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Adorno schlendert über die Buchmesse

von Michael Buchmann

Theodor W. Adorno
Theodor W. Adorno

Als Adorno im Jahr 1958 über die Buchmesse schlenderte, machte er dies nicht zu seinem Vergnügen, denn „Vergnügtsein“, so Adorno, hieße „Einverstandensein.“ Dabei konnte und wollte er mit der Erscheinungsweise der dort ausgestellten Novitäten durchaus nicht einverstanden sein. Statt dessen versuchte er mit deren Hilfe nachzuweisen, dass die Literatur der reinen und unkritischen Zweckvernunft des Literaturbetriebs, den er als „Kulturindustrie“ bezeichnete, unterworfen sei. Geistige Gebilde wie beispielsweise Bücher, so die These, seien „nicht länger auch Waren, sondern sind es durch und durch.“ Er drückte es mit Hilfe ökonomischer Begriffe auch so aus, dass der Gebrauchswert von Büchern, der in ihrem Inhalt besteht, verschwunden sei und sie daher nur noch aus ihrem Tauschwert, dem jeweiligen Marktpreis, bestünden. Dass Bücher nur noch Waren sind, dem liegt nach Adorno einerseits eine einheitliche manipulierende Kulturindustrie als Produzent und andererseits eine beliebig manipulierbare Masse als Konsument zu Grunde. Dabei hatte bereits lange zuvor Marx in aller wünschenswerter Deutlichkeit über Proudhon, von dem Adorno diese ökonomische Begrifflichkeit von Gebrauchs- und Tauschwert entlehnt hat, geschrieben: „Er treibt die Abstraktion auf die Spitze, indem er alle Produzenten in einen einzigen Produzenten, alle Konsumenten in einen einzigen Konsumenten zusammenschweißt und den Kampf zwischen diesen beiden chimärischen Personen sich ausspielen läßt. [...] Die Konkurrenz zwischen den Anbietenden sowohl wie die Konkurrenz zwischen den Nachfragenden bildet ein notwendiges Element des Kampfes zwischen Käufern und Verkäufern, dessen Ergebnis der Tauschwert ist.“ Anders ausgedrückt: damit Bücher überhaupt einen Marktpreis haben, muss Konkurrenz sowohl zwischen den Produzenten als auch zwischen den Konsumenten bestehen.

 

Adorno spähte auf der Buchmesse also nach Merkmalen von Büchern, anhand derer er sie als reine Ware kategorisieren konnte; auf seiner Suche verfiel er auf folgendes: „Übertreibung der Formate“ und „allzu intensive und auffällige Farben“. Dies sind allesamt äußerliche Merkmale von Büchern, die natürlich in ihrer Erscheinungsweise überwiegend marketingtechnischen Überlegungen geschuldet sind. Was im Umkehrschluss nicht zwangsläufig bedeutet, wie Adorno behauptet, dass Bücher nur aus diesen bestehen. Was für Adorno ebenfalls auf einen Verfall von Büchern hinweist, ist „die Längsschrift auf dem Rücken“; er behauptet, diese Bücher seien „nur dazu da, herumzuliegen, heruntergefegt zu werden“. So lächerlich dieser Rundumschlag Adornos auf den ersten Blick erscheint, hat er trotzdem ein ige neueste Entwicklungen vorhergesehen: in diesem Fall, dass sich Taschenbücher mehr und mehr von einem Gebrauchs- zu einem Verbrauchsgut wandeln. Sie werden nach der Lektüre am Strand oder in der Bahn liegen gelassen oder an Bekannte weiter verschenkt. Was seinerseits übrigens keineswegs verwerflich ist. Dass das Erscheinungsjahr nicht mehr eingedruckt werde, wie Adorno behauptet, ist heute nicht mehr der Fall. Trotzdem ist das Erscheinungsdatum ein gewichtiger Faktor der Marktpreisbildung: je neuer, desto besser. Weshalb schon einige Verlage dazu übergegangen sind, im aktuellen schon das Datum des jeweils folgenden Jahres ins Impressum einzudrucken.

 

Eigenschaften, die Adorno dagegen an der Erscheinungsweise von Büchern schätzt, sind folgende: „in sich gehalten“, „dauernd“, „hermetisch“ und „stolz [!] unscheinbar“. Durch die Bevorzugung derjenigen Bücher, die scheinbar ohne Marketingabsicht daherkommen, erliegt der listenreiche Adorno allerdings seinerseits einer verlegerischen List. Denn wenn er schreibt, die Bücher wollten die „Spuren handwerklicher Produktion auslöschen“, ist er sich überhaupt nicht im klaren darüber, dass beispielsweise bereits der Verleger Eugen Diederichs während der vorangegangenen Jahrhundertwende das genaue Gegenteil tat. Er stellte Bücher her, die die Spuren handwerklicher Produktion simulierten, obwohl sie industriell gefertigt waren. Und auch die Einbände wissenschaftlicher Titel waren und sind nicht aus Bescheidenheit karg gehalten, sondern aus Berechnung so gestaltet, indem sie unter anderem auch dem Elitarismus und den Vorurteilen derjenigen Zielgruppe Rechnung tragen, zu der Adorno sich rechnen konnte.

 

Die Texte Adornos genossen lange Zeit anhaltenden Erfolg, der unter anderem dazu führte, dass die „Dialektik der Aufklärung“ eines der am häufigsten raubkopierten Bücher der siebziger Jahre wurde. Dieser Erfolg der eigenen vorgeblich subversiven Texte widerlegt die These der lückenlosen Manipulation einerseits und der willfährigen Konsumentenmasse andererseits wohl am augenfälligsten. Und wenn es darum ging, sich eine vorteilhafte Stellung im Literaturbetrieb zu sichern, war Adorno in seinem eigenen Vorgehen mindestens ebenso berechnend, wie er es seinem Gegner, der „Kulturindustrie“, unterstellt. Dreißig Jahre vor seinem Gang durch die Buchmesse, am 20. Februar 1928, schrieb er an Kracauer: „[…] sonst halte ich den Intellektuellenhabitus peinlich inne; auch aus ökonomischen Gründen. –“

 

Literatur

  • Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1970.
  • Adorno, Theodor W.: Bibliographische Grillen, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. 345-357.
  • Adorno, Theodor W.: Der Essay als Form, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. 9-33.
  • Adorno, Theodor W.: Kann das Publikum wollen?, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 20.1, S. 342-347.
  • Adorno, Theodor W.: Résumé über Kulturindustrie, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 10, S. 337-345.
  • Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max: Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug, in: Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main 1969, S. 128-176.
  • Adorno, Theodor W./Kracauer, Siegfried: „Der Riß der Welt geht auch durch mich“. Briefwechsel 1923-1966, Frankfurt am Main 2008.
  • Adorno, Theodor W./Suhrkamp, Peter/Unseld, Siegfried: „So müßte ich ein Engel und kein Autor sein“. Adorno und seine Frankfurter Verleger. Der Briefwechsel mit Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld, Frankfurt am Main 2003.

 


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