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Kurt Tucholsky als Buchhändler

von Michael Buchmann

Kurt Tucholsky
Kurt Tucholsky

Am 08.01.1914 veröffentlichte die Schaubühne den streitbaren Artikel „Der deutsche Buchhändler“ von Tucholsky. Der Autor beginnt seinen Text mit einer Feststellung, die von einigen auch heute noch als Provokation aufgefasst wird: „Das Buch ist eine Ware.“ Was an diesem Satz vor allem unbehaglich sein dürfte, sind die Folgen, die sich aus ihm ergeben, nämlich eine konsequente Übertragung ökonomischer Erkenntnisse auf den Buchhandel. Tucholsky wirft der Buchhändlerfraktion der Besitzstandswahrer eine „mittelalterliche apothekerhafte Schwerfälligkeit“ vor, die sie daran hindere, ökonomische Neuerungen in ihren Buchhandlungen einzuführen. Allerdings gibt Tucholsky mit der Kritik an dem „sektiererischen Zug“ der „Stehengebliebenen“ nicht gleichzeitig der Fraktion der unbesehenen Ökonomisierer Recht.


Eine „rege Betriebsamkeit, die das neue Gute erfaßt, wo sie es erwischen kann“ ist zwar notwendig, aber noch lange nicht ausreichend. Denn so wie eine möglichst effektive ökonomische Umsetzung ein Mittel ist, so ist das Geldverdienen dagegen ein legitimer Zweck. Allerdings ist es nicht der einzige, denn genauso wichtig ist im Selbstverständnis der Buchhändler die „Kulturförderung“. Denn neben ökonomischen Sachzwängen bietet sich den BuchhändlerInnen durchaus ein genügend großer Spielraum, um den kulturellen Aspekt der Ware Buch entsprechend herauszustellen, beispielsweise bei der Sortimentsgestaltung und der Beratung. Diese Kulturförderung ist nach Tucholsky geradezu eine Pflicht, die er allerdings nur ungenügend erfüllt sieht.

„Unser zweifellos vorhandenes Bedürfnis nach Büchern wird nicht ausgenutzt.“ Schlimmeres kann man dem Buchhändlerstand kaum vorwerfen. Worauf beruft sich Tucholsky in seinem Verdikt? Vor allem auf zweierlei: einmal die seiner Meinung nach ungenügende Sachkenntnis der BuchhändlerInnen, die ihm noch nicht einmal eine gute Literaturgeschichte empfehlen könnten, und zum zweiten eine Gestaltung des Sortiments, die nicht exakt auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten sei. Zwar geht Tucholsky so weit zu schreiben, dass man sogar im Kaufhaus besser bedient werde als in manchen Sortimentsbuchhandlungen; trotzdem widerspricht er auch denjenigen, die keine außer ökonomischen Kriterien kennen. In einem anderen Artikel schreibt er über diese Haltung: „Solch Unternehmer ist unsicher und muß unsicher sein, denn er weiß nicht, was er will. Er kann es nicht wissen, denn er ist niemand.“ Solche Buchhandlungen sind nicht innovativ sondern austauschbar.

Wie stellt sich Tucholsky also eine sachgemäßere Bedienung vor? Erstens das Herausstellen eines eigenen Profils, zweitens die konsequente Ausrichtung auf eine entsprechende Zielgruppe und drittens schließlich eine „systematische Propagierung“. Selbstverständlich ist das Buch eine Ware; aber es ist mehr als das. Daher führt weder ein falsch verstandener literarischer Anspruch ans Ziel noch eine falsch verstandene Ökonomisierung, die sich nur auf diejenigen Faktoren kapriziert, die sich auch bilanzieren lassen. Tucholskys Rezept könnte man auf die Formel bringen: viel (literarischer) Sachverstand gepaart mit modernen betriebswirtschaftlichen Mitteln in der Umsetzung. Beides ist vonnöten, um in dieser Branche erfolgreich handeln zu können. Und genau das hat doch den Reiz des Buchhandels schon immer ausgemacht.

Tucholsky selbst hat zusammen mit Kurt Szafranski im Jahr 1912 eine Buchhandlung, nämlich die „Bücherbar“, in Berlin gegründet. Sie hieß deshalb so, weil dort neben Büchern und fundierten Diskussionen auch Hochprozentiges angeboten wurde. Einige Jahre später erinnert sich Tucholsky folgendermaßen an das Experiment: „Der 'Sankt Petersburger Herold' vom achtzehnten Dezember 1912 schrieb, wer einen Wilde erstehe, der bekäme Whisky Soda, und wer Ibsen kaufte, einen nordischen Korn. Das stimmte aber nicht – wir tranken selber. Und verkauften schrecklich viele ›Rheinsbergs‹. Also gut, wir gaben die Bücherbar wieder auf, weil ein guter Ulk immer ephemer ist, und die Zeiten gingen dahin.“ Tucholsky konnte offensichtlich seine eigenen guten Ratschläge selbst nicht umsetzen, und dies zu Zeiten, als der Buchmarkt regelrecht boomte. Kein Wunder, dass er sein gescheitertes Projekt im Nachhinein als nebensächlich und vorübergehend herunterspielt.

 

Literatur

  • Moldenhauer, Dirk: Kurt Tucholsky vs. Ernst Rowohlt, in: Hermann Gieselbusch/Dirk Moldenhauer/Uwe Naumann/Michael Töteberg: 100 Jahre Rowohlt. Eine illustrierte Chronik, Reinbek 2008, S. 60-62.
  • Tucholsky, Kurt: >Neu-Erscheinung<, in: Vossische Zeitung, 19.02.1928.
  • Tucholsky, Kurt: Avis an meinen Verleger, in: Die Weltbühne, 01.03.1932, Nr. 9, S. 345.
  • Tucholsky, Kurt: Büchertisch, in: Die Weltbühne, 24.11.1925, Nr. 47, S. 803.
  • Tucholsky, Kurt: Das Buchhändler-Börsenblatt, in: Die Weltbühne, 24.09.1929, Nr. 39, S. 481.
  • Tucholsky, Kurt: Der Autor der Saison, in: Vossische Zeitung, 30.12.1927.
  • Tucholsky, Kurt: Der deutsche Buchhändler, in: Die Schaubühne, 08.01.1914, Nr. 2, S. 31.
  • Tucholsky, Kurt: Der Mittler, in: Die Weltbühne, 11.11.1930, Nr. 46, S. 718.
  • Tucholsky, Kurt: Dicke Bücher, in: Die Weltbühne, 23.08.1927, Nr. 34, S. 308.
  • Tucholsky, Kurt: Die diskreditierte Literatur, in: Die Schaubühne, 04.12.1913, Nr. 49, S. 1210.
  • Tucholsky, Kurt: Die Herren Autoren, in: Vossische Zeitung, 11.01.1931, Nr. 18.
  • Tucholsky, Kurt: Eine neue Bücherzensur, in: Berliner Volkszeitung, 30.11.1919.
  • Tucholsky, Kurt: Ist das deutsche Buch zu teuer -?, in: Die Weltbühne, 07.02.1928, Nr. 6, S. 208.
  • Tucholsky, Kurt: Kritik als Berufsstörung, in: Die Weltbühne, 17.11.1931, Nr. 46, S. 749.
  • Tucholsky, Kurt: Theobald Tiger spricht, in: Die Weltbühne, 12.05.1931, Nr. 19, S. 708.
  • Tucholsky, Kurt: Verlagskataloge, in: Die Weltbühne, 24.02.1931, Nr. 8, S. 293.

 


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