TexturenMethodik
Schopenhauers Kampf
von Michael Buchmann
Schopenhauer verhalf der Geisteshaltung ganzer Generationen von Autoren gegenüber dem Literaturbetrieb ebenso pointiert wie kurzweilig zum Ausdruck. Vor allem sein Briefwechsel mit vier Verlegergenerationen des Brockhaus Verlags ist eine Fundgrube an unterhaltsam vorgetragenen Vorurteilen, von denen sich einige bis heute gehalten haben.
Grundlage für Schopenhauers Thesen ist die Annahme eines „endlosen Kampfs“ zwischen zwei „Literaturen“, die er streng gegeneinander abgrenzt. Auf der einen Seite sieht er die „wirkliche“ Literatur: ihr Merkmal sei es, dass sie von Menschen betrieben werde, die für ihre Sache leben und nicht von ihr, also kein ökonomisches Interesse mit ihren Texten verbinden, es gebe also auch wenig Werbemaßnahmen für diese Form von Literatur. Auch die Quantität sei ein Unterscheidungsmerkmal: es würden nur sehr wenige solcher Texte erscheinen, dafür sei dies die „bleibende“ Literatur. Für die „scheinbare“ Literatur dagegen gilt nach Schopenhauer das exakte Gegenteil. Der Kampf findet nach ihm auf zweierlei Feldern statt: einmal der Kampf um die ökonomischen Ressourcen und einmal der Kampf um die Aufmerksamkeit und Gunst der LeserInnen. Es ist nahe liegend anzunehmen, dass Schopenhauer als Prototypen für die Verfasser erfolgreicher Unterhaltungsliteratur seine Mutter Johanna und seine Schwester Adele vor Augen gehabt haben mag. Sie veröffentlichten beide ebenfalls im Brockhaus Verlag und haben so mit dem Erfolg ihrer Bücher den langjährigen Misserfolg der Bücher Schopenhauers nicht verursacht sondern vielmehr subventioniert.
Werbung jeglicher Form lehnt Schopenhauer ab; dabei argumentiert er auf zweierlei Art und Weise. Einmal beruft er sich darauf, dass nur schlechte Literatur Werbung nötig habe. Viel interessanter ist, dass er darauf aufbauend mit der Zielgruppe argumentiert: Werbung könne allenfalls auf das ungebildete Publikum Eindruck machen. Das hochgebildete Publikum allerdings, für das er schreibe, teile seine abfällige Ansicht über Werbung und damit wäre sie geradezu schädlich, offenbare sie doch ihre Notwendigkeit und mache so den qualitativen Mangel des beworbenen Textes offenkundig. Einfach ausgedrückt: ein gutes Buch hat keine Werbung nötig, ein schlechtes erkennt man bereits daran, dass es Werbung nötig hat. Berühmt ist Schopenhauers Versuch, möglichst viele seiner vermeintlich nicht gebildeten LeserInnen als Autor aktiv abzuschrecken. Hier ein Zitat aus dem Vorwort zur „Welt als Wille und Vorstellung“: „Daher mein Rath ist, das Buch nur wieder wegzulegen. […] Der bis zur Vorrede, die ihn abweist, gelangte Leser hat das Buch für baares Geld gekauft und frägt, was ihn schadlos hält? – Meine letzte Zuflucht ist jetzt, ihn zu erinnern, daß er ein Buch, auch ohne es gerade zu lesen, doch auf mancherlei Art zu benutzen weiß. Es kann, so gut wie viele andere, eine Lücke seiner Bibliothek ausfüllen, wo es sich, sauber gebunden, gewiß gut ausnehmen wird. Oder auch er kann es seiner gelehrten Freundin auf die Toilette, oder den Theetisch legen.“ Seine Haltung gegenüber dem Literaturbetrieb lässt sich auf eine kurze allgemeine Formel verdichten: je erfolgreicher ein Text am Markt ist, desto schlechter ist seine Qualität und umgekehrt. Während bei Schopenhauer vor dem Hintergrund seines ausdrücklichen Aristokratismus diese Verachtung der Masse zwar abstoßend aber immerhin konsequent wirkt, äußert sie sich heutzutage noch indirekt in der Zustimmung heischenden Frage mancher Buchkäufer: „Dieses Buch wird doch sicher nur von wenigen gekauft, oder?“
Der Wendepunkt in der schriftstellerischen Karriere Schopenhauers lässt sich auf den 5. August 1858 datieren. An diesem Tag erhält er von Brockhaus die Mitteilung, dass die zweite Auflage der „Welt als Wille und Vorstellung“ ausverkauft ist und er wünscht, eine dritte zu drucken. Die erste Auflage war zuvor makuliert worden. Die Nachricht seines Verlegers quittiert Schopenhauer gewohnt selbstbewusst mit dem Satz: „Ewr Wohlgeborn haben mir eine sehr erfreuliche Nachricht ertheilt, auf welche ich jedoch schon so lange gewartet habe, daß der Eindruck das Gegentheil der Ueberraschung gewesen ist.“
Nun finden sich keine Ausfälle mehr gegen den Literaturbetrieb in seiner Korrespondenz, im Gegenteil. Über seine erste Büste ist er sehr stolz und schreibt an Brockhaus: „Meine Büste ist vollendet, ist sehr schön und, nach dem Urtheil Aller, höchst ähnlich. Ein Bildhauer ist schlimm daran: Er kann seine Büste vervielfältigen, so gut wie der Kupferstecher, hat aber nicht, wie dieser, einen Verleger, der sie annoncirt. […] Demnach bitte ich Herrn DrE. Brockhaus, doch ja, wenn die Büste in Leipzig sichtbar seyn wird, einen kleinen Artikel darüber in die Litt: Blätter machen zu lassen. Die Büste vermehrt meine Fama und dadurch den Absatz des Buches: also – wasche eine Hand die andere."
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