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Bücher als "Überbringer der Ideen". Josias Ludwig Gosch über den Ideenumlauf

von Michael Buchmann

Der Sturm auf die Bastille
Der Sturm auf die Bastille

Im ersten Jahr der Französischen Revolution erschien in Kopenhagen ein Text über den Ideenumlauf. Josias Ludwig Gosch stellte sich dort die Frage, welche Bedeutung Ideen bzw. Inhalte haben, welchen konkreten Nutzen sie haben, wie die Mechanik der Verbreitung von Inhalten beschaffen ist und welchen Vorteil diese Zirkulation mit sich bringt.

 

Um dem Text nicht Unrecht zu tun, sollte man ihn nicht an der Konkretheit beispielsweise einer Debatte dieser Zeit zwischen Reich und Reimarus zum Konditionsstreit oder der Abstraktion und Genauigkeit der Texte von Kant und Fichte zum Nachdruck vergleichen. Der Text ist weder sehr konkret noch sehr stringent in seiner Argumentation. Die Form ist essayistisch und die Argumentation sehr divergierend. Gleichzeitig ermöglichte diese lockere Form Gosch aber auch, allgemeinere und damit auch grundlegendere Zusammenhänge zu skizzieren.

 

Der Text fällt nicht nur zeitlich mit der Französischen Revolution zusammen, seine ganze Intention ist dem Fortschrittspathos dieser Zeit verplichtet: „Aufklärung der Seele ist nicht allein das vornehmste Mittel zur menschlichen Glückseligkeit: sie war auch für sich selbst der Entzweck, warum die Natur die Menschen auf den Erdboden setzte.“ [S. 115]. Nun lag es damals nahe, den Fortschritt den Leistungen bzw. Persönlichkeiten herausragender Einzelner zuzuschreiben. Denn der Geniebegriff und die Genieästhetik setzte sich seit den 1750er Jahren weitgehend durch, fand in dem Geniekult des Sturm und Drang einen ersten Höhepunkt und verhinderte auf sehr lange Zeit eine ernsthafte Untersuchung des Literaturbetriebs. Verschiedene Faktoren bewahrten Gosch vor der Übernahme solcher Erklärungen verhindernden Allgemeinplätzen.

 

Vor allem seine Nähe zum Empirismus Lockescher Prägung verhinderte eine Übernahme der Vorstellung, das Genie schöpfe die Ideen aus sich selbst: "Aristoteles und Gassendi haben eine gewisse dunkle Ahnung von dem Grundsatze, daß wir alle unsre Begriffe durch die Sinne erhalten. Loke erleuchtet ihn [...] auf das meisterhafteste." [S. 84]. Zwar verweist auch Gosch explizit auf die Unterschiede der Menschen und die Bedeutung herausragender Menschen, doch diese herausragenden Leistungen entstehen für Gosch nicht isoliert, sondern sind erst dadurch möglich, dass möglichst viele Eindrücke und Erfahrungen verarbeitet werden können und dies wiederum setzt einen möglichst effektiven Mechanismus voraus, der diese Verbreitung von Eindrücken und Erfahrungen anderer ermöglicht. Erst diese beiden Voraussetzungen – große Geistesleistungen setzten Eindrücke und Erfahrungen voraus und dass man sich auch der Eindrücke und Erfahrungen vieler anderer bedienen müsse – diese beiden Voraussetzungen führen folgerichtig dazu, das System der Verbreitung dieser Eindrücke und Erfahrungen zu untersuchen, denn nach diesen Annahmen ist es notwendige Voraussetzung für den oben genannten Fortschritt.

 

Und ein weiterer Faktor macht Gosch als Vorläufer der Beschäftigung mit dem Literaturbetrieb so wertvoll: Gosch beschäftigte sich auch eingehend mit ökonomischen Fragen. Ökonomie war für ihn weder ein notwendiges Übel noch ein Akzidenz von Geistesprodukten. Der ganze Fortschritt wird in erster Linie aus der Sicht der wirtschaftlichen Staatsräson betrachtet, aus einer nahezu kameralistischen Perspektive. Dementsprechend wird der Ideenumlauf mit ökonomischen Begriffen wie Produktion, Bedürfnis, Erwerb, Nutzen, Arbeiter usw. beschrieben. Und dem trägt auch der Ideenbegriff Goschs Rechnung: nach ihm gibt es zum einen die „Produktionsideen“. Sie dienen dazu, die elementaren Bedürfnisse zu befriedigen. Die sekundären kulturellen Ideen gedeihen umso besser, je besser die primären gestillt sind. Er nennt England als Vorbild, wo die starke Wirtschaft auch der Kultur zu Gute komme und deren Blüte erst ermögliche. Dieser Zusammenhang wird von ihm nicht als psychologisch gedacht, sondern als systematisch und vor allen Dingen auf der inhaltlichen Ebene als wechselseitig wirkend: „Eine Untersuchung über die verschiedenen Düngungsarten wirkt sicher auch auf die Seelenlehre und die Metaphysik.“ [S. 8]. Also nicht wie gewöhnlich, dass der ökonomische Einfluss auf die Kunst wirkt und der inhaltliche auf die Ökonomie, sondern dass eben auch ökonomische Entwicklungen wie die Düngungsarten Einfuss auf die Kultur haben.

