinen Auflage von etwan zweytausend Exemplarien, gemeldet hat, wird der Druck sogleich angefangen werden, und vier Monate nachher, die Ablieferung des ersten Theils geschehen.
Ende.
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