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Samuel Roth, James Joyce und die Zensur

von Michael Buchmann

Samuel Roth
Samuel Roth

Samuel Roth wanderte als Kind zusammen mit seiner Familie von Galizien in die Vereinigten Staaten aus. Seine Karriere im Literaturbetrieb begann er zunächst im Jahr 1918 mit einer Buchhandlung in New York. Doch Roth scheiterte nicht nur als Sortimenter, sondern auch als Literaturkorrespondent für den New York Herald in London, weshalb er sich mit Hilfe des Vermögens seiner Frau schließlich als Herausgeber einer eigenen Zeitschrift namens Two Worlds Monthly versuchte. In dieser Eigenschaft druckte er regelmäßig Auszüge aus dem damals in den Vereinigten Staaten noch verbotenen Ulysses von James Joyce ab und wurde damit zum ersten Verleger von Joyce in Amerika. Während Roth behauptete, die Genehmigung zum Abdruck habe ihm dessen Agent Ezra Pound erteilt, erregte der Fall Aufsehen und führte 1927 zu einem internationalen Protest von genau 167 prominenten Schriftstellern wie Virginia Woolf, Bertrand Russell, Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal usw. Im Jahr 1930 wurde Roth dann von einem Gericht zu sechzig Tagen Haft verurteilt, und zwar nicht wegen des Nachdrucks, sondern wegen der angeblichen Obszönität des Ulysses. Joyce wiederum rächte sich auf seine Weise und verewigte Roth in Finnegans Wake folgendermaßen: „Rothim! … With his unique hornbook and his prince of the apauper's pride, blundering all over the two worlds.“

 

Ab 1925 betrieb Roth zudem unter immer wieder wechselnden falschen Namen und Adressen einen Versand für erotische Literatur. Diese Form des Buchhandels ergab sich zwangsläufig aus seinem Kapitalmangel und aus der damaligen Marktbeschaffenheit. Denn für einen Buchversand benötigt man weniger Startkapital als für ein Ladengeschäft, und was die Raubdrucke betraf sparte man sich durch sie die Autorenhonorare. Der Bedarf auf Seiten der Kunden ließ sich durch die Aura des Anrüchigen der vertriebenen Texte und durch entsprechende Kataloge und verheißungsvolle Ankündigungen leicht wecken. Diese Taktiken hatten natürlich auch ihre Nachteile: so wurden Roth beispielsweise Druckplatten von einem seiner Nachdrucke gestohlen, so dass ein Raubdrucker den anderen Raubdrucker nachdruckte. Die größte Bedrohung für Roths Geschäft bestand allerdings in der Prüderie im Amerika dieser Zeit und der Zensur: bereits die Lektüre erotischer Texte wurde als kriminelle Handlung eingestuft. Inspektoren sorgten für die Durchsetzung der Zensur und überwachten den Brief- und Warenverkehr zwischen Roth und seinen Kunden. Daher griff er zu verschiedenen Guerillatechniken: so deponierte er bisweilen bestellte Bücher in Schließfächern und schickte den Kunden die Schlüssel.

 

Samuel Roth wurde so wiederholt zu Geld- aber auch Gefängnisstrafen verurteilt, bevor ihn schließlich ein Verfahren um angeblich obszöne Bücher und Versandprospekte im Jahr 1957 bis vor den obersten Gerichtshof der USA führte.Der oberste Gerichtshof bestätigte das Urteil der Vorinstanzen von fünf Jahren Gefängnis, da obszöne Texte nicht unter die Pressefreiheit fallen würden. Trotzdem veränderte die Urteilsbegründung die nachfolgende Rechtsprechung grundlegend, denn erstens musste laut Urteil der Begriff „Obszönität“ durch den Gesetzgeber genauer als bisher definiert werden und zweitens musste nun ein Buch in seiner Gänze obszön, um verboten werden zu können. Roth war durch seine verlegerische Leistung und seinen Kampf gegen die Zensoren unbestritten ein Kämpfer für die Meinungsfreiheit, aber darauf reduzieren lässt er sich nicht. Denn er liebte genauso den Skandal als Selbstzweck, den er sehr geschäftstüchtig zu provozieren und auszunutzen verstand. So gab er sensationsheischende Fälschungen in Auftrag, wie beispielsweise ein Buch namens I Was Hitler's Doctor oder Nietzsches angebliche Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus mit dem Titel My Sister and I. Außerdem bestand seine Taktik darin, sich nicht nur durch Skandale und Fälschungen, sondern auch durch Verbotenes am Markt zu positionieren, was nicht denkbar war ohne die Zensur, die er gleichzeitig angriff. Denn das Verbotene machte den eigentlichen Wert eines Großteils seiner Produkte aus und schreckte gleichzeitig weniger mutige Konkurrenten ab. Und umgekehrt wurde er beispielsweise wegen einem seiner Versandprospekte verklagt. Die Begründung: einige der von Roth vertriebenen Bücher seien nicht so obszön gewesen wie von ihm im Katalog versprochen und hätten die Käufer daher enttäuscht und getäuscht. 


Literatur

  • Hamalian, Leo: Nobody Knows My Names: Samuel Roth and the Underside of Modern Letters, in: Journal of Modern Literature, Nr. 4 (1974), S. 889-921.
  • Talese, Gay: Du sollst begehren. Auf den Spuren der sexuellen Revolution, Berlin 2007, S. 122-145.

 


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