 

Erst danach handelt Gosch die „ästhetischen und philosophischen Ideen“ ab, wobei er nachdrücklich darauf hinweist, sowohl die „Erwerbswissenschaften“ als auch „schönen Wissenschaften“ hätten ihre Berechtigung: „[...] jedem Bürger des Staats auch noch nach dem Erwerb seines eigenen und seiner Familie Unterhalts und seines Beitrages zu den Bedürfnissen des Staats beträchtliche Zeit übrig durch angenehme Ideen seinen Geist aufzuheitern und zu vervolkommen. Eine solche Unterhaltung wirkt hernach auch sehr vortheilhaft wieder zurück auf seine Berufsgeschäfte.“ [S. 112] Überspitzt formuliert: Kultur als Arbeitskraft erhaltende Maßnahme. Interessanter als der Ideenbegriff – worunter Gosch so etwas wie materialisierte sprachliche Zeichen versteht, die er von den „Fibern im Gehirn“ bis zu den Lauten kurz nachzeichnet – ist sein Zirkulationsbegriff. Als notwendige Grundlage für Fortschritt umfasst er nach Gosch natürlich zunächst die Faktoren Verbreitung/Distribution und Archivierung/Kanonisierung: „Vermöge der Mittheilung der Begriffe wird das menschliche Geschlecht einer fortschreitenden Vervolkommung fähig. Durch sie kommen die Geister, welche vor Jahrtausenden schon den Erdbal verliessen in Verbindung mit den gegenwärtigen Menschen: die folgende Generazion stützet sich immer auf die vorhergehende, ererbt von dieser den ganzen Schatz ihrer Begriffe, kan also fast alle Kräfte, welche sie den Ideenbearbeitungen widmet, nur dazu an- wenden, Zusätze zu jenem Schatze zu samlen.“ [S. 81] Was Gosch weniger betont, was sich aber aus seinen Aussagen ableiten lässt, ist eine weitere Funktion der Zirkulation, nämlich Selektion und Exklusion. Die Zirkulation würde man also besser als Zentrifuge beschreiben.

 

Die Einsicht in die große Bedeutung der Ideenzirkulation und deren Mechanik folgt bei Gosch außerdem eine Wertschätzung der Arbeit all derer, die an dieser Zirkulation beteiligt sind: „Jeder der an Ideen arbeitet, welche zu der menschlichen Glückseligkeit beitragen […] sei es auf eine nähere oder entferntere Weise, ein solcher Ideenbearbeiter verdient immer die Achtung seiner Mitbürger. […] du hast Verdienste auch als Arbeiter an den umlauffenden Ideen; […].“ [S. 101-104] Im achten Kapitel Von den verschiedenen Gattungen des Ideenumlaufs und deren besondern Vortheilen. Von dem Umlauf der Ideen durch Schriften und von dem durch ordentlichen mündlichen Unterricht kommt er dann schließlich auf die Buchbranche zu sprechen. Auch wenn er die Schriftkritik Platons teilt und die gegenüber der Mündlichkeit fehlende Interaktivität bemängelt, erwähnt er doch die Verdienste des Buchdrucks; bezeichnend für Goschs ökonomische Herangehensweise besteht dessen hervorstechender Vorteil in folgendem: „Aeusserst viel verdanken wir wahrlich der Erfindung der Buchdruckerkunst. Durch sie sind wir in den Stand gesetzt worden uns die mühsamen Bildungen der grossen Geister für eine Kleinigkeit zu verschaffen.“ [S. 120-121]

 

Literatur

  • Gosch, Josias Ludwig: Fragmente über den Ideenumlauf, Kopenhagen 1789.
  • Stanitzek, Georg/Winkler, Hartmut: Eine Medientheorie der Aufklärung. Vorwort, in: Josias Ludwig Gosch: Fragmente über den Ideenumlauf, Berlin 2006, S. 7-34.

 


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