TexturenGeschichte
Wilhelm Raabe als Berufsschriftsteller
von Michael Buchmann
Wilhelm Raabe gilt in der Literaturgeschichtsschreibung als herausragender Vertreter des bürgerlichen Realismus. Bekannt ist er Buchhändlern vor allem durch Romane wie „Der Hungerpastor“, „Die schwarze Galeere“ und „Stopfkuchen“. Doch bevor er sich 15.11.1854, dem sogenannten „Federansetzungstag“ dazu entschloss, als Berufsschriftsteller seinen Lebensunterhalt zu verdienen, versuchte er sich zunächst als Buchhändler in Magdeburg. Der Buchhändlerkollege Wilhelm Scholz schrieb über ihn: „Daß Raabe einmal Buchhändler gewesen war, erzählte er gern, daß er stolz darauf gewesen wäre, habe ich allerdings nie empfunden.“ Auch wenn er seine Ausbildung abbrach, konnte Raabe sich so ein genaues Bild von den Wünschen und Vorlieben der Kunden machen.
Berufsschriftsteller werden zu wollen beschränkte sich für Raabe nicht nur auf die Erwartung, seinen Lebensunterhalt durch die Honorare vollständig bestreiten zu können, sondern bedeutete auch,
als Autor möglichst professionell zu arbeiten. Dies wiederum machte es erforderlich, sich den Anforderungen des Literaturbetriebs möglichst weitgehend anzupassen. Dies bedeutete wiederum, Romane
statt Lyrik oder Dramen zu schreiben. Und er schrieb diszipliniert, hielt regelmäßige Arbeitszeiten ein und produzierte so fast jedes Jahr einen Roman. Wenn er selbst die Honorare aushandelte,
tat er dies sehr verbissen, ließ sich aber auch durch eine Agentur vertreten. Außerdem nutzte er das damals beliebteste Medium, nämlich die Zeitschriften, um zusätzliche Erlöse durch den
Vorabdruck seiner Romane als Fortsetzungen zu erzielen.
Daneben erhielt Raabe auch Mittel der Schillerstiftung. Als allerdings im Jahr 1896 ein Komitee gegründet wurde mit dem Zweck, Geld für den angeblich bedürftigen Schriftsteller Raabe zu sammeln,
schritt er ein. Er schrieb in einem Brief an Julius Stinde: „[...] Nun kommt aber heute Morgen die Nachricht an mich, ich sei in 'arger Nothlage' und ein Komitee habe sich gebildet usw.; da
bleibt mir nichts übrig als Sie zu bitten, die Freunde zu ersuchen, mir Das für die Zeit aufzusparen, wo ich es in Wahrheit nöthig haben werde. Die letzten Jahre durch ist es mir in Folge der
weitern Auflagen meiner ältesten Jugendsünden sogar recht gut gegangen: […]“. Tatsächlich hatte Raabe auch eine ökonomisch schwierige Phase durchmachen müssen, die damit begann, dass Adolf Glaser
ihn 1884 bei Westermann nicht mehr verlegen wollte.
Am Roman „Der Lar“ kann man am besten ablesen, wie sich Raabe als Autor gleichzeitig an den Literaturbetrieb angepasst hat, das Optimum für sich herauszuholen verstand und sich dennoch
gleichzeitig mit seinen literarischen Mitteln davon distanzierte. Bereits der Untertitel des Romans lässt die Doppelstrategie erkennen: „Eine Oster-, Pfingst-, Weihnachts- und
Neujahrsgeschichte“. Die Namensgebung ist durch die übertriebene Namenshäufung aller Feiertage eindeutig parodistisch, ohne dadurch auszuschließen, dass man seinen Roman tatsächlich zu jedem
dieser Anlässe präsentieren kann. Und auch mit dem Motto des Romans macht er sich zwar über die Einfältigkeit seiner Zielgruppe lustig, um deren Erwartungen an die Handlung dann doch zu
entsprechen: „O bitte, schreiben auch Sie doch wieder mal ein Buch, in welchem sie sich kriegen!“
Der Roman „Der Lar“ ist in zweierlei Hinsicht eine Parodie auf den Literaturbetrieb, denn sein Inhalt funktioniert auf zwei verschiedenen Ebenen. Vor allem durch karikierende Schilderungen
repräsentativer Figuren wird der Literaturbetrieb diskreditiert: vor allem durch die Figur des Dr. phil. Kohl, eines Philologen, der den sozialen Abstieg zum Lokalredakteur erleben muss oder der
Figur des vormaligen Malers Blech, der zum Leichenfotografen verkommen ist.
Allerdings diente der dargestellte Inhalt auch dazu, den Verleger zu erpressen. Denn Raabe bot das Manuskript dieses Romans unter der Bedingung eines ungewöhnlich hohen Honorars
ausgerechnet jenem Adolf Glaser an, der ihn Jahre zuvor beim Westermann Verlag hinausgeworfen hatte. Glaser erfüllte Raabes Forderung bedingungslos. Die Erpressung funktionierte folgendermaßen:
Glaser musste zehn Jahre zuvor in Berlin einen Prozess wegen Homosexualität über sich ergehen lassen und verlor dadurch zwischenzeitlich seine Anstellung beim Westermann Verlag. Glaser erkannte
sich nun in der Figur des homosexuellen Bogislaus Blech wieder. Dadurch war ihm klar, dass Raabe über seine Vergangenheit im Bilde und willens war, sie im Fall einer erneuten Ablehnung in seinem
neuen Wohnort publik zu machen.
